ArchivDeutsches Ärzteblatt10/2007Medizinrechtliche Probleme am Ende des Lebens: Der Wunsch nach einem „natürlichen“ Tod

THEMEN DER ZEIT

Medizinrechtliche Probleme am Ende des Lebens: Der Wunsch nach einem „natürlichen“ Tod

Klinkhammer, Gisela

Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS
Foto: Keystone
Foto: Keystone
Zurzeit wird wieder intensiv über die rechtliche Bindung von Patientenverfügungen diskutiert. Sie bedeuten eine Hilfestellung, werfen gleichzeitig aber auch Fragen auf.

Die meisten Menschen wünschen sich einen plötzlichen Tod, beispielsweise im Schlaf durch einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall. Doch nur bei jedem vierten tritt der Tod „als natürliches Ereignis ohne ärztliche Beeinflussung des Sterbezeitpunkts ein“. Das sagte der Anästhesiologe und Palliativmediziner, Prof. Dr. med. H. Christof Müller-Busch.
Im Zweifel pro vita
Der Beginn des Sterbens werde in der heutigen Medizin nur noch selten von einer natürlichen Autonomie bestimmt, sondern von der Fremdbeurteilung der Irreversibilität einer Krankheit. „Die rechtliche Unsicherheit ist groß, sie beschäftigt hierzulande die Medizin, Ärzteschaft, aber auch die praktische Rechtspflege in besonderem Maße.“ 65 Prozent der Ärzte, die auf eine Befragung der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin geantwortet haben, sprechen sich deshalb für eine rechtliche Regelung der Sterbehilfe aus. Das gilt, so Müller-Busch, besonders für solche Situationen, in denen die Selbstbestimmung der Kranken eingeschränkt oder nicht vorhanden ist, „und das ist in Todesnähe eigentlich immer der Fall“.
Doch wie ist überhaupt die bisherige Rechtslage? Nach Prof. Dr. jur. Dr. rer. pol. Klaus Ulsenheimer, München, hat grundsätzlich der Lebensschutz Vorrang. „Die prinzipielle Unantastbarkeit fremden Lebens, das Leben als vitale Basis der Menschenwürde steht in der Werteordnung des Grundgesetzes an oberster Stelle der zu schützenden Rechtsgüter.“ Im Zweifel sei pro vita zu entscheiden, wenn beim Patienten Aussicht auf Besserung bestehe. Nicht alles medizinisch Machbare müsse jedoch auch gemacht werden. Das Selbstbestimmungsrecht des Patienten verbiete eine Behandlung gegen seinen Willen. Das Grundgesetz erkenne kein Recht auf Selbsttötung an, der Suizid und die Teilnahme (Beihilfe und Anstiftung) daran seien zwar straflos, könnten aber berufsrechtlich geahndet werden.
Die sogenannte indirekte Sterbehilfe sei nach einhelliger Auffassung zulässig. Im Rahmen der passiven (durch Unterlassung begangenen) Sterbehilfe (Verzicht auf die Fortsetzung der Behandlung, Nichtaufnahme der Behandlung) sei, so Ulsenheimer, zwischen der Hilfe beim Sterben, der eigentlichen Sterbehilfe und der Hilfe zum Sterben zu unterscheiden. Nur die Hilfe beim Sterben sei straflos, setze aber voraus, dass das Grundleiden des Patienten nach ärztlicher Überzeugung irreversibel sei und der Tod in Kürze eintreten werde. Bei der Hilfe zum Sterben sei das Selbstbestimmungsrecht des Patienten maßgebend. Wenn ein aktueller oder antizipativer Wille nicht ermittelt werden könne, komme es auf den mutmaßlichen Willen des Patienten an.
Für die Ermittlung des mutmaßlichen Willens sind Patientenverfügung eine wertvolle Hilfe. Diese Patientenverfügungen sind ebenso wie Vorsorgevollmachten im Prinzip bereits jetzt verbindlich, dennoch ergeben sich häufig Probleme bei der Auslegung. „Sie sind oft inhaltlich unklar, werden aus dem Internet heruntergeladen und häufig nicht vollständig ausgefüllt“, sagte der Essener Vormundschaftsrichter Georg Dodegge.
Ausbau der Palliativmedizin
Für mehr Rechtssicherheit wollen die Parteien im Bundestag fraktionsübergreifende Gruppenanträge vorlegen, einen Regierungsentwurf werde es voraussichtlich nicht geben, berichtete Prof. Dr. jur. Dr. med. h. c. Hans-Ludwig Schreiber. Dabei werde unter anderem über unterschiedliche Kriterien für Form und Reichweite der Patientenverfügung diskutiert, ob sie unabhängig von Art und Stadium einer Krankheit oder nur im Endstadium einer irreversibel tödlich verlaufenden Krankheit gelten solle. Rolle und Befugnis eines Betreuers würden unterschiedlich beurteilt. Strafrechtliche Regelungen sollten, so Schreiber, vom zu erwartenden Gesetz nicht tangiert werden. (Kasten)
Die Beschlüsse des letztjährigen Juristentages sehen Schreiber zufolge nicht nur Bestimmungen über die Patientenverfügung, sondern auch über die zulässige Begrenzung lebenserhaltender Maßnahmen, die Bedeutung des mutmaßlichen Willens sowie eine zulässige Medikation mit möglicher Lebensverkürzung vor. „Die Patientenverfügung ist ein wichtiger Schritt zur Klärung der ungeregelten Fragen der Sterbehilfe, eine sich, wie der Juristentag formuliert, sektoral allein auf die Patientenverfügung beschränkende Regelung genügt aber nicht“, meinte Schreiber.
Die aktive, direkte Sterbehilfe sei durch § 216 Strafgesetzbuch verboten, „die überwiegende Ansicht wolle daran festhalten“, sagte Schreiber. In den Niederlanden dagegen sei aktive Euthanasie unter bestimmten Voraussetzungen zulässig, und daran solle sich in absehbarer Zeit auch nichts ändern, berichtete der frühere Politikberater am niederländischen Gesundheitsministerium, Dr. jur. Jacob Jan Frederik Visser.
Der Präsident der Berliner Ärztekammer, Dr. med. Günther Jonitz, plädierte für eine Wiederbelebung primärer ärztlicher Tugenden und Souveränität sowie einen Ausbau der Palliativmedizin. Dass für eine angemessene Sterbebegleitung nicht nur rechtliche Sicherheit notwendig sei, sondern dass auch die Ausbildung und das Wissen über ethische Prinzipien verbessert werden müsse, betonte Müller-Busch. Alles Notwendige enthalten seiner Ansicht nach die Grundsätze zur Sterbebegleitung der Bundesärztekammer. Sie sollten zur Pflichtlektüre für jeden Arzt werden, forderte der Palliativmediziner.
Gisela Klinkhammer

34. Symposion für Juristen und Ärzte der Kaiserin-Friedrich-Stiftung für das ärztliche Fortbildungswesen am 16. und 17. Februar in Berlin

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote