POLITIK
Anwendungsbeobachtungen: Zwischen Marketing und Wissenschaft


Macht des Rezeptblocks:
Ärzte, die an
einer Anwendungsbeobachtung
teilgenommen
haben, verordnen
auch später
mehr Arzneimittel
dieser Firmen.
Foto: Photothek
Von Schein-Forschung schreibt der „stern“, von „Millionenaufwand und kaum Nutzen“ spricht die Techniker Krankenkasse (TK). Die Rede ist von Anwendungsbeobachtungen (AWB), dem Sammeln von Informationen über die Anwendung eines zugelassenen Arzneimittels unter Alltagsbedingungen. 930 Millionen Euro werden dafür in Deutschland jährlich aufgewendet. Mit zwei Drittel der Kosten tragen die Krankenkassen den Löwenanteil, denn sie bezahlen die Arzneimittel, die im Rahmen von AWB verordnet werden. „Diesen hohen Kosten für die Solidargemeinschaft stehen allerdings nur magere Ergebnisse gegenüber“, kritisierte die TK Ende 2006. Dessen Wissenschaftliches Institut hatte Daten der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) zu 118 AWB ausgewertet, an denen 355 000 Patienten und 57 000 Ärzte teilnahmen. Nur jede dritte AWB sei so ausgelegt, dass ihre Ziele erreichbar seien. Nicht einmal jede fünfte Studie sei zur Veröffentlichung gedacht.
Die Klage ist nicht neu. Das Instrument der AWB ist seit jeher umstritten, und nach wie vor dient ein großer Teil der Studien schlicht dazu, neue und teure Medikamente in den Markt zu drücken. Für viele Ärzte springt dabei ein leicht verdientes zusätzliches Entgelt heraus. Versuche, flächendeckend für ein angemessenes wissenschaftliches Niveau zu sorgen, gab es viele. Seit der 14. Novelle zum Arzneimittelgesetz im Jahr 2005 sind die Pharmafirmen verpflichtet, Anwendungsbeobachtungen der KBV, den Spitzenverbänden der Krankenkassen und dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) zu melden. Dabei müssen sie Ort, Zeit und Ziel der AWB angeben sowie die Namen der beteiligten Ärzte. Mit Inkrafttreten der Gesundheitsreform am 1. April kommt als verpflichtende Angabe noch die Höhe der an die Ärzte gezahlten Vergütungen dazu. Ob das reine Datensammeln aber dazu taugt, die wissenschaftliche Qualität der AWB nachhaltig zu verbessern, bleibt dahingestellt. Denn nach wie vor müssen weder das Studiendesign beschrieben noch die Ergebnisse gemeldet oder veröffentlicht werden.
„Anwendungsbeobachtungen bieten ein breites Diskussionsfeld“, räumt Dr. med. Simone Breitkopf vom Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) ein. Dabei gebe es durchaus Firmen, die wissenschaftlich äußerst anspruchsvolle AWB durchführten. Auch unter Wissenschaftlern, die der Industrie weniger nahestehen, ist unumstritten, dass AWB ein wichtiges Instrument sein können, um mehr über Anwendung, Sicherheit und gesundheitsökonomische Aspekte von Arzneimitteln zu erfahren. Der Haken: Für die Phase nach der Zulassung eines Arzneimittels – somit auch für AWB – sind in den Firmen die Marketing-Abteilungen zuständig. Sie können sich mit der Forschungsabteilung abstimmen, müssen das aber nicht. Und freiwillig dürfte kaum eine Marketingabteilung dieses wertvolle Instrument aus der Hand geben. Denn eine 2006 im Amerikanischen Ärzteblatt publizierte Untersuchung belegt, dass Ärzte nach dem Ende einer AWB häufiger Präparate dieser Hersteller verordnen. Ob die mit der Gesundheitsreform geforderte Offenlegung der ärztlichen Honorare zu mehr Seriosität führt, bleibt abzuwarten. Die Mitglieder der Freiwilligen Selbstkontrolle für die Arzneimittelindustrie haben sich bereits verpflichtet, dies zu tun. BPI-Mitarbeiterin Breitkopf betont, dass auch der Industrie an qualitativ hochwertigen AWB gelegen ist. Zurzeit überarbeitet der Verband gemeinsam mit der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft einen AWB-Leitfaden, an dem sich auch Ärzte, die an einer solchen Studie teilnehmen wollen, orientieren können. Bereits 1998 hatte das BfArM Empfehlungen zur Durchführung von Anwendungsbeobachtungen veröffentlicht. Die TK hält es vor diesem Hintergrund für einen ersten Schritt, wenn die existierenden Qualitätsvorgaben eingehalten würden und die Pharmafirmen verpflichtet wären, ihre Methodik und die Studienergebnisse zu veröffentlichen. „Mit der Pflicht zur Veröffentlichung würde sich auch die Qualität von AWB verbessern“, zeigt sich Dr. Eva Susanne Dietrich überzeugt. Die Direktorin des Wissenschaftlichen Instituts der TK fordert darüber hinaus – ähnlich wie bei klinischen Studien – die Veröffentlichung aller geplanten AWB im Internet. „Dann kann man auch überprüfen, ob Ergebnisse tatsächlich publiziert werden.“ Heike Korzilius
Herrmann, Hans