THEMEN DER ZEIT
Deutsche Ärzte in Schweden: Viel Licht, ein wenig Schatten


Rund 12 000
Ärztinnen
und Ärzte
aus Deutschland
haben aufgrund
schlechter werdender
Arbeitsbedingungen
bereits das
Land verlassen,
schätzt die Kassenärztliche
Bundesvereinigung.
Foto: dpa
Ist das Gras wirklich grüner außerhalb Deutschlands?“, fragen sich hierzulande immer mehr – vor allem jüngere – Ärzte, die es satthaben, sich mit unterbezahlten Jobs, hartem Arbeitsklima und unbezahlten Überstunden abzufinden. Ein Ausweg aus dem Dilemma scheint für viele Mediziner Schweden zu sein, das in den vergangenen Jahren zahlreiche Ärztinnen und Ärzte vor allem aus Deutschland abgeworben hat. Experten schätzten, dass sich inzwischen mehr als 1 000 deutsche Ärzte in Schweden eine neue Existenz aufgebaut haben. Allein auf der idyllischen Insel Gotland arbeite ein ganzes Dutzend deutscher Ärzte, berichtet ein Arbeitsmarktexperte bei einem Empfang der deutschen Botschaft in Stockholm.
Positiver Einstieg
im Karolinska-
Krankenhaus: Die
renommierte Universitätsklinik
in
Stockholm verfügt
über 1 600 Betten
und versorgt jährlich
rund 1,3 Millionen
Patienten.
Foto: Karolinska-Hospital
Zumindest ist so viel sicher: Nur wenige der in Schweden ansässigen deutschen Ärzte wollen nach Deutschland zurück. Zwar ist bei Weitem nicht alles nur positiv, aber in der Summe fühlen sich die meisten recht wohl. Ein Faktum ist auch, dass ausländische Ärzte von den Kommunen umhegt und gepflegt werden, denn der Ärztemangel in Schweden ist enorm, weil es an Ausbildungsplätzen mangelt.
Im Jahr 2008 fehlen schätzungsweise 1 000 Ärzte, die aus dem Ausland rekrutiert werden müssen. Engpässe gibt es überall, die sich durch enorme Wartezeiten für Behandlungen abzeichnen, die schon manchen Schweden das Leben kosteten. Vor allem in der Allgemeinmedizin und der Psychiatrie fehlt es an Medizinern. In einigen Kommunen liegt die Anzahl ausländischer Ärzte bei mehr als 25 Prozent. Viele stammen aus Deutschland, Polen, Spanien und Ungarn.
Der Assistenzarzt Robin Hofmann ist einer von ihnen. Als Bürger der Europäischen Union (EU) benötigt er weder eine Aufenthalts- noch eine Arbeitsgenehmigung, beides folgt automatisch mit dem Job. Der gebürtige Stuttgarter sitzt müde, aber dennoch entspannt im Büro seines Oberarztes, das er mitnutzen kann, wenn er möchte. „Hier duzen sich alle, und zu den Chefs hat man fast ein freundschaftliches Verhältnis“, sagt der 31-Jährige, der seinen Facharzt in der Kardiologie des angesehenen Stockholmer Krankenhauses „Södersjukhuset“ macht. Die Nachtschicht ist vorbei. Robin trägt kurze Hosen mit Armeemuster, Joggingschuhe und ein blaues Poloshirt. Trotz Nachtschicht sieht er aus, als ob er gerade vom Strand kommt.
Zumindest bedingt räumt der Assistenzarzt gleich zu Beginn ein Vorurteil aus: Auch in Schweden müssen Ärztinnen und Ärzte hart arbeiten. „Ich bin völlig fertig. In der Nacht kam ich mir vor wie im Krieg.
Wir sind zurzeit völlig unterbesetzt, weil kaum eine Krankenschwester auf ihren Urlaub verzichtet und es kein Geld für ausreichend Ersatz gibt“, sagt er. Also Zustände wie in Deutschland? „Nein, nicht ganz“, sagt Robin. „Auch hier kann es hart sein. Wenn ich aber meine Kollegen aus der Uni-Zeit in Heidelberg erlebe, schäme ich mich manchmal fast, ihnen zu erzählen, wie fantastisch ich es hier eigentlich habe.“
Liebe zu Stockholm:
Robin Hofmann
absolvierte in
der schwedischen
Hauptstadt seine
zweijährige AiP-Zeit
und erhielt im Anschluss
eine Weiterbildungsstelle
in der
Kardiologie.
Die flachen Hierarchien im schwedischen Arbeitsleben sind in der Kultur des Landes verankert. Es gilt als unfein, sich mit Titeln oder Positionen hervorzutun. „Jante lag“ nennen die Schweden das, und es bedeutet so viel wie: „Ich bin nicht besser als irgendjemand anderes.“
Nach seinem positiven Einstieg am Karolinska-Krankenhaus absolvierte Robin dort acht Monate seines praktischen Jahres. Das wurde damals besser bezahlt als in Deutschland und schloss einen Sprachkurs ein. Es dauerte nur wenige Monate, bis er sich fließend verständigen konnte.
Als seine Beziehung zerbrach, hatte er sich bereits ganz in Stockholm verliebt. Ein umfangreicher Freundeskreis und eine „super Stimmung“ in der Abteilung machten ihm das Bleiben leicht. Robin absolvierte seine zweijährige AiP-Zeit und bekam im Anschluss, Mitte 2005, die Assistenzarztstelle in der Kardiologie, die auch bei schwedischen Ärzten heiß begehrt war. „Die deutsche Mediziner-Ausbildung gilt hier als sehr solide. Manche halten sie für zu theoretisch, aber insgesamt hat man gute Karten. Deutsche gelten als arbeitsfreudig, engagiert und sehr gewissenhaft.“
Allerdings unterscheidet sich das Bewerbungsverfahren in Schweden deutlich von dem in Deutschland: Wichtiger als hierzulande ist neben den Noten und beruflichen Erfahrungen die Persönlichkeit des Bewerbers. „Statt sich auf Zensuren und Lebensläufe zu verlassen, ruft man bei Bezugspersonen aus der Studienzeit und der vorherigen Arbeitsstelle an und fragt nach persönlichen Eindrücken“, sagt Robin.
Robins Arbeitszeiten sind im Vergleich zu denen an einer deutschen Universitätsklinik sehr gut. „Während Extradienste hier wirklich geschätzt werden, werden sie in Deutschland einfach erwartet“, sagt er. Für Nachtschichten an Wochenenden oder das kurzfristige Einspringen für einen Kollegen verdient Robin bis zu viermal so viel pro Stunde wie zur regulären Arbeitszeit. 30 Prozent werden ausgezahlt, den Rest kann er frei nehmen.
„Wenn deine reguläre Schicht vorbei ist, gehst du nach Hause. Dass man länger bleiben muss, ist selten“, sagt der Deutsche und fügt hinzu, dass dies für nahezu alle Ärzte in Schweden gilt. Seine Arbeitswoche hat 55 bis 60 Stunden, weil er viele freiwillige Dienste leistet. Das durchschnittliche Arbeitspensum der Ärzte liegt bei 40 bis 45 Stunden.
Allerdings sehnt sich Robin zuweilen nach der deutschen Disziplin. „Schweden sind sehr konfliktscheu, was es manchmal schwer macht auszuloten, ob ein Vorgesetzter wirklich zufrieden mit deiner Arbeit ist oder nicht. Man muss sehr sensibel sein, weil niemand kommt und sagt: ‚Was hast du denn da für einen Mist gemacht?‘.“
Der lockere Umgang mit den Vorgesetzten und die wesentlich größeren Befugnisse der Krankenschwestern können die Arbeit manchmal auch erschweren. „Die Schwestern halten sich für sehr tüchtig und sind es oft auch. Manchmal muss man sich allerdings selbst daran erinnern, dass man als Arzt natürlich auch hier die volle medizinische Verantwortung trägt. Vor allem Ärztinnen haben damit Probleme. Auf der anderen Seite nehmen uns die Schwestern viel Arbeit ab, weil sie sehr viel mehr in Eigenregie machen dürfen als die Schwestern in Deutschland“, sagt Robin.
Lediglich beim Gehalt müssen deutsche Ärzte manchmal Abstriche machen, die sich aber durch Dienste kompensieren lassen. Je weiter ein Arzt bereit ist, sich aufs Land zu begeben, desto mehr verdient er. Dementsprechend sind die Löhne in der schwedischen Hauptstadt am geringsten. Die Lebenshaltungskosten liegen in Schweden rund 20 Prozent höher als in Deutschland. Als Assistenzarzt verdient Robin rund 4 000 Euro (inklusive Dienste). Ein Chefarzt erhält mit 6 000 bis 7 000 Euro deutlich weniger als in Deutschland.
Privat mangelt es Robin an nichts. Zwar macht es ihm zu schaffen, dass die Sonne im Winter weniger häufig scheint als in seiner Heimat, dem Schwabenland. Doch durch seine vielen Überstunden kann er sich hin und wieder eine Woche freinehmen. „In diesem Jahr war ich schon dreimal verreist“, sagt er und kann es selbst kaum glauben. Freunde fand der Assistenzarzt ohne Probleme, obwohl ihn alle vor der Zurückhaltung der Skandinavier gewarnt hatten.
Silke Krasulsky:
Beruflich lief in
Schweden alles
problemlos.
Fotos: André Anwar
Fotos: André Anwar
Beruflich lief alles problemlos, und Silke räumt gleich zu Beginn mit einem weiteren Vorurteil auf: Ärzte aus Deutschland sind keineswegs gezwungen, irgendwo auf dem platten Land zu praktizieren. Nach nur einem Tag im zentralen Bewerbernetz für Ärzte hatte sie drei befristete Jobangebote in der Region Stockholm. „Das war unglaublich. Nach vier Tagen waren es schon acht zumindest befristete Angebote“, sagt sie.
Ähnlich wie bei Robin sind auch Silkes Erfahrungen mit Arbeitszeiten und Arbeitsklima sehr positiv. „Es ist weniger rau als in Leipzig“, sagt sie. Weil die Leipzigerin noch keine Facharztanerkennung hat, liegt ihr Gehalt noch deutlich niedriger als mit Facharzttitel. Sie verdient allerdings jetzt genauso viel wie als Fachärztin am Krankenhaus in Leipzig – mit dem Vorteil, dass sie hier mit einer 40-Stunden-Woche und acht Patienten am Tag plus einer halben Stunde Telefondienst deutlich weniger arbeitet.
Der Donnerstag ist für Verwaltungsaufgaben vorgesehen. „Da würden die deutschen Praktiker ,toll‘ sagen. Aber wir haben hier unendlich viel mehr Schreibkram zu erledigen. Und das nervt schon manchmal“, seufzt Silke. Auffallend findet sie es, dass so viele ihrer Patienten Antidepressiva nehmen. „Erschreckend ist auch, wie lange die Leute krankgeschrieben werden wollen. Vier Wochen ist gar nichts, und alle sind immer ganz erstaunt, wenn ich sie nur eine Woche krankschreibe“, sagt sie.
Insgesamt fällt die Bilanz von Silke und Robin positiv aus, auch wenn sich beide vorstellen können, irgendwann auch wieder in Deutschland zu arbeiten.
André Anwar
Informationen im Internet-Forum Schweden: www.aerzteblatt.de/Foren/Schweden
Schürenberg, Burckhard
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