THEMEN DER ZEIT: Aufsätze
Nicht das Gesundheitswesen steckt in der Krise, sondern die Gesundheitspolitik


Das deutsche Gesundheitswesen ist allem Krisengerede zum Trotz noch immer eines der besten der Welt: Wer
eine medizinische Leistung benötigt, bekommt sie - ohne Ansehen der Person, des Geschlechts, des Alters, der
Rasse oder seines Reichtums.
Wir haben eines der effizientesten Krankenhauswesen der Welt. Nirgendwo sonst werden die stationären
Leistungen so preisgünstig, effektiv und qualitativ hochwertig erbracht wie in unseren Krankenhäusern. Dabei
haben insbesondere die Krankenhäuser bewiesen, daß sie rationalisierungsfähig sind und über
effektive Regulationsmechanismen verfügen: Wer sonst hat in den letzten fünf Jahren 110 Krankenhäuser und
68 000 Betten abgebaut, 12 Prozent der Pflegetage reduziert, 15 Prozent der Verweildauer zurückgefahren -
und das trotz einer Fallzahlzunahme von mehr als fünf Prozent?
Wir haben eines der effizientesten Rettungssysteme der Welt. Dieses sichert alljährlich das Überleben
Tausender, deren Leben andernfalls verloren wäre.
Die Qualifikation unserer Ärzte ist eine der höchsten der Welt. Ein Facharztanteil von 60 Prozent ist etwas, auf
das wir stolz sein sollten, statt uns andauernd einreden zu lassen, wir müßten mehr Primärärzte ausbilden. Wir
können stolz darauf sein, daß wir es uns leisten können, hochqualifizierte Fachärzte auch in der
primärärztlichen Versorgung einsetzen zu können. Die Grundidee der Weltgesundheitsorganisation (WHO),
das Verhältnis Haus- zu Facharzt müsse 60 : 40 betragen, mag für ein Entwicklungsland richtig sein, sie ist für
ein hochentwickeltes Industrieland auf dem Weg in die postindustrielle Gesellschaft nicht richtungweisend.
Soziale Sicherheit und eine hervorragende gesundheitliche Versorgung und Betreuung sind ein Standortfaktor
ersten Ranges für eine Volkswirtschaft. Die Krise des Gesundheitswesens ist in Wirklichkeit eine
Finanzierungskrise. Dabei liegt das Problem unseres Systems nicht auf der Seite der Leistungen oder ihrer
Qualität. Vielmehr liegt das Problem auf der Seite der Mittelaufbringung durch Beiträge vom Lohn. Das
Gesundheitswesen ist auf Gedeih und Verderb auf die Wirtschaftsleistung abhängig Beschäftigter angewiesen.
Seine Kosten gehören zu den Lohnzusatzkosten. - Dabei müssen jedoch drei Aspekte berücksichtigt werden:
Das Gesundheitswesen macht nur einen kleinen Teil der Lohnzusatzkosten aus. Der Löwenanteil basiert auf in
freien Verhandlungen geschlossenen tarifvertraglichen Vereinbarungen.
Die hohe Arbeitslosigkeit belastet unser Sozialsystem doppelt. Die Arbeitslosen fallen nicht nur teilweise als
Beitragszahler aus, in manchen Teilen der Sozialversicherung werden sie sogar zu Leistungsempfängern.
Schließlich muß oft auch der Staat über die Sozialleistung für ihre deutlich niedrigere Prämie aufkommen.
In den letzten Jahrzehnten hat sich die Zusammensetzung des Bruttoinlandsprodukts (BIP) beständig
gewandelt. Einer ständigen Zunahme von aus Kapital erwirtschafteten BIP-Anteilen steht ein abnehmender
Anteil gegenüber, der in abhängiger Beschäftigung erwirtschaftet wurde. Die Lohnquote ist drastisch gesunken.
Betrug sie 1982 noch 76,9 Prozent, so lag sie 1994 bei 70,7 Prozent. Dieser Trend verstärkt sich.
Damit erleben wir ein Paradoxon: Während Deutschland immer reicher wird, immer mehr Kapital hat und
damit Einkommen erzielt, wird zugleich relativ immer weniger Geld für die Gesundheitsversorgung
aufgewendet. Schon wenn die Leistungen nur gleichbleiben, müssen die Beitragssätze steigen. Wer in dieser
Situation Beitragssatzstabilität verkündet und immer neue Kostendämpfungsmaßnahmen ergreift, um dieses
politisch kurzsichtige Ziel durchzusetzen, betrügt die Kranken um den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen
Fortschritt und gefährdet gleichzeitig einen der größten, innovativsten und wachstumsträchtigsten Bereiche der
Volkswirtschaft.
Die öffentliche Diskussion der vergangenen zwei Jahrzehnte über das Gesundheitswesen und die gesetzliche
Krankenversicherung findet unzulässig verkürzt und verengt statt. Sie konzentriert sich ausschließlich auf die
Beitragssätze der gesetzlichen Krankenversicherung und damit auf den Kostenfaktor Gesundheitswesen.
Das Gesundheitswesen ist weit mehr als nur ein Kostenfaktor. Es ist einer der wichtigsten und innovativsten
Wirtschaftssektoren Deutschlands, es stellt einen Arbeitsmarkt mit großem Wachstumspotential dar.
Zur Zeit sind im Gesundheitswesen im engeren Sinne knapp zwei Millionen Menschen beschäftigt. Der
Sachverständigenrat für die Konzertierte Aktion im Gesundheitswesen hat sogar eine Zahl von 4,2 Millionen
Erwerbstätigen errechnet, die im weitesten Sinn im Gesundheitswesen arbeiten oder zumindest von ihm
abhängen.
Das Gesundheitswesen ist noch immer von Arbeitsplatzzuwächsen geprägt. Dies wird unter anderem von einer
BASYS-Veröffentlichung belegt. Danach stieg die Zahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter im
Gesundheitswesen im engeren Sinne von 1980 bis 1995 von 997 000 auf 1 557 000. Da die Arbeitsplätze in der
Gesamtwirtschaft im gleichen Zeitraum nur von 21 auf 22,5 Millionen gestiegen sind, hat sich der
Beschäftigungsanteil des Gesundheitswesens in dieser Zeit von 4,7 Prozent auf 7 Prozent erhöht. Gleichzeitig
stieg der Anteil der GKV-Ausgaben für diesen Personalsektor nur von 5,2 auf 5,5 Prozent und damit deutlich
geringer. Das heißt: Die Beschäftigungszuwächse sind mit unterdurchschnittlichen Einkommenszuwächsen
erzielt worden. Effektiver und den Menschen dienlicher konnten neue Arbeitsplätze nicht geschaffen werden.
Nun ist es nicht Aufgabe der gesetzlichen Krankenversicherung, Arbeitsplätze zu finanzieren, dennoch: Wir
müssen fragen, ob es wirklich sinnvoll sein kann, sozial wertvolle, noch dazu preiswerte Arbeitsplätze durch
Sparmaßnahmen im Gesundheitswesen zu opfern, zugunsten von teureren Arbeitsplätzen in anderen
Wirtschaftsbereichen, deren Entstehen nicht einmal sicher ist. Laufen wir nicht gerade Gefahr, sehr reale
Arbeitsplätze zugunsten virtueller Jobchancen zu vernichten?
Tatsache ist: Von der gesetzlichen Krankenversicherung sind seit den 70er Jahren keinerlei Kostenexplosionen
ausgegangen, die Steigerungen der Beitragssätze erfordert hätten. Die Beitragssatzsteigerungen sind vielmehr
Ausdruck relativ sinkender Berechnungsgrundlagen der Einnahmen, eines vielgleisig angelegten
Verschiebebahnhofs und politischer Eingriffe in den Leistungsumfang.
Leider jedoch ist unverkennbar, daß sich in den letzten Jahren eine Veränderung der gesellschaftlichen
Wahrnehmung dieser eigentlich sehr leicht nachweisbaren wirtschaftlichen Phänomene ergeben hat. So hat
sich der Eindruck verfestigt,
l die Lohnkosten der Bundesrepublik seien übernatürlich hoch,
l diese Entwicklung sei vor allem auf überbordende Sozialleistungen und hier vor allem auf die GKV
zurückzuführen, und
l die zunehmende Arbeitslosigkeit sei Ausdruck sinkender Unternehmergewinne und -chancen.
Lohnnebenkosten - eine Diskussion, die in die Irre führt
Diese Argumente aber sind falsch. Tatsache ist vielmehr, daß 1979 das Lohnsteueraufkommen und das
Volumen der fünf aufkommensstärksten Unternehmenssteuern mit jeweils 7 Prozent denselben Anteil am
Bruttosozialprodukt (BSP) hatten; 1995 hingegen ist das Lohnsteueraufkommen auf 8,8 Prozent gestiegen,
während sich die Unternehmenssteuern halbiert haben.
Und selbst bei Berücksichtigung der Summe aller gesetzlichen Sozialabgaben ergibt sich immer noch folgendes
Bild: Betrug die Arbeitgeberbelastung aus Steuern und Sozialabgaben 1979 noch 14,0 Prozent des BSP, so liegt
sie 1995 nur noch bei 11,6 Prozent - wohlgemerkt einschließlich des Solidaritätszuschlages und des neuen
Arbeitgeberanteils an der Pflegeversicherung.
Und es blieb fast unbemerkt, daß von 1979 bis 1995
l der Anteil der Nettoeinkommen aus Unternehmertätigkeit und Vermögen am BSP von 16,1 auf 18,9 Prozent
gestiegen ist, während
l der Anteil der Nettolohn- und Gehaltssumme von 33,9 auf 28,2 Prozent zurückging.
Es hat also erhebliche gesellschaftliche Verschiebungen zugunsten von Wirtschaft und Kapital und zu Lasten
der Arbeitnehmerschaft gegeben!
In einer aufsehenerregenden Studie, die im Auftrag des Bundesministers für Wirtschaft erstellt wurde,
analysiert das Münchener IFO-Institut die Frage: "Sind Löhne und Steuern zu hoch? Bemerkungen zur
Standortdiskussion in Deutschland." In dieser Studie wird klar festgestellt, daß die These vom Hochlohnland
Deutschland falsch ist. "Auf gesamtwirtschaftlicher Ebene sind die realen Lohnstückkosten weder übermäßig
hoch, noch sind sie in den vergangenen Jahren überdurchschnittlich gestiegen." Heißt also: Es ist falsch und
vordergründig, Deutschland von vornherein als "Hochlohnland" abzuqualifizieren.
Hinter der pessimistischen Standortprognose verbirgt sich vielmehr ein gezieltes Szenario einiger "global
players" mit dem Ziel, noch bessere Produktionsbedingungen in Deutschland zu erreichen. Dieses Verhalten ist
sicher legitim. Es beinhaltet jedoch die Aufkündigung der einmaligen "Konzertierten Aktion" zwischen
Arbeitnehmern, Arbeitgebern und Politik, der für den Aufschwung der Bundesrepublik nach dem Kriege
verantwortlich war. So verändert sich die soziale und gesellschaftliche Situation in unserem Lande dramatisch.
Es wäre gleichwohl ein Trugschluß zu glauben, die Lage sei gar nicht so ernst, man solle nur weiter so
wurschteln, wie mit der gegenwärtigen Gesetzesinflation von Sparpaketen und Neuordnungsgesetzen. Die Lage
ist vielmehr viel ernster - vor allem deswegen, weil nicht erkennbar ist, daß es der Bundesregierung gelingt,
das wahre Problem in den Griff zu bekommen. Die soziale Symmetrie der Sparbemühungen hat eine erhebliche
Schlagseite bekommen, weil es wohl gelungen ist und auch weiter gelingen wird, drastische Spargesetze zu
verabschieden, nicht aber erkennbar wird, daß zugleich die Arbeitgeber, die Industrie und die großen "global
players" sich verpflichten, das Ersparte wirklich auch in Arbeitsplätze in Deutschland umzusetzen.
Noch nie waren die Menschen von der Notwendigkeit des Sparens und gesellschaftlicher Veränderungen so
überzeugt wie gegenwärtig. Es wäre schlimm, wenn das neu aufkeimende Solidaritätsgefühl dazu mißbraucht
würde, bei uns solidarisch zu sparen, damit sich andere eigennützig bedienen können.
Wir brauchen jetzt eine Initiative, eine Diskussion, die uns aus dem Tal der Depression herausführt und uns
gestattet, das Gesundheitswesen der Zukunft zu konzipieren. Dabei werden auch Ärzte gefordert sein,
zusammen mit Wirtschaftswissenschaftlern und Politikern neue Eckpunkte zu definieren. Die alte
Bismarcksche Trias "Solidarität - Subsidarität - Eigenverantwortung" muß dabei neu gegeneinander
abgegrenzt werden. Unsere Politik muß darauf ausgerichtet sein, den erkennbar eintretenden Mangel zu
vermeiden, nicht ihn zu verwalten. Und hier ist die Selbstverwaltung gefordert! Denn nur die sachnahe
Kompetenz der Fachleute aus allen Verantwortungsbereichen kann zu vernünftigen Lösungen für die Patienten,
Versicherten und Mitarbeiter führen.
Reformierte Selbstverwaltung
Entscheidend für die Überlebensfähigkeit eines bewußt selbstverwaltet strukturierten Gesundheitswesens wird
in der Zukunft die Funktionsfähigkeit der Selbstverwaltung sein. Das größte Hindernis der Selbstverwaltung
heute ist die sektorale Bezogenheit ihrer Entscheidungsgremien. So entscheiden nach SGB V unterschiedliche
Gremien über die Probleme des ambulanten und des stationären Bereiches; sie kommen naturgemäß auch zu
unterschiedlichen Ergebnissen, die dann mühsam abgestimmt werden müssen. Die Vielschichtigkeit und
Abgeschottetheit einzelner Selbstverwaltungsstränge muß zusammengeführt werden zu einem
Selbstverwaltungsgremium mit Entscheidungskompetenz für alle Bereiche.
Es kann keinen Sinn ergeben, Alleinveranstaltungen der Krankenkassen (Stichwort: Einkaufsmodell), der
Leistungserbringer (Stichwort: sektorübergreifender Sicherstellungsauftrag) oder der Politik (Stichwort:
staatliches Gesundheitswesen) zu konzipieren. Alle diese Modelle gehen von einer antiquierten
Omnipotenzvorstellung einzelner Gruppen aus. Die Steuerungsentscheidungen der Zukunft verlangen den
Sachverstand und die Umsetzung gemeinsam gefaßter Beschlüsse auf allen Ebenen und in allen Bereichen.
Die in der gegenwärtigen Debatte immer wieder betonte "Vorfahrt für die Selbstverwaltung" kann nur dann
erfolgreich werden, wenn als erster Schritt die babylonischen Entscheidungsstränge der Selbstverwaltung
zusammengeführt werden. Eine derart reformierte Selbstverwaltung könnte dann darangehen,
Unwirtschaftlichkeiten zu beseitigen, Standards zu entwickeln und Qualität durchzusetzen.
Die Mittelaufbringung in der gesetzlichen Krankenversicherung muß von den Ungerechtigkeiten innerhalb des
Familienlastenausgleichs befreit werden. Dazu gehört die Doppelbelastung mehrverdienender Familien.
Auch in der Krankenversicherung der Rentner muß die Frage nach solidarischeren Lösungen bei Beziehern
hoher Renten gestellt werden. Die Veränderung des Rentenspektrums (von der Aufbau- zur Erbengeneration)
läßt heute insbesondere die "solidarische" Versicherung der Bezieher hoher Renten durch Arbeitnehmer mit
kleinen Einkommen fragwürdig erscheinen.
Dieses wird um so dringlicher, als durch demographische Faktoren die Zahl der Rentner relativ zur
Erwerbsbevölkerung weiter anwachsen wird und medizinisch bedingt heute erheblich mehr und intensivere
Leistungen am alten Patienten möglich sind.
Die alleinige Heranziehung des aus abhängiger Beschäftigung erwirtschafteten Einkommens bis zu einer
Bemessungsgrenze muß ebenfalls den gesellschaftlichen Realitäten angepaßt werden. Es gibt heute sehr hohe
Einkommen, die zur vollen Familienmitversicherung und - gemessen am Gesamteinkommen - sehr niedrigen
Versicherungszahlungen führen.
Und es gibt Bürgerinnen und Bürger, die zwar nur über ein kleines Einkommen in abhängiger Beschäftigung
(zum Beispiel als Angestellter der eigenen Firma) verfügen, aber erhebliche "Neben"einkünfte haben. Hier
wird der Bismarcksche Gedanke der Solidarität persifliert.
Eine gerechte Neuregelung unter Berücksichtigung des Gesamteinkommens hätte darüber hinaus den Vorzug,
den Einfluß der Arbeitgeber und ihrer Organisationen weiter zurückzudrängen. Früher oder später wird man
dann auch die Frage nach der Berechtigung der Arbeitgeberbeteiligung an den Selbstverwaltungsaufgaben
insgesamt stellen müssen. Langfristig brauchen wir sie nicht.
Bewährte Strukturelemente erhalten
Aus der Enttäuschung der Betroffenen über fehlgeschlagene "Gesundheitsreformen" heraus blühen alternative
Strukturmodelle, die sich durch Unausgewogenheit und Utopismus auszeichnen. Dabei wird gerne vergessen,
daß das Gesundheitswesen in Vergangenheit und Gegenwart sich auf der Leistungsseite als äußerst
leistungsfähig erwiesen hat. Es gilt also die bewährten Strukturelemente hier zu erhalten und zu verstärken.
l Nötig ist eine evolutionäre Veränderung, vor allem der Finanzierungsmodalitäten, die mit Ruhe und
Augenmaß alle Beteiligten zusammenführt, statt sie zu separieren oder gar in unlösbare Konflikte
untereinander zu hetzen.
l Die Solidarität in der Krankenversicherung muß wieder dem einfachen Grundsatz folgen, daß in der
Krankenversicherung zwar der Ausgleich zwischen krank und gesund und zwischen alt und jung, nicht aber
zwischen Arm und Reich geregelt werden kann. Der versicherte Personenkreis sollte sich auf diejenigen
beschränken, die der Solidarität bedürfen - das sind nicht die 92 Prozent der heute gesetzlich Versicherten, und
es wird eine Frage der gesellschaftlichen Diskussion sein, die Linie zwischen der Gruppe derjenigen, die
Solidarität brauchen, und denjenigen zu definieren, die Solidarität geben können.
Alle anderen - also diejenigen, die eher Solidarität geben könnten, statt ihrer zu bedürfen - müssen sich
zwangsweise versichern, können aber nach wirtschaftlichen Prinzipien ihre Krankenversicherung frei wählen.
Dabei muß eine hohe Flexibilität
der Prämiengestaltung gewährleistet sein. Wer Selbstbeteiligung möchte und sie sich leisten kann, soll sie
haben!
Das Problem besteht im Sozialtransfer zwischen diesen beiden Gruppen: dieser wird sich letztlich in unserer
Gesellschaftsordnung nur über ein steuerfinanziertes Ausgleichsmodell regeln lassen. Deswegen ist auch die
Mitwirkung des Staates an Gremien der "Selbst"verwaltung in Zukunft unerläßlich.
Die Politik muß sich ihrer sozialpolitischen Verantwortung bewußter werden und darf nicht auf die
Wahrnehmung der ihr von der Gesellschaft übertragenen Aufgaben verzichten. Sie hat die Verpflichtung zum
Ausgleich und zur Moderation. Der gegenwärtig erkennbare Trend, durch Überlassung eines von der Politik
der Höhe nach allein bestimmten Globalbudgets, das dann von der Selbstverwaltung verteilt werden darf,
Verantwortung zu delegieren, ohne notwendige Kompetenzen zu verleihen, ist ein gefährlicher Irrweg. Es ist
allein der Versuch, den gesundheitspolitischen "Plumpsack" im Haus der Krankenkassen oder der Ärzteschaft
abzulegen.
Wer das Globalbudget verwaltet, muß auch Einfluß auf sein Zustandekommen haben. Die Definition der Höhe
eines Budgets muß immer von den erforderlichen Leistungen her erfolgen. Wer allein von wirtschaftlichen
Parametern her definiert, zeigt, daß ihm die Versorgung der Kranken und die Verhinderung von Krankheit a
priori weniger wichtig sind.
Um das zu verhindern, schon deswegen führt an einer zusammengefaßten Selbstverwaltung unter Einschluß
der Politik kein Weg vorbei.
Anschrift des Verfassers:
Dr. med. Frank Ulrich Montgomery
Radiologische Klinik des UKE
Martinistraße 52, 20246 Hamburg
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1997; 94: A-577-580
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