ArchivDeutsches Ärzteblatt4/2007Pharmaberater: Für manche Fachmann, für andere Buhmann

POLITIK

Pharmaberater: Für manche Fachmann, für andere Buhmann

Korzilius, Heike; Rieser, Sabine

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LNSLNS Täglich suchen Pharmaaußendienstler Praxen auf. Um dort zu informieren, sagen die einen. Um zu beeinflussen, die anderen. Sie sind umstritten wie eh und je. Doch konkreter als früher fordern Kritiker Distanz – und der Berufsverband mehr Qualität.

Gern gesehene Besucher, informierte Gesprächspartner, lästige Vertreter, skrupellose Verkäufer – Pharmaberaterinnen und -berater werden höchst unterschiedlich beurteilt. Ihre Kritiker würden sie am liebsten abschaffen. Andere freuen sich über handli-che Informationen, Präparatemuster, unentgeltliche Fortbildungen und kleine Aufmerksamkeiten. Rund 20 Millionen Mal pro Jahr sprechen 20 000 gut geschulte Männer und Frauen im Auftrag ihrer Firmen persönlich bei Ärztinnen und Ärzten vor. 2,5 Milliarden Euro lassen sich die Pharmaunternehmen diesen Service kosten, schätzen Fachleute. Bestätigt oder widersprochen wird dem nicht. Denn in den Zentralen der Pharmafirmen gibt man sich beim Thema Außendienst betont zugeknöpft: Man wolle sich von der Konkurrenz nicht in die Karten schauen lassen.
Image verbessern
Über den Einfluss von Pharmaberatern wird seit Langem diskutiert. In jüngster Zeit ist die Debatte erneut aufgeflammt. Anlass dafür sind die Ermittlungen beim Generikahersteller Ratiopharm, aber auch Forderungen aus der Ärzteschaft nach pharmaberaterfreien Praxen. Gleichzeitig bemüht sich der Berufsverband der Pharmaberater Deutschland e.V. (BdP), der nach eigenen Angaben die Interessen von rund 4 000 Mitgliedern vertritt, das Image durch qualifizierte Weiter- und Fortbildung zu verbessern. Darüber hinaus signalisieren mehr und mehr Unternehmen, dass sie in Zukunft eher weniger Außendienstler benötigen, dann aber Männer und Frauen, die auch mit den Kassen über Rabattverträge verhandeln oder Repräsentanten privater Krankenversicherer Paroli bieten können.
So viel ist sicher: Der Einfluss des Pharmaaußendienstes auf das Verordnungsverhalten der Ärzte ist nicht zu unterschätzen. „Der Außendienst ist das einflussreichste und gleichzeitig teuerste Werbemedium der Pharmafirmen“, folgert das Marktforschungsunternehmen TNS Health aus einer Studie vom Oktober 2006, an der 200 repräsentativ ausgewählte Ärzte teilnahmen. Das Gespräch mit dem Außendienstmitarbeiter sei die wichtigste Informationsquelle für Ärzte zu Produkten von Pharmaunternehmen – noch vor den Fortbildungsveranstaltungen, Veröffentlichungen in Fachzeitschriften und Informationsmaterial, das der Pharmareferent in der Arztpraxis zur Verfügung stellt.
Ähnliche Ergebnisse präsentierte gerade die Brendan-Schmittmann-Stiftung. Die Einrichtung, die dem NAV- Virchow-Bund nahesteht, hatte im Oktober in Kooperation mit fünf Pharmaunternehmen bundesweit 6 568 Vertragsärzte schriftlich befragt. Die Ergebnisse sind nicht repräsentativ, doch Fakt ist: Von 743 Ärztinnen und Ärzten, die antworteten, bezeichneten 63 Prozent Gespräche mit Pharmareferenten als wertvoll. 47 Prozent sehen keine Alternative zum Pharmaaußendienst.
Dieser sorgt jedoch seit Herbst 2005 wieder für Schlagzeilen. Damals berichtete der „stern“, wie Außendienstmitarbeiter von Ratiopharm auch Ärztinnen und Ärzte mit Geld dazu bewegt hatten, vermehrt Präparate der eigenen Firma zu verordnen. Im Verlauf der ersten Ermittlungen erwies sich, dass der Fall aus Sicht von Juristen nicht einfach ist. Denn weil sich niedergelassene Ärzte als Freiberufler durch die Annahme von Geschenken nicht strafbar machen, geht es um die knifflige Frage, ob Vertragsärzte als Auftragnehmer öffentlich rechtlicher Krankenkassen diese durch Vorteilsannahme geschädigt haben.
Die Staatsanwaltschaft Ulm hatte zunächst keine strafbewehrte Handlung erkennen können und ihre Ermittlungen eingestellt, diese auf Druck der Generalstaatsanwaltschaft Stuttgart aber Ende 2006 wieder aufgenommen. Am 18. Dezember durchsuchten Polizisten 400 Wohnungen von zum Teil ehemaligen Ratiopharm-Mitarbeitern. Es bestehe ein Anfangsverdacht, „Ärzte durch Geld- und Sachleistungen zur Verschreibung von Ratiopharm-Produkten angehalten und sich dadurch der Anstiftung oder Beihilfe zur Untreue beziehungsweise zum Betrug dieser Ärzte zum Nachteil von Krankenkassen strafbar gemacht zu haben“, begründete dies die Staatsanwaltschaft. Weitere Auskünfte zu den Ermittlungen gibt sie nicht, ebenso wenig Ratiopharm.
Ob strafbar oder nicht – Kritikern bestimmter Marketingaktivitäten ist das Verhalten von Ärzten und Pharmaberatern ein Dorn im Auge. „Als Hauptursache für den Trend zu teuren Arzneimitteln wird der Einfluss der Pharmaindustrie auf das Verordnungsverhalten der Ärzte angesehen“, betonte Prof. em. Dr. med. Ulrich Schwabe als Mitherausgeber bei der Vorstellung des jüngsten Arzneiverordnungs-Reports. „Um den übermäßigen Einfluss einzudämmen, sollten finanzielle Verflechtungen von Ärzten mit Pharmafirmen unterbunden werden.“ Schwabe plädiert dafür, viel mehr industrieunabhängige Informationen über neue Arzneimittel anzubieten. Bislang geschehe dies vor allem durch Pharmaberater, wobei nur ein kleiner Teil durch Studien belegt sei.
Eine Veröffentlichung vom Februar 2004 im „arznei-telegramm“ kam beispielsweise zu dem Ergebnis, dass „94 Prozent der Werbeprospekte der pharmazeutischen Industrie nicht durch valide wissenschaftliche Untersuchungen nachvollziehbar sind“. Die Branche selbst sieht das anders. Pharmakritikern wird immer wieder angekreidet, dass sie weitreichende Informationen zu Produkten verlangten, für die es sie noch nicht geben könne: für Innovationen. „Pharmaberater bringen Informationen über Innovationen in die Praxen“, betont auch Wolfgang Vogel, Vorsitzender des Berufsverbands der Pharmaberater (BdP). „Dass wir manches wissen, einiges vielleicht sogar besser und das oft früher als Ärzte, dürfen wir aber nicht laut sagen.“
Selbst Kritiker wie Schwabe räumen ein, dass es die Unternehmen selbst sind, die im Fall von Innovationen zunächst über die umfangreichsten Informationen verfügten. Deswegen seien beispielsweise Anwendungsbeobachtungen nicht grundsätzlich falsch. Dann müsse aber auch tatsächlich der Erkenntnisgewinn über ein neues Produkt im Vordergrund stehen und nicht überflüssige, aber bezahlte Studien zu älteren Präparaten.
Grundsätzlich verbietet es §34 der (Muster-)Berufsordnung den Ärzten, für die Verordnung von Arznei-, Heil- und Hilfsmitteln oder Medizinprodukten eine Vergütung oder andere Vorteile anzunehmen. Restriktive Regelungen gelten zudem für die Abgabe von Arzneimittelmustern und die Teilnahme an Anwendungsbeobachtungen. Auch Pharmaberater werden von Gesetzes wegen in die Pflicht genommen. So müssen sie ihnen bekannt gewordene Nebenwirkungen eines Präparats ihrem Unternehmen melden. Sie und nicht die Firma sind zudem formal für die korrekte Abgabe von Präparatemustern verantwortlich. Und irreführende Werbung durch Pharmaberater sei eine strafbare Ordnungswidrigkeit, warnt der BdP auf seiner Homepage, die mit Geldstrafen bis zu 25 000 Euro und sogar Freiheitsstrafen geahndet werden könne.
Einfluss auf das Verordnungsverhalten: 20 Millionen Arztkontakte haben Pharmaberater und -beraterinnen jährlich. Foto: Picture-Alliance/KEYSTONE
Einfluss auf das Verordnungsverhalten: 20 Millionen Arztkontakte haben Pharmaberater und -beraterinnen jährlich. Foto: Picture-Alliance/KEYSTONE
156 Verstöße gemeldet
Auch nach dem Verhaltenskodex, dem sich die Mitglieder des Vereins „Freiwillige Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie“ (FSA) unterwerfen, ist es unzulässig, Ärzten für die Verordnung oder Anwendung eines Arzneimittels Geld oder einen geldwerten Vorteil zu gewähren. Seit der Gründung 2004 sind dem FSA 156 Verstöße gemeldet worden. Die häufigsten Beschwerden, die vielfach von Mitgliedern eingereicht werden, betreffen Einladungen zu Fortbildungsveranstaltungen, Zuwendungen an die Ärzte sowie Preisausschreiben, sagt Geschäftsführer Michael Grusa: „Wir gehen jeder Form der unethischen Beeinflussung nach. Strafen haben wir noch nicht verhängt. Es gab aber auch noch keine Wiederholungstäter.“ Um die Spielregeln des FSA durchzusetzen, bietet er regelmäßig Schulungen an. Für die Umsetzung der ethischen Standards sind die Firmen selbst verantwortlich.
Starker Wettbewerbsdruck
Bislang sind allerdings die forschenden Pharmafirmen im FSA unter sich. Die Generika-Hersteller lehnen eine Mitgliedschaft ab. „Es ist ohnehin alles geregelt, was erlaubt und was verboten ist“, begründet Hermann Hofmann, Geschäftsführer des Verbandes Pro Generika, die Haltung der Branche. „Es gibt ein grundsätzliches Unverständnis in der Bevölkerung wie auch bei politischen Entscheidern, dass im Gesundheitswesen genauso Marketing betrieben wird, wie das in anderen Geschäftsbereichen üblich ist. Da wird auch eine freiwillige Selbstkontrolle nicht zu mehr Vertrauen führen.“ Auf den Herstellern von Nachahmerpräparaten laste überdies ein starker Werbedruck. „Wir müssen – selbstverständlich im legalen Rahmen – offensiv auftreten, um die Marktmacht der forschenden Pharmafirmen zu brechen“, sagt Hofmann. Dabei sieht er den Pharmaberater als „kompetenten, vertrauensvollen Ansprechpartner“, der im Generikabereich in erster Linie über gesundheitspolitische und ökonomische Kompetenz verfügen muss. „Was gibt es Neues, und wo ist der Preisvorteil? Das sind die Fragen, die die Pharmaberater beantworten müssen“, erklärt der Geschäftsführer von Pro Generika.
Als „vollkommen insuffizient“ bezeichnet Dr. med. Axel Munte die Bemühungen des FSA. Der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Bayerns nimmt bei seiner Kritik der Geschäftspraktiken der Pharmaindustrie kein Blatt vor den Mund: „Nicht die Krankheiten machen den Markt, sondern die Industrie.“ Doch Munte räumt auch ein, dass mancher Arzt pharmakologisch wenig versiert ist und dadurch kaum imstande, die Aussagen der Industrie zu bewerten. „Wir können anhand der Verordnungsdaten in einer Region genau nachweisen, ob ein Pharmareferent seinen Job versteht oder nicht“, sagt der KV-Chef.
Die Bayern haben im vergangenen Jahr einen Versuch gestartet, den Marketingaktivitäten des Pharmaaußendienstes etwas entgegenzusetzen. Drei Apothekerinnen besuchen in einer Modellregion in Mittelfranken verordnungsauffällige Ärzte und beraten diese in Sachen wirtschaftlicher Arzneimittel-therapie. „Die Wirkung ist sehr positiv“, sagt Munte. Wenn das Budget es hergibt – derzeit beteiligen sich die Krankenkassen zur Hälfte an den Kosten für die KV-eigenen Pharmaberaterinnen –, wollen die Bayern das Modell ausweiten. Gegen die schätzungsweise jährlich 20 Millionen Arztkontakte der Pharmaindustrie kommt man auf diese Weise jedoch nicht an. „Deshalb müssen wir das Niveau der Information der Pharmaindustrie heben“, sagt Munte.
Solche Aussagen hört Pharmaberater Vogel lieber als pauschale Kritik an seinem Berufsstand. Von pharmaberaterfreien Praxen, wie Munte sie auch schon propagiert hat, hält er nichts. Sein Verband setzt darauf, dass sich Kollegen in Zukunft stärker durch firmenunabhängiges Wissen über Pharmakologie, Pharmakovigilanz und Gesundheitsökonomie profilieren. Derzeit werden die Zulassungsvorgaben für Berufsanfänger verschärft. Darüber hinaus hat der BdP Kontakt zur Bundesärztekammer aufgenommen, um ein von der Ärzteschaft akzeptiertes Konzept zur zertifizierten Fortbildung von Pharmaberatern auf die Beine zu stellen. Dazu kooperiert der Verband mit der Fachhochschule Hannover, um über ein bereits angebotenes berufsbegleitendes Studium für Pharmaberater hinaus noch einen Bachelor-Studiengang aus der Taufe zu heben. Vogel ist davon überzeugt, dass dies der richtige Weg ist, wenngleich viele Unternehmen wie auch die Pharmaverbände nur zögerlich davon zu überzeugen sind.
„Der Pharmaberater kommt von sich aus zum Arzt in die Praxis. Jede andere Information erfordert eigene Aktivität vom Arzt“, findet hingegen Dr. Gerhard Schillinger vom Stabsbereich Medizin des AOK-Bundesverbands. „Gegen die finanzielle Macht der Pharmaindustrie hat die gesetzliche Krankenversicherung – die keine Gewinne machen darf und gesetzlich gedeckelte Verwaltungsausgaben hat – keine Chance“, ergänzt er. Gleichwohl haben die Allgemeinen Ortskrankenkassen eine eigene Pharmakotherapieberatung für Ärzte durch Beratungsapotheker auf die Beine gestellt. Sie kooperieren dabei mit anderen Kassen, zum Teil auch mit KVen wie zum Beispiel in Westfalen-Lippe.
David gegen Goliath
Auch Dr. med. Leonhard Hansen bezeichnet die Bemühungen der KVen, der Kompaktheit und Intensität der Informationen der Pharmaindustrie etwas entgegenzusetzen, als Kampf zwischen David und Goliath. Der Vorsitzende der KV Nordrhein bedauert es, dass die Ärzte unabhängige Beratungsangebote zur Arzneiverordnung kaum wahrnehmen. „Wir haben in Nordrhein niedergelassene Kollegen, die sich als Arzneimittelberater zur Verfügung stellen. Deren Inanspruchnahme tendiert allerdings gegen null“, berichtet er. Als Grund vermutet er die Furcht der Kollegen, sich eine Blöße zu geben.
Hansen ärgert sich zudem darüber, dass manche Pharmaberater Versuche der KV torpedieren, die Ausgaben zu steuern. „Wir haben 2006 mit unseren Arzneimittelinformationen, bestimmten Verordnungsquoten und der Analogpräparateliste messbare Einsparungen bei den Arzneimittelausgaben erzielt“, sagt er. „Jetzt geht der Pharmaaußendienst in die Praxen und sagt: Es ist genug gespart, jetzt könnt ihr wieder loslegen.“
Durchaus selbstkritisch sieht Dr. med. Eckhard Schreiber-Weber aus Bad Salzuflen sein Verhältnis zum Pharmaaußendienst. Der niedergelassene Allgemeinarzt ist Mitbegründer der Initiative „Mein Essen zahl ich selbst“, die sich am 31. Januar formell als Verein konstituieren will (www.mezis.de). Ziel ist es, ein Netzwerk von Ärztinnen und Ärzten zu schaffen, die ihr Verordnungsverhalten unabhängig von Interessen der Pharmaindustrie strikt am Patienten ausrichten. Dazu gehört für Schreiber-Weber auch, die Ärzte dafür zu sensibilisieren, wie beeinflussbar sie sind.
„Ich will mich da gar nicht ausnehmen“, sagt er. „Die Pharmareferenten hatten immer schöne Geschenke für die Kinder oder die Arzthelferinnen dabei. Heute nehmen weder ich noch meine Helferinnen so etwas an.“ Denn, sagt SchreiberWeber, der Einfluss der Pharmaberater auf der emotionalen Ebene sei nicht zu unterschätzen. Sie vermittelten den Ärzten ein Gefühl von Wichtigkeit, gingen auf ihre Interessen, Hobbys und Persönlichkeitsmerkmale ein. Darüber führten sie vielfach Buch: „Das unterschätzen die Kollegen.“ Deshalb empfängt Schreiber-Weber nur noch wenige Pharmareferenten und setzt auf unabhängige Information. Er hat die industrieunabhängigen Zeitschriften „arzneimitteltelegramm“ und „Arzneimittelbrief“ abonniert und sich eine eigene Positivliste erarbeitet.
Ihre Erfahrungen mit dem Pharmaaußendienst hat mittlerweile auch Dr. med. Catharina Benkwitz gemacht. Die Internistin hat sich vor drei Jahren in Berlin niedergelassen. „Am Anfang durfte jeder Pharmaberater in die Praxis“, erinnert sie sich. „Doch so hatte ich schnell das Gefühl, überrannt zu werden.“ Mittlerweile räumt sie dem Außendienst maximal drei Termine pro Tag ein, auch wenn diese „nicht mit der Informationsfülle behaftet sind, wie man vielleicht glaubt“. Die sucht sie eher auf Fortbildungsveranstaltungen und durch fachliche Lektüre. Das größte Plus der Außendienstlerbesuche seien die Muster, räumt sie unumwunden ein. Vor allem ältere Patienten mit wenig Geld fragten danach oder freuten sich darüber. Pharmareferentenfreie Praxen? „Das sollte jeder selbst entscheiden“, findet Benkwitz.
Problembewusstsein schaffen
Praxen ohne Pharmaaußendienstbesuche oder ein Zurückdrängen anderer Pharmamarketingmaßnahmen sind allerdings nicht einfach umzusetzen. Denn die Bereitschaft der Ärzte, für ihre Information und Fortbildung zu bezahlen, ist offenbar wenig ausgeprägt. „Ärzte empfinden Geschenke und kostenlose Fortbildung nicht als Privilegien, sie sind seit dem Studium nichts anderes gewöhnt“, sagte KV-Bayerns-Chef Munte im vergangenen Herbst der „Süddeutschen Zeitung“. Der Mitherausgeber des „Arzneiverordnungs-Reports“, Schwabe, stimmt dem zu, aber er sagt auch: „Ich will deswegen keinen einzelnen Arzt angreifen. Die Rahmenbedingungen sind eben nicht gut, das heißt: Die Ärzte werden zu schlecht bezahlt.“ Wollten sie die Kosten für eine industrieunabhängige Fortbildung tatsächlich vollständig selbst übernehmen und sich dazu eine unabhängige Information aufbauen, seien da-zu erhebliche Mittelverschiebungen notwendig, betont Schwabe. Weder Ärztekammern noch KVen hätten aber das Geld dafür.
Am „Absatz“ der Produkte der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ) kann Prof. Dr. med. Wolf-Dieter Ludwig, Onkologe am Helios-Klinikum Berlin-Buch und Vorsitzender der AkdÄ, erkennen, wie schwer unabhängige Information an den Mann zu bringen ist. Mit rund 3 000 Abonnenten erreichen die von der AkdÄ herausgegebenen „Arzneiverordnungen in der Praxis“ zu wenige Ärzte. Auch andere unabhängige Informationsblätter, wie der „Arzneimittelbrief“ hätten nicht die Verbreitung, die sie verdienten. „Wir müssen die Frage beantworten, wie es uns gelingen kann, unabhängige Arzneimittelinformationen dahin zu bringen, wo sie benötigt werden“, sagt Ludwig. „Dazu brauchen wir starke Partner wie die Kassenärztliche Bundesvereinigung und die Krankenkassen.“ Außerdem gelte es, bei den Ärzten Problembewusstsein zu schaffen. Pharmaberatern müsse man nützliche Fragen stellen: die nach guten kontrollierten Studien und unerwünschten Arzneimittelwirkungen. Über derartige Informationen sollten die Pharmaberater verfügen und sie mit den Ärzten diskutieren.
Pharmareferent Vogel hat in 30 Berufsjahren die Erfahrung gemacht, dass es sehr unterschiedliche Kunden gibt. „Es gibt hervorragend informierte Ärzte“, sagt er. Sie zeichne mehreres aus: Sie sind keine Einzelgänger, sondern telefonieren schon mal mit Kollegen wegen eines Falls. Sie bilden sich regelmäßig fort. Und sie lassen Pharmaberater in die Praxis kommen – weil sie gezielt etwas wissen wollen.
Heike Korzilius, Sabine Rieser

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