ArchivDeutsches Ärzteblatt3/2007Von schräg unten: Servicewüste

SCHLUSSPUNKT

Von schräg unten: Servicewüste

Böhmeke, Thomas

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Das Leben in Deutschland ist eine einzige Zumutung“, so schüttet mir ein zorniger Patient seinen schwer belasteten linken Ventrikel aus. „Was hat man hier alles zu erdulden, wie oft muss ich telefonieren, bis ich einen von euch Ärzten an die Strippe bekomme, und feiertags und nachts steht Ihr ja auch nicht mehr zur Verfügung! In anderen Ländern ist alles viel besser!“ Dem muss ich leider zustimmen. War ich doch vor Kurzem auf einem Kongress in den USA, auf dem ein weltberühmter Professor eine Vorlesung vor 500 Kollegen hielt. Mittendrin klingelte sein Handy, und der Professor ging ungerührt dran. Ein Patient war am anderen Ende und erhielt prompt einen fachkundigen Rat auf allerhöchstem Niveau, während die Kollegen des Fortgangs der Vorlesung harrten. „Toll! Klasse! Das nenne ich Patientenversorgung! Herr Dr. Blömike, davon können Sie sich mal eine Scheibe abschneiden! Sie sind nun wirklich kein Professor, sondern nur so ein Doktor, und man sagt ja, dass man lieber zum Schmidt als zum Schmidtchen gehen sollte. Aber für den Anfang würde es mir reichen, wenn Sie mir Ihre Handynummer überlassen könnten, damit ich Sie auch nachts und am Wochenende erreichen kann. Falls ich mal eine Frage an Sie haben sollte oder so. Damit Sie sich mal ein Beispiel an dem Professor nehmen!“ Nun, einen kleinen Haken hat die Sache aber. „Haken? Was für einen Haken? Ich sehe keinen Haken!“ Na, ich würde mal schätzen, dass den Patienten dieses Telefonat rund 500 Dollar gekostet hat. Mein Gegenüber holt tief Luft, läuft bedrohlich rot an, ich will in diesem Moment nicht wirklich seinen Blutdruck messen, denn er liegt sicherlich weit über der Standardabweichung: „Das ist eine Riesensauerei, das ist übelste Zweiklassenmedizin! Dass Ihr Ärzte den Hals nie voll genug kriegen könnt! Der gehört verklagt!“ Gemach, gemach, es besteht kein Anlass zur Sorge, dass ein hoch angesehener amerikanischer Professor marodierend über deutsche Kassenpatienten herfallen würde. Schließlich haben wir in Deutschland ein überaus gut funktionierendes Abwehrsystem gegen hochkarätige ausländische medizinische Fachkräfte. Wenn der Professor sich das deutsche Kassenarztrecht mit seinen Abrechnungen in Punkten statt in Dollars anschauen würde, mit eingebauten Budgetierungen, Regressforderungen und garantiert abnehmenden Honoraren, würde er niemals, aber auch niemals auch nur einen Zehennagel in unser schönes Land setzen. „Da bin ich aber erleichtert! Wo kämen wir denn hin, wenn man euch Ärzte noch bezahlen müsste? Trotzdem könnten Sie sich ein Beispiel an dem Professor nehmen!“ Treue Leser des Deutschen Ärzteblattes wissen längst, dass ich ziemlich schwer von Begriff bin. Was er denn damit meinen würde: Soll ich etwa nur noch Vorlesungen halten und mich dann von amerikanischen Privatpatienten anrufen lassen, die mir dafür 500 Dollar bezahlen würden? „Nein, so habe ich das doch gar nicht gemeint!“ Ich verstehe ihn immer noch nicht. Soll ich das bundesdeutsche Kassenarztsystem in den USA installieren, sodass alle amerikanischen Professoren vor Schreck nach Deutschland flüchten würden? Die wollen dann aber immer noch 500 Dollar für ein Gespräch mit deutschen Kassenpatienten. „Nein, das meine ich auch nicht, Sie wissen doch ganz genau, was ich meine . . . Sie und Ihre Kollegen können sich irgendwie anders eine Scheibe abschneiden!“ Ach so, wie der Professor für gute Leistung auch gutes Geld bekommen? Keine Sorge, viele meiner Kolleginnen und Kollegen geben bereits ihre Kassenzulassungen ab und behandeln nur noch Privatpatienten . . . „Das ist ja ungeheuerlich!“ . . . und würden viel zufriedener arbeiten . . . „Nein!“ . . . und ganz ohne schlechtes Gewissen . . . „Die gehören alle verklagt!“ Auf was gehören die verklagt? Schreiben von kostenfreien EKGs? „Nein!“ Hausbesuche für weniger als 20 Euro? „Nein!“ Massenweise Sonographien, Therapien, Diagnosen, am Ende des Quartals völlig umsonst? „Nein! Herr Dr. Blömike, Sie machen mich ganz durcheinander, niemand bezweifelt, dass Sie für gute Leistungen auch gutes Geld bekommen sollen!“ – Ach so!

Dr. med. Thomas Böhmeke ist niedergelassener Kardiologe in Gladbeck.

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