POLITIK
Gesundheitsreform: Koalition geht auf Ärzte zu
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Kritik trotz Zugeständnissen
der
Politik: Prof. Dr. med.
Jörg-Dietrich Hoppe,
Präsident der Bundesärztekammer,
warnt auf dem Neujahrsempfang
der
Ärzteschaft vor dem
Weg in die Zweiklassenmedizin.
Foto: Georg J. Lopata
Sie respektieren einander, und zur Begrüßung umarmen sich beide herzlich. Augenscheinlich haben die monatelangen Beratungen zur geplanten Gesundheitsreform die beiden Verhandlungsführer, Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) und CSU-Fraktionsvize Wolfgang Zöller, näher- gebracht. Dies gilt nicht nur für ihren persönlichen Umgang. Auch politisch haben sich Union und SPD nun anscheinend endgültig in der Mitte getroffen. Von Details abgesehen, steht der Kompromiss der Koalitionäre (DÄ, Heft 3/2007). So soll der Entwurf zum GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) am 2. Februar den Bundestag passieren. Die Koalitionsspitzen zeigen sich überzeugt, dass im Anschluss auch die Länderkammer das Reformpaket absegnet, ohne dass ein zweitaufwendiges Vermittlungsverfahren nötig wird. Dem pünktlichen Start des Gesetzes zum 1. April steht dann nichts mehr im Wege.
Noch immer laufen die Verhandlungen der Koalitionsarbeitsgruppe über die genaue Ausgestaltung des künftigen Basistarifs der privaten Krankenversicherung. Bereits geeinigt haben sich beide Seiten in nächtelangen Marathonsitzungen über ein ganzes Konvolut von Änderungsanträgen am bisherigen Gesetzentwurf. Die wichtigste Neuerung: Bei der Vergütung vertragsärztlicher Leistungen geht die Politik deutlich auf die Position der Ärzte zu. Mit den jetzigen Änderungen ist zweifelsohne das Honorarbudget nicht vollständig weggefallen, aber aus dem Budgetdeckel werde ein Budgetsieb, kommentierte der Vorstandsvorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Dr. med. Andreas Köhler, die Neufassung des Gesetzes.
Demnach soll die Neuordnung der vertragsärztlichen Gebührenordnung nun doch nicht kostenneutral erfolgen. War noch im ursprünglichen Gesetzentwurf vom Oktober letzten Jahres geplant, dass die Krankenkassen dafür keine Beitragserhöhungen vornehmen dürfen, findet sich dieser Passus in den Änderungsanträgen der Regierungsfraktionen nicht mehr wieder. Stattdessen soll nun auf Grundlage eines fairen Punktwertes eine regionale Euro-Gebührenordnung für ärztliche Leistungen erstellt werden. Von 2009 an sollen Ärzte mit festen Preisen arbeiten.
Wichtig für die Ärzte ist, dass das Morbiditätsrisiko hierbei von den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) auf die Krankenkassen übertragen werden soll. So sehen die Änderungsanträge vor, dass die Kassen den KVen „für zusätzliche morbiditätsbedingte Leistungen, die sich aus einem [...] nicht vorhersehbaren Anstieg des morbiditätsbedingten Behandlungsbedarfs ergeben, zeitnah zusätzliche Mittel zur Verfügung stellen müssen“. Zudem soll die Vergütung der Ärzte jährlich der Morbidität sowie der Entwicklung der für die Arztpraxen relevanten Kosten angepasst werden.
Auch wenn mit diesen Änderungen zentralen Forderungen entsprochen wurde, kann nicht von einer kompletten Abschaffung der Budgets gesprochen werden. Denn nur innerhalb der vorgesehenen Re-gelleistungsvolumina gelten die „Höchstpreise“ in Euro und Cent. Werden diese „Budgets“ überschritten, sind die Leistungen mit „abgestaffelten Preisen“ zu vergüten. Diese werden zuvor mit der Vergütung für die Regelversorgung in der Gebührenordnung festgelegt. Nur „bei einer außergewöhnlich starken Erhöhung der Zahl der behandelten Patienten“, heißt es in den Anträgen, kann von einer gesenkten Vergütung abgesehen werden.
Freuen dürfte die Ärzte hingegen, dass Honorarzuschläge, die die Kassen an Ärzte in unterversorgten Gebieten zahlen sollen, nun doch nicht über Abschläge in überversorgten Gebieten finanziert werden müssen. Stattdessen sollen die Kassen nun die anfallenden Kosten in voller Höhe tragen und nicht, wie bisher vorgesehen, nur zur Hälfte.
Die monatelangen Ärzteproteste und die Drohung von KBV-Chef Köhler, die Reform in ihrer bisherigen Fassung nicht umsetzen zu wollen – beides dürfte zum Umdenken der Koalition beigetragen haben. An der grundsätzlichen Ablehnung des Gesetzes durch die KBV ändert dies jedoch nichts. Die Reform sorgt nach Meinung Köhlers nicht wie angekündigt für eine nachhaltige Finanzierung des Gesundheitswesens, sondern sie implementiert Elemente der Staatsmedizin. Dennoch will die KBV, zumindest was die Vergütung vertragsärztlicher Leistungen angeht, von ihrer bislang propagierten Fundamentalopposition abrücken. „Dies ist unsere wahrnehmbare Chance, nach dem GKV-Neuordnungsgesetz und nach dem GKV-Solidaritätsstärkungsgesetz weitestgehend die Bindung der Vergütung der Vertragsärzte an die Grundlohnsumme abzulösen“, begründete Köhler den Kurswechsel. Zudem sei der Grundsatz der Beitragssatzstabilität deutlich zurückgenommen worden.
Einen weiteren Punktsieg erzielten die Kassenärztlichen Vereinigungen mit den Änderungen zur Neugestaltung der hausarztzentrierten Versorgung. Anders als zunächst geplant, sollen die KVen für diesen Versorgungsbereich Verträge mit den Krankenkassen abschließen können. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die KVen dazu von den „einschlägigen Berufsverbänden“ ermächtigt werden müssen. Was „einschlägig“ bedeutet und ob eine solche Mandatierung auch über kleinere Hausarztgruppen erfolgen kann, wird noch zu klären sein.
Dass die KVen – wenn auch nur mittelbar – bei der hausarztzentrierten Versorgung „mitmischen“ dürfen, kritisierte der Vorsitzende des Hausärzteverbandes, Rainer Kötzle, bei einem Empfang seiner Organisation. Der Verband ist jedoch mit dem Ausgang der Reformberatungen zufrieden: Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Ministerin Schmidt seien „zwei starke Frauen“, die sich nicht vor „Gegnern“ fürchteten, sagte Kötzle in Anwesenheit der Parlamentarischen Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministerium, Marion Caspers-Merk (SPD).
Wie die KBV ist auch die Bundesärztekammer von einem solchen Schmusekurs mit der Politik weit entfernt. In einem Brief appellierte der Präsident der Bundesärztekammer, Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, an die Abgeordneten des Bundestages, dem Gesetzentwurf nicht zuzustimmen. „Wenn die Grundstrukturen der Reform zu wirken beginnen, wird unser Gesundheitswesen sukzessive in ein staatlich gelenktes System nach dem Vorbild nationaler Gesundheitsdienste umgewandelt“, so Hoppe.
Beim Neujahrsempfang der Ärzteschaft in Berlin warnte Hoppe erneut vor einem Weg in die Zweiklassenmedizin. Was die Qualität der ärztlichen Leistungen angehe, gebe es diese zwar nicht. Je nach- dem, wie man sich versichere, seien aber der Komfort und der Leistungsumfang unterschiedlich.
Einstieg in Dreiklassenmedizin
Mit der geplanten Umgestaltung der privaten Krankenversicherung droht nun sogar der Einstieg in die Dreiklassenmedizin. Ärzte sehen sich künftig gesetzlich Versicherten, Basistarif-Versicherten und PKV-vollversicherten Patienten gegenüber. Bei den Nachverhandlungen zur Gesundheitsreform konnte die Union wesentliche Änderungen bei der Ausgestaltung des neuen Basistarifs durchsetzen. Im Gegenzug konnte die SPD die von ihr lange geforderte „Pflicht zur Versicherung“ festschreiben. So soll erstmals von 2009 an eine uneingeschränkte Versicherungspflicht gelten. Folglich müssen schätzungsweise 300 000 derzeit Nichtversicherte eine Police abschließen. Diese kündigen kann man dann nur noch, wenn man eine neue Versicherung nachweist.
Wie sich die Änderungen am PKV-System auswirken werden, lässt sich noch nicht absehen. „Erst wenn das Bundesgesundheitsministerium die heutige Vereinbarung umgesetzt hat, kann eine rechtliche Prüfung aus Sicht der Privatversicherten erfolgen“, betonte Reinhold Schulte, Vorsitzender des Verbands der privaten Krankenversicherung (PKV), nach der Einigung über die bisherigen Änderungsanträge. Die getroffene Vereinbarung biete nach wie vor erheblichen Interpretationsspielraum, betonte er.
Offene Fragen zum Basistarif
Zwar hatte Dr. Carola Reimann (SPD) die Mitglieder der Arbeitsgruppe Gesundheit der SPD-Bundestagsfraktion umgehend über die neue Kompromisslinie unterrichtet. So schrieb die gesundheitspolitische Sprecherin der SPD, dass der Basistarif wie gewünscht erst zum 1. Januar 2009 eingeführt werden solle. Und sie ergänzte: „Es besteht eine Behandlungspflicht für im Basistarif Versicherte, die von den KVen sichergestellt wird. Die ärztlichen Leistungen werden mit dem 1,8-fachen Satz der GOÄ vergütet, sofern keine andere Vereinbarung getroffen wird.“ Doch welche Leistungen der Basistarif später im Detail umfassen wird und ob Ärzte tatsächlich dafür den 1,8-fachen Satz der GOÄ abrechnen werden, ist noch nicht zu Ende verhandelt.
Derzeit ist eine Vertragslösung im Gespräch, wonach die Vergütung nicht vom Gesetzgeber vorgegeben, sondern zwischen KBV und PKV ausgehandelt wird. Unklar ist ebenso, wer zahlen soll, wenn im Basistarif versicherte Bedürftige nicht einmal die Hälfte ihres Beitrags selbst finanzieren können, wie es derzeit vorgesehen ist.
Timo Blöß, Samir Rabbata, Sabine Rieser
Weitere Änderungen
Der Gesundheitsausschuss des Bundestags hat sich mit einer Vielzahl von Änderungsanträgen der Koalitionsfraktionen befasst. Unter anderem sollen zwei Details der Reform geändert werden, über die es seit längerem Debatten gibt:
- Für „nachweislich kosteneffektive Arzneimittel“ soll es keine Kosten-Nutzen-Bewertung und keinen Erstattungshöchstbetrag geben.
- GKV-Versicherte sollen flexibler entscheiden können, ob und wann sie Kostenerstattung wählen. Es soll weder eine Bindungsfrist von einem Jahr geben noch eine Festlegung auf Kostenerstattung für die gesamte ambulante Versorgung.