

Diese beiden Sitzenden
stülpen
sich eine Prothese
über den Amputationsstumpf
(Moche-
Keramiken, Privatsammlung).
Fotos: Jürgen Heck
Aus der Moche-Kultur (circa 0 bis 800 n. Chr., Nordküste Perus) haben sich Bildnereien erhalten, die zum Besten gehören, was die Kunst des altindianischen Amerika geschaffen hat. Hauptmedium ist Keramik. Figuren aus gebranntem Ton, ursprünglich bei Erdbestattungen neben Verstorbene gelegt, sind mittlerweile in Vielzahl und Vielfalt ausgegraben worden. Die Gestaltungen präsentieren ein reiches Motivspektrum. Darunter sind auch Darstellungen von Krankheiten und Körperdeformationen. Ihre Realitätsnähe und ihre Mannigfaltigkeit sind in der Kunst Altamerikas einmalig. Über den Sinn dieser figürlichen Thematisierungen des Abnormen ist viel gerätselt worden. Eine authentische Erläuterung durch textliche Überlieferung fehlt. Die Moche waren schriftlos.
Jenseitsszene:
Teilentfleischte
Menschen im Reigen.
In der Mitte ein
Prothesenträger
(Moche-Keramik,
Ethnologisches Museum
Berlin)
Es stellt sich die Frage nach dem Warum der Amputationen. Zur Bestrafung? Kaum denkbar, dass man Verbrecher im Totenkult durch Nachbildungen würdigte. Zudem fehlen Fesseln oder dergleichen. Therapeutische Maßnahmen oder Traumen sind gleichfalls auszuschließen, denn die Absetzungsstelle ist immer dieselbe, nämlich der distale Unterschenkel. Beidseitigkeit ist häufiger als Einseitigkeit. Überdies ist niemals eine adäquate Krankheit mit abgebildet. Somit bleiben als Veranlassungen der Amputationen nur Sakralopfer, und dies umso mehr, als es Moche-Bildnereien gibt, die visuelle Indizien für die Bedeutung von Amputaten bei Opferkulten sind. Derlei scheint moderner Denkungsart eine grausige Unsinnigkeit, aber im altindianischen Amerika waren Ritualopfer gang und gäbe, bei denen Blut floss, auch menschliches, vollzogen aus der Erwartung, damit neue Zyklen des Stirb und Werde in der Natur anzustoßen.
Zwischen Beinamputation und Jenseitsvorstellungen muss für die Moche eine wie auch immer geartete Verbindung bestanden haben. In Totenreigen – Szenen, in denen Teilskelette wie Lebende agieren – lässt die Moche-Kunst Prothesenträger auftreten.
Dr. med. Jürgen Heck
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