ArchivDeutsches Ärzteblatt11/2007Als Landarzt in Dänemark: Respektiert und geschätzt

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Als Landarzt in Dänemark: Respektiert und geschätzt

Exner, Ulf Schlickewei

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Sieht gelassen in die Zukunft: Ulf Schlickewei Exner
Sieht gelassen in die Zukunft: Ulf Schlickewei Exner
Nach holprigem Start hat es der deutsche Allgemeinarzt nie bereut, in das beschauliche Königreich ausgewandert zu sein.

Ich kam vor jetzt bald neun Jahren nach Dänemark. Meine Erfahrungen in der eigenen Allgemeinarztpraxis in Deutschland waren bis dahin nicht gerade positiv. Auch später als Oberarzt an einer Klinik erlebte ich wenig Ermutigendes. Hier im Norden war der Anfang als Stationsarzt gleichfalls nicht einfach: Sprachliche Probleme, verbunden mit der Erfahrung, dass fachliches Können an Wert verliert, wenn einen der Patient nicht versteht, machten den Start etwas holprig. Nach relativ kurzer Zeit, vielleicht zwei bis drei Monaten, war dieses retardierende Moment überstanden.
Ich landete zunächst an einem kleinen Krankenhaus auf der inneren Akutabteilung. Medizinisch konnte ich keine großen Unterschiede ausmachen, weder in Diagnostik noch in Behandlung – sehr wohl hingegen in Bezug auf die Arbeitszeit: nominell eine 36-Stunden-Woche, wurde Mehrarbeit großzügig vergütet, entweder mit Freizeit oder mit Geld. Große Unterschiede waren auch in der Hierarchie erlebbar: Krankenhäuser sind hier ärztlich und krankenpflegerisch geleitet (inzwischen werden jedoch auch hier die Verwaltungsleute bestimmender). Die Krankenschwestern sind gleichberechtigter als in Deutschland. Die Patienten sind weitaus geduldiger und haben meist eine ausgeglichenere Mentalität. Man fühlt sich geschätzt und respektiert, was angesichts des spürbaren Ärztemangels noch deutlicher geworden ist. Hier möchte ich auch anmerken, dass man keine Konkurrenzprobleme unter Kollegen hat; es ist wohl mehr so, dass man sich gegenseitig schätzt und unterstützt.
Fotos: privat
Fotos: privat
Nach knapp zwei Jahren Arbeit auf einer gynäkologisch-geburtshilflichen Abteilung wagte ich dann den Sprung in die eigene Praxis, zunächst in Praxisgemeinschaft, später allein. Gynäkologische Erfahrungen sind ein Muss im hiesigen System, wo es nur sehr wenige, frei niedergelassene Frauenärzte gibt: Schwangerschaftskontrollen, Krebsvorsorgeuntersuchungen und etwa das Einlegen von Spiralen sind eindeutig hausärztliche Aufgaben. Analoges gilt für Pädiatrie, Augen- und HNO-Probleme. Die Tätigkeit ist also recht vielseitig. Überweisungen in fachärztliche Regie sind in der Regel gleichbedeutend mit Überweisung an die entsprechenden Krankenhausfachambulatorien.
Das gesamte Gesundheitswesen ist sehr stark geprägt von EDV-Zusammenhängen. Alle Aktivitäten in der täglichen Praxis laufen über Computer: Rezepte schreiben und versenden, Überweisungen, Dokumentationen, Post, Kommunikation. Die Tendenz geht dahin, auch die Krankenhausjournale mit den Praxisjournalen zu vernetzen.
Mein typischer Arbeitstag beginnt um 8 Uhr mit einer einstündigen Telefonsprechstunde. Arzthelferin und Krankenschwester sortieren die Anrufe. Die notwendigen telefonischen Beratungen füllen diese erste Stunde. Danach kommen Patienten nach Terminabsprache, gegen Mittag zunehmend auch akute Fälle, die meist einen Teil meiner Mittagspause aufbrauchen. Um 13 Uhr wird die Telefonbereitschaft umgeschaltet, nach einem Absprachering mit den übrigen Kollegen auf der Insel. Im Laufe meines Arbeitstages sehe ich zwischen 20 und 40 Patienten. Hausbesuche sind selten. Montags sind wir von 8 bis 16 Uhr, dienstags und mittwochs von 8 bis 13 Uhr für eigene Patienten telefonisch erreichbar. Donnerstag sind wir von 8 bis 13 Uhr für eigene Patienten, ab 13 Uhr für die Patienten der übrigen sechs Kollegen zuständig, mit denen wir Absprachen haben. Ab Freitagmittag ist dann Wochenende.
Etwa zweimal im Monat fahre ich die rund 30 Kilometer zur hausärztlichen Notarztstelle. Wochentags liegen die Dienstzeiten von 16 bis 22 Uhr, danach übernimmt der Nachtdienst von 22 bis 8 Uhr des nächsten Tages. In der Regel sind wir in der ersten Periode drei Kollegen: ein Visitator (Koordinator, der nur Telefondienst macht und gleichzeitig als Wachtchef die beiden Kollegen dirigiert) sowie zwei Konsultations- beziehungsweise Besuchsärzte. Nachts ist man entweder Visitator für das ganze Amt (250 000 Einwohner) oder Besuchsarzt.
Das System funktioniert gut, und es ergibt sich so, dass man ohne große Probleme geregelte Arbeitszeiten hat: 36 bis 40 Stunden wöchentlich plus Dienste.
Ich bin jetzt sechs Jahre in eigener Praxis und schreibe seit einem Jahr schwarze Zahlen. Das Jahreseinkommen ist stabil und entspricht wohl dem einer besseren Praxis in Deutschland. Der Steuersatz liegt bei 54 Prozent, also Spitzensteuersatz, Altersrente und Krankenversicherung sind jedoch inbegriffen.
In Anbetracht des hier, im nord- westlichen Teil des Landes, herrschenden Ärztemangels ist man dazu übergegangen, die Praxen in Ärztezentren zusammenzufassen. Dadurch ist der einzelne Kollege flexibler, und die gegenseitige Ent-lastung ist einfacher geworden. So hat das hiesige Amt (analog zur deutschen Kreisverwaltung) gerade ein hochmodernes Praxiszentrum errichtet, wo jetzt sechs Ärzte, jeder in eigener Praxis, arbeiten. Die Bedingungen sind großzügig auch in der Zusammenarbeit mit der Krankenkasse, welche hier eine Amtsbehörde ist. Regresssituationen, wie in Deutschland üblich, kennt man hier nicht. Man ist offenbar mehr interessiert an guter Zusammenarbeit, was auch im Alltag spürbar ist. Auch zukünftig, so glaube ich, wird man andere Wege finden als in Deutschland, da die Ärzte hier immer noch einen respektierten und relativ hohen Status haben. Das wirkt sich wohl auch positiv auf Verhandlungen mit den Krankenkassen aus, aber auch auf die eigene Motivation im Alltag.
Alles in allem habe ich den Umzug nach Dänemark nie bereut. Trotz meines Alters – ich bin jetzt 58 Jahre alt – sehe ich gelassen in die Zukunft. Die haben hier oben ein System geschaffen, das auch Aspekte der Arbeitshygiene und des persönlichen Lebens in relativ hohem Grade berücksichtigt. Vielleicht ist diese Sachlichkeit auch Ausdruck für die relative Stabilität im gesellschaftlichen Leben, in diesem kleinen Königreich, wo Überschaubarkeit immer spürbar ist.
Ulf Schlickewei Exner

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