ArchivDeutsches Ärzteblatt11/2007Schlaganfall: Medizinischer Sachverstand und ethisches Gespür
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Eine Patentlösung für die Betreuung schwer betroffener Schlaganfallpatienten ist nicht in Sicht. Foto: picture-alliance/ZB
Eine Patentlösung für die Betreuung schwer betroffener Schlaganfallpatienten ist nicht in Sicht.
Foto: picture-alliance/ZB
Die Behandlung einer zunehmenden Zahl schwer betroffener Schlaganfallpatienten wird angesichts schwieriger Entscheidungssituationen und knapper werdender Ressourcen zu einer großen Bewährungsprobe.

In Deutschland erleiden jährlich etwa 180 000 Menschen einen Schlaganfall. Nach den Ergebnissen der Deutschen Schlaganfallbank beträgt die Letalität des Schlaganfalls etwa 15 Prozent innerhalb der ersten drei Monate; ein Viertel der Schlaganfallpatienten überlebt mit schwerer Behinderung (1). Mit den individuellen Schicksalen und den sozialpolitischen Auswirkungen des schweren Schlaganfalls müssen sich Ärzte intensiver beschäftigen als bisher, zumal die Anzahl älterer Menschen deutlich wächst und der Schlaganfall vorwiegend eine Erkrankung des höheren Lebensalters ist (2, 3).
Je nach Lokalisation und Ausdehnung der Läsion verursacht ein Schlaganfall unterschiedliche zerebrale Herdsymptome (4, 5): Hemisphärische Insulte gehen vor allem mit Hemiparese, Aphasie, Hemineglekt und anderen komplexen neuropsychologischen Defiziten einher. Hirnstamminsulte führen zu Hirnnervenausfällen, Hemi- und Tetraparesen sowie Bewusstseinsstörungen; bei bilateralen Brückenfußinfarkten kann es zum Locked-in-Syndrom kommen. Ausgedehnte und multilokuläre Schlaganfälle hinterlassen oft schwere neurologische Defektzustände. Auf den Gebieten der Prävention, Akuttherapie, Sekundärprophylaxe und Rehabilitation des Schlaganfalls konnten in den vergangenen zehn Jahren umfangreiche Fortschritte erzielt werden (58).
Patienten, die voraussichtlich nach kurzer Zeit sterben oder eventuell mit schwersten neurologischen Defiziten überleben werden, haben meist ausgedehnte oder ungünstig lokalisierte irreversible Hirnparenchymläsionen erlitten (7). Unmittelbar vital bedrohliche Akutsituationen sind bei Insultpatienten oft intensivmedizinisch beherrschbar, wobei die zunehmende Verfügbarkeit und Anwendung lebensrettender Therapiemaßnahmen (6) nicht nur positive Auswirkungen hat. Bei kritischer Betrachtung muss davon ausgegangen werden, dass eine noch unbekannte Anzahl „geretteter“ Schlaganfallpatienten für den Rest des Lebens schwerstbehindert bleiben wird. Noch bedenklicher ist die Gefahr einer zu pessimistischen initialen Bewertung der Prognose mit der Konsequenz einer verfrühten Beendigung der kurativen therapeutischen Bemühungen.
Wenn aber zu Beginn oder im Verlauf der Erkrankung bei umfassender medizinischer Bewertung des Krankheitsbildes keine realistische Perspektive zu erkennen und der Tod des Patienten absehbar ist, sollten Behandlungsansätze, die einen kurativen Charakter haben, aufgegeben werden. Stattdessen ist ein palliatives Therapieziel anzustreben (913). Palliativmedizinische Maßnahmen sollten auch im Vordergrund stehen, wenn eindeutig eine dauerhafte schwere Behinderung vorliegt und dadurch die Lebensqualität in einem für den Betroffenen nachweisbar inakzeptablen Ausmaß eingeschränkt wird. In jedem Fall ist die unmissverständliche Absage an die aktive Sterbehilfe (exakter: Tötung auf Verlangen) eine elementare Voraussetzung unserer ärztlichen Tätigkeit (14).
Selbstbestimmung und mutmaßlicher Wille
Kranke, die nach einem schweren Insult nicht hinreichend kommunikationsfähig sind, können an Entscheidungsprozessen über ihre Behandlung nicht aktiv teilnehmen. Die Diskussion über das anzustrebende Therapieziel wird daher in der Regel zwischen Ärzten und Angehörigen geführt. Das Pflegeteam sollte immer mit eingebunden werden.
Oberste Priorität hat der erklärte oder mutmaßliche Wille des Patienten (15). Da in den meisten Fällen keine Patientenverfügung vorliegt, gilt es, in Gesprächen mit Angehörigen, anderen nahestehenden Personen und dem Hausarzt den mutmaßlichen Willen des Patienten so genau wie möglich zu eruieren. Es ist für die Angehörigen hilfreich, wenn der Arzt betont, dass es nicht um die Wünsche der Familie geht, sondern um die Frage, wie der Patient in dieser konkreten Situation im Hinblick auf die Therapieoption und die Prognose entscheiden würde, wenn man ihn selbst fragen könnte.
Im Falle einer Entscheidung, die auf dem Fehlen einer medizinischen Indikation für eine bestimmte Maßnahme beruht (zum Beispiel Beendigung einer Beatmung bei irreversibel eingesetztem Sterbeprozess), tragen die Ärzte die alleinige Verantwortung. Das ist für die Angehörigen sehr entlastend – es sollte daher immer von ärztlicher Seite zunächst die Frage nach der Indikation geklärt werden, bevor das Gespräch über den mutmaßlichen Willen initiiert wird.
Im Falle einer Entscheidung zwischen zwei oder mehreren medizinisch indizierten Alternativen liegt die Entscheidungshoheit formal beim Betreuer oder Bevollmächtigten; praktisch gesehen sollte der Arzt immer darauf hinwirken, dass eine Konsensentscheidung zwischen allen Beteiligten erreicht und gemeinsam getragen werden kann (15).
In der Akutphase des schweren Schlaganfalls stehen die verantwortlichen Ärztinnen und Ärzte vor der Aufgabe, die Prognose einzuschätzen und über Diagnostik- und Behandlungsumfang zu entscheiden. Der sorgfältig erhobene klinisch-neurologische Befund, der Schweregrad der Ausfälle und die Wahrscheinlichkeit einer Reversibilität oder funktionellen Kompensation sind wesentliche Kriterien für die Beurteilung der Prognose. Außerdem ist es – insbesondere bei alten Patienten (16) – wichtig, bestehende Komorbiditäten und die bisherige Selbstständigkeit ausreichend zu würdigen. Durch neuroradiologische Untersuchungen müssen Lokalisation und Ausdehnung der zerebralen Schädigung im Kontext der klinischen Auswirkungen kritisch bewertet werden (17). In der am häufigsten angewandten Computertomographie (CT) kommt das Infarktareal nach einigen Stunden hypodens zur Darstellung; die zuverlässige Abgrenzung der definitiven Infarktgröße ist nach etwa 24 Stunden möglich. Im weiteren Verlauf ist jedoch bei der Interpretation der CT-Bilder zu beachten, dass sich die Dichte des Infarktareals infolge gliöser Umbauvorgänge in einem Zeitintervall zwischen circa zehn und 20 Tagen vorübergehend normalisieren kann. Dieser Effekt wird als Fogging bezeichnet und kann zu einer erheblichen Unterschätzung der Infarktgröße führen.
Mit der Magnetresonanztomographie (MRT) ist das definitive Infarktareal früher und zuverlässiger abzugrenzen als im CT. In den diffusionsgewichteten Sequenzen korreliert die Signalanhebung bereits in den ersten Stunden nach Infarktbeginn sehr gut mit der Ausdehnung des irreversibel geschädigten Hirngewebes, was eine frühzeitige prognostische Einschätzung ermöglicht. In den T2- und FLAIR-Sequenzen ist das Infarktareal nach circa 24 Stunden komplett demarkiert. Für die Entscheidungen in der Akutphase kann es erforderlich sein, nicht nur das bereits irreversible Infarktareal identifizieren zu können, sondern auch das umgebende Hirngewebe (sogenannte Penumbra), das zwar eine Mangeldurchblutung aufweist, jedoch durch rekanalisierende Maßnahmen – insbesondere durch Thrombolyse – gerettet werden kann („tissue at risk“). Der Nachweis dieser Penumbra gelingt mit der Perfusions-MRT und neuerdings auch mit der Perfusions-CT. Die Erfassung eines sogenannten mismatch, bei dem das Volumen des in der Perfusionswichtung angezeigten Hirngewebes größer ist als der bereits irreversible Infarktkern, kann die Indikation zur Thrombolysetherapie stützen. Ein Gefäßverschluss, der dem Infarkt zugrunde liegt, lässt sich innerhalb weniger Minuten MR- oder CT-angiographisch erfassen.
Therapieziele und Unwägbarkeiten
Mit diesen Informationen müsste zu einem bestimmten Zeitpunkt während der Akutversorgung von ärztlicher Seite eine Entscheidung über das anzustrebende Therapieziel getroffen werden. Um die weitere therapeutische „Marschroute“ festzulegen, wäre eine kurze Phase der Reflexion und Beratung angebracht; sie findet jedoch eher selten statt. Die unausgesprochenen Unwägbarkeiten und Befürchtungen sind zu groß: Eine ziellose kurative Therapie mit unreflektierter Ausschöpfung akut- und intensivmedizinischer Ressourcen kann zum Überleben mit schwersten Behinderungen führen. Wenn sich aber eine initiale pessimistische Prognose im Verlauf als falsch erweist, dann hat der vorherige Verzicht auf kurative Therapie eventuell einen weitaus größeren Schaden angerichtet. In einem solchen Szenario wird der Patient seiner Überlebenschancen beraubt, oder – noch schlimmer – er überlebt mit zusätzlichen Defiziten, die retrospektiv auf unzureichende oder nicht rechtzeitige Nutzung therapeutischer Optionen zurückzuführen sind. Die ärztliche Verantwortung ist in solchen akuten Entscheidungssituationen mit einem unlösbaren Dilemma behaftet. Bei einer wirklich unklaren Prognose ist es in der Frühphase des schweren Insultes medizinisch richtig und ethisch absolut legitim, kurative Behandlungsmaßnahmen konsequent einzusetzen beziehungsweise fortzusetzen. Allerdings wird die Notwendigkeit, solche konkreten Entscheidungen zu treffen, von den zuständigen Ärzten im klinischen Alltag manchmal überhaupt nicht wahrgenommen oder unbewusst verdrängt, mit der Folge, dass kurative Maximaltherapie hinsichtlich ihrer Sinnhaftigkeit nicht mehr hinterfragt und somit zum Selbstläufer wird.
Bisweilen werden schwierige Entscheidungen über Therapiebegrenzungen immer wieder verschoben, oder man versucht, sie an eine andere Fachdisziplin zu delegieren. Es wäre schon viel erreicht, wenn man ein selbstkritisches Bewusstsein für diese Verdrängungsmechanismen entwickeln würde. Um diesem ersten Ziel näher zu kommen, müssen im Klinikalltag unter anderem ganz entschieden Führungsaufgaben wahrgenommen werden: Was Chefärzte und Oberärzte in solchen Entscheidungsprozessen nicht vorleben und selbstbewusst verantworten, wird naturgemäß auch nicht von Assistenzärzten in Weiterbildung erlernt oder gar verinnerlicht (18). Die Angst vor forensischen Konsequenzen, die sich als Zeitgeist bisweilen auch in überzogenem Risikomanagement widerspiegelt, ist bei Ärzten in leitender Funktion unredlich, denn sie fokussiert auf die eigenen Interessen, nicht auf die Bedürfnisse der Patienten. Wer als Arzt fachlich kompetent, fürsorglich und gewissenhaft handelt, verhält sich auch gesetzeskonform.
Mit den individuellen Schicksalen und den sozialpolitischen Auswirkungen des schweren Schlaganfalls müssen sich Ärzte intensiver beschäftigen als bisher. Foto: Visum
Mit den individuellen Schicksalen und den sozialpolitischen Auswirkungen des schweren Schlaganfalls müssen sich Ärzte intensiver beschäftigen als bisher. Foto: Visum
Fallbeispiele
Einige Kasuistiken sollen die Komplexität der bisher erörterten Problematik in der klinischen Praxis verdeutlichen: Fallbeispiel 1: Ein 61-jähriger zuvor gesunder Ingenieur mit eigenem Betrieb verspürt beim Tennisspiel plötzlich einen heftigen Halsschmerz links lateral; wenige Stunden später entwickelt sich eine rasch progrediente Hemiparese rechts, kurz darauf auch eine Sprachstörung. Zum Zeitpunkt der stationären Aufnahme findet sich als Ursache der Hemiplegie rechts und der globalen Aphasie computertomographisch ein ausgedehnter Mediainfarkt links (Frühzeichen); die Duplexsonographie zeigt die typischen Veränderungen einer Dissektion der A. carotis interna links. Eine Thrombolyse kommt bei deutlicher Überschreitung des Zeitfensters nicht mehr in Betracht. In den folgenden 36 Stunden zeigt sich eine langsame Bewusstseinstrübung; im Kontroll-CCT demarkiert sich jetzt ein kompletter Mediainfarkt mit beginnender Raumforderung. Die vitale Bedrohung durch die intrakranielle Druckerhöhung zeichnet sich trotz Ausschöpfung der konservativen Therapiemaßnahmen auf der Stroke Unit bereits zu diesem Zeitpunkt ab.
Die Behandlungsoption einer potenziell lebensrettenden Kraniektomie wird mit der Ehefrau und zwei erwachsenen Töchtern des Patienten erörtert. Dabei werden die zu erwartenden bleibenden Defizite (Aphasie und hochgradige Hemiparese) eingehend besprochen. Eine Patientenverfügung liegt nicht vor; der mutmaßliche Wille des Betroffenen lässt sich jedoch anhand der Angaben der Angehörigen eindeutig eruieren: In früheren Gesprächen mit seiner Familie habe er mehrfach darauf hingewiesen, dass ein Leben mit schwerer Behinderung und Pflegebedürftigkeit für ihn absolut unvorstellbar sei. Auf eine operative Dekompression wird verzichtet; der Patient stirbt am vierten Tag an den Folgen der transtentoriellen Einklemmung bei zunehmendem Hirnödem; das Schädel-CT zeigt das Ausmaß der massiven zerebralen Läsion. Trotz des tragischen Verlaufes haben Angehörige und behandelnde Ärzte am Ende die (subjektive) Gewissheit, im Sinne des Patientenwillens gehandelt zu haben.
Fallbeispiel 2: Ein 48-jähriger italienischer Schlosser (verheiratet, drei Kinder im Alter von sieben bis 16 Jahren) wird nachts auf der Straße somnolent und mit einer hochgradigen Halbseitenlähmung rechts vorgefunden. Bei Aufnahme bestehen eine Hemiplegie und eine globale Aphasie; im CCT findet sich eine beginnende Infarktdemarkierung im gesamten Mediastromgebiet links; die CT-Angiographie zeigt einen Verschluss der A. cerebri media links. Eine Thrombolyse ist kontraindiziert. Als einziger Gefäßrisikofaktor lässt sich fremdanamnestisch ein ausgeprägter Nikotinkonsum eruieren. Zwei Jahre zuvor wurde er wegen einer transitorischen ischämischen Attacke im Mediastromgebiet links stationär in einer auswärtigen Klinik behandelt; die seinerzeit verordnete Sekundärprophylaxe mit Acetylsalicylsäure hatte er nach wenigen Wochen wieder abgesetzt. Bereits innerhalb der ersten acht Stunden auf der Stroke Unit lässt sich eine zunehmende Bewusstseinstrübung feststellen. Bei dem somnolenten Patienten zeigt das Kontroll-CCT eine beginnende Ödementwicklung im infarzierten Mediastromgebiet. Eine Patientenverfügung liegt nicht vor. Die Angehörigen werden eingehend über die Ernsthaftigkeit der Erkrankung und die Möglichkeit einer potenziell lebensrettenden Kraniektomie informiert. Es handelt sich um eine italienische Großfamilie, die eine sehr enge emotionale Bindung an den Patienten erkennen lässt.
Die Familienmitglieder kommen zu dem Schluss, dass der Patient schwerste Behinderungen in Kauf genommen hätte, wenn er nur für seine Familie, insbesondere für seine Kinder, weiterleben könnte. Die Angehörigen befürworten ausdrücklich im Interesse des Kranken die Kraniektomie, die umgehend durchgeführt wird. Der Patient überlebt und wird nach Beendigung der dreiwöchigen Akuttherapie über vier Monate in unserer Klinik für neurologische Frührehabilitation behandelt. Er bleibt jedoch rollstuhlpflichtig und hochgradig aphasisch; er lebt zu Hause und wird mit großer Fürsorge von seiner Ehefrau und seinen Geschwistern versorgt.
Auch rückblickend bleibt unklar, ob mit der lebensrettenden Kraniektomie tatsächlich der mutmaßliche Patientenwille oder vielmehr der Wunsch der Familie erfüllt wurde. Ebenso unklar bleibt, ob sich die Familie zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Tragweite der bleibenden Behinderung bewusst war. Trotzdem ist die Entscheidung in dieser Situation als einzig mögliche und richtige anzusehen.
Fallbeispiel 3: Eine 81-jährige Patientin, die bislang selbstständig in ihrer eigenen Wohnung gelebt hatte und bei der an Vorerkrankungen lediglich eine Tachyarrhythmia absoluta und eine arterielle Hypertonie bekannt waren, wurde wegen einer akut aufgetretenen Bewusstseinsstörung in unserer Klinik aufgenommen. Bei zunehmender Ateminsuffizienz musste sie unmittelbar nach Aufnahme intubiert und (ohne Sedierung) maschinell beatmet werden. In der initialen klinisch-neurologischen Untersuchung bot die soporöse Patientin eine Anisokorie, eine Tetraparese sowie ein positives Babinskizeichen rechts. Als Ursache dieser Symptomatik konnte CT-angiographisch ein Basilariskopfverschluss nachgewiesen werden. Bei fehlender Infarktdemarkierung entschlossen wir uns zu einer arteriellen Thrombolysetherapie (30 mg rTPA), die zu einer Rekanalisation der A. basilaris führte. Abschließend konnten computertomographisch lediglich umschriebene Infarkte links paramedian im Bereich des Pons sowie linksbetont im Posteriorstromgebiet beidseits nachgewiesen werden. Im weiteren Verlauf konnte die Patientin rasch extubiert werden; klinisch bot sie eine inkomplette nukleäre N.-oculomotorius-Parese links sowie eine latente Hemiparese rechts. Nach mehrwöchiger Behandlung in unserer Klinik für Frührehabilitation konnte die Patientin mit Unterstützung gehen und im sehr guten Allgemeinzustand in ihre Wohnung entlassen werden, wo sie von ihren Angehörigen und einem ambulanten Pflegedienst betreut wird.
Noch vor wenigen Jahren wäre eine lokale Basilaris-Thrombolyse in diesem Lebensalter kaum vorstellbar gewesen; die Patientin wäre ohne diese Behandlung mit hoher Wahrscheinlichkeit akut verstorben oder sie hätte mit schweren neurologischen Ausfällen für kurze Zeit überlebt. Die demografische Entwicklung erfordert ein Umdenken beim Einsatz invasiver lebensrettender Therapiemaßnahmen, die bisher vorwiegend bei jüngeren Patienten in Betracht kamen. Bei der Entscheidung für oder gegen ein kuratives Therapieziel ist in solchen Situationen im Hinblick auf die Gesamtprognose nicht das numerische, sondern das biologische Lebensalter relevant.
Eine Patentlösung für die medizinischen, ethischen und rechtlichen Probleme bei der Versorgung schwer betroffener Schlaganfallpatienten ist nicht in Sicht, und auch wir (die Autoren) haben die hier aufgezeigten grundlegenden Zielsetzungen im klinischen Alltag bei Weitem noch nicht erreicht.
Ausblick
Wer als Arzt, Angehöriger, Politiker oder Kostenträger alten Menschen diagnostische oder therapeutische Optionen vorenthalten möchte, gerät in Verdacht, diese Patientengruppe, die schon bald eine breite Mehrheit der Bevölkerung darstellen wird, zu diskriminieren. Die Herausforderung für die Ärzteschaft besteht darin, auf der einen Seite alle notwendigen Ressourcen einzufordern und bereitzuhalten, um eine maximale kurative Therapie jedem Patienten, bei dem die Indikation für eine solche Behandlung besteht, zur Verfügung stellen zu können. Auf der anderen Seite ist es genauso ärztliche Pflicht, Änderungen des Therapieziels zu akzeptieren, die sich entweder aus dem Fehlen der medizinischen Indikation für kurative Maßnahmen oder aus dem Patientenwillen ergeben, selbst wenn dieser Wille sich nicht mit der ärztlichen Sicht deckt (14).
Die Ärztinnen und Ärzte werden das gesellschaftliche Klima der Zukunft in einem nicht unerheblichen Ausmaß mit prägen, und die Betreuung einer großen Anzahl alter schwer betroffener Schlaganfallpatienten wird eine der vielen Bewährungsproben sein. Man sollte sich dieser Herausforderung stellen – nicht nur mit medizinischem Sachverstand, sondern auch mit einem aufmerksamen Gespür für die ethische Verantwortung.

zZitierweise dieses Beitrags:
Dtsch Arztebl 2007; 104(11): A 708–11

Korrespondenzadresse:
Prof. Dr. med. Wilhelm Nacimiento
Chefarzt der Neurologischen Klinik und der Klinik für Neurologische Frührehabilitation
Klinikum Duisburg
Zu den Rehwiesen 7–9, 47055 Duisburg
E-Mail: w.nacimiento@klinikum-duisburg.de

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