ArchivDeutsches Ärzteblatt PP1/2007Gesundheitstelematik: Schrittmacher für Innovationen

POLITIK

Gesundheitstelematik: Schrittmacher für Innovationen

Krüger-Brand, Heike E.

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LNSLNS Vor dem Einstieg in die Praxistests der Gesundheitskarte wächst bei den Ärzten die Skepsis, bei der Industrie die Ungeduld.

Mit den Ärzteprotesten gegen die Gesundheitsreform hat sich auch die Kritik vieler Ärzte an einem anderen Prestigeprojekt der Bundesregierung verstärkt: der Einführung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK). So haben jüngst die Kassenärztliche Vereinigung und die Ärztekammer (ÄK) Hessen die Einführung und Umsetzung der Karte in der aktuellen Konzeption abgelehnt, und auch die ÄK Westfalen-Lippe und Nordrhein haben angekündigt, sich nur dann weiter in dem Projekt zu engagieren, wenn ärztliche Anforderungen stärker als bisher berücksichtigt werden. Anfang November hatte sich zudem Bremen als eine der acht vorgesehenen Testregionen aus dem Projekt ausgeklinkt.
Zwar sind die Ärzte nicht prinzipiell gegen den Einsatz von Telematik, doch befürchten sie vor allem mehr Bürokratie, höhere Kosten und mögliche Datenschutzrisiken durch die eGK. Die Karte könne nur dann flächendeckend eingeführt werden, wenn diesbezüglich alle berechtigten Zweifel ausgeräumt seien, betonte Dr. med. Kuno Winn, Vorsitzender des Hartmannbundes, bei einem E-Health-Fachkongress in Berlin. „Alle Beteiligten müssen vom realen Nutzen der eGK überzeugt sein. Sie darf nicht nur unter dem Spardiktat im Gesundheitswesen eingeführt werden.“ Wie bereits 2006 hat sich der Ärzteverband an der Studie „Monitoring eHealth Deutschland 2006/7“ beteiligt, die das Marktforschungsinstitut Wegweiser gemeinsam mit mehreren Industrieverbänden durchgeführt hat.* Für die Studie wurden 8 000 Ärzte sowie Experten aus Krankenhäusern und Krankenkassen zum derzeitigen und zukünftigen Einsatz von Informations- und Telekommunikationstechnologien befragt (Kasten). Die Ergebnisse verdeutlichen, dass Telematik und Vernetzung generell als wesentliche Schlüssel für Effizienzsteigerungen und Prozessoptimierungen im Gesundheitswesen betrachtet werden. Gleichzeitig besteht erheblicher Informationsbedarf, was Kosten, Nutzen, technische Voraussetzungen und mögliche Anwendungen von Telematik betrifft.
Weiterer Zeitverzug schädlich
Wirtschaftsverbände und die Industrie, die inzwischen bereits rund 170 Millionen Euro in das eGK-Projekt investiert hat, warnen vor weiteren Verzögerungen. Der Gesundheitssektor sei mit einem Umsatz von 250 Milliarden Euro ein äußerst dynamischer Markt. Dem Ziel, mehr Wettbewerb zu erreichen und größere Handlungsspielräume für Unternehmen und Bürger zu schaffen, sei man bislang jedoch kaum näher gerückt, mahnte Jürgen R. Thumann, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Die aktuelle Gesundheitsreform fördere nicht Innovationen, sondern trage eher dazu bei, Ausgaben zu deckeln, kritisierte auch Prof. Dr. Heinrich von Pierer, Vorsitzender des Rats für Innovationen und Wachstum der Bundesregierung und Aufsichtsratsvorsitzender der Siemens AG. Er verwies auf den Investitionsstau in den Krankenhäusern, der von Experten auf zehn bis zwölf Milliarden Euro geschätzt werde. Deutschland sei in Gefahr, im internationalen Wettbewerb abgehängt zu werden, so von Pierer. Die Potenziale, die der Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnologie sowohl für die Versorgung der Versicherten als auch für den Wirtschaftsstandort biete, sollten daher schnellstmöglich erschlossen werden.
Heike E. Krüger-Brand

*Die vollständigen Ergebnisse werden im Jahrbuch „eHealth & Gesundheitswirtschaft 2006/2007“ veröffentlicht, das im Januar 2007 erscheint (siehe www.wegweiser.de).


Trendaussagen der Studie

Niedergelassene Ärzte
- Anders als die Krankenhausärzte, die vor allem beim Zugriff auf Diagnostikdaten und bei der Informationsbeschaffung erhebliche Einsparpotenziale sehen, erwarten niedergelassene Ärzte generell nur mittlere bis geringe Einsparungen.
- Ein Viertel der befragten niedergelassenen Ärzte kennt die eGK nicht.
- 28 Prozent der Ärzte schätzen den Nutzen der eGK als „hoch“ oder „sehr hoch“ ein, 34 Prozent erwarten keinerlei Nutzen von der Karte. Knapp ein Drittel sieht einen hohen oder sehr hohen Nutzen der Health Professional Card, 34 Prozent erwarten davon keinen Nutzen. Knapp zwei Drittel der Ärzte bewerten den Nutzen der elektronischen Patientenakte und des elektronischen Arztbriefes als hoch bis sehr hoch.
- Knapp die Hälfte der Niedergelassenen schätzt den eigenen Informationsstand zu Telematiklösungen nur als ausreichend oder mangelhaft ein. Drei Viertel der Befragten halten gezielte Schulungen für erforderlich.

Krankenhäuser
- Für knapp die Hälfte der Krankenhäuser ist E-Health ein Faktor von hoher bis sehr hoher Bedeutung. Größtes Hemmnis für die Nutzung von IT und die Umsetzung von Telematikprojekten ist die unzureichende finanzielle Ausstattung.
- An erster Stelle der Optimierungs- und Modernisierungsziele liegt die Erhöhung der Patientenzufriedenheit (63 Prozent), gefolgt von der Steigerung der medizinischen Behandlungsqualität (61 Prozent) und der Versorgungsqualität (52 Prozent).
- Telematiklösungen dienen vor allem der Verbesserung logistischer Prozesse und der Performancesteigerung sowie der Verbesserung der medizinischen Behandlungsqualität. Als besonders dringlich für die Prozessoptimierung wird der schnelle Zugriff auf Patientendaten genannt.

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