POLITIK
Psychiatrische Versorgung: Eingeschränkte Therapieoptionen


Psychiater und Nervenärzte sehen sich in ihren Behandlungsmöglichkeiten eingeschränkt durch die sogenannten Me-too-Listen, die verschiedene Kassenärztliche Vereinigungen (KVen) auflegen, um die Arzneimittelkosten zu begrenzen. „Eine bundesweite Einführung von Quotierungen für sogenannte Me-too-Präparate kann sehr schnell dazu führen, dass eine an den wissenschaftlichen Leitlinien orientierte Therapie psychotischer Patienten nicht mehr erfolgt, weil Vertragsärzte Regresszahlungen fürchten“, warnte der Vorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Nervenärzte (BVDN), Dr. Frank Bergmann, bei einem Symposium zur evidenzbasierten Therapie der Schizophrenie in Bremen.
Hintergrund der Warnung sind die sogenannten Me-too-Listen, wie sie zum Beispiel die KV Nordrhein erstellt hat. Auf der Liste sind Präparate verzeichnet, deren zusätzlicher Nutzen laut KV in keinem sinnvollen Verhältnis zum erhöhten Preis steht. Diese Präparate sollen Ärzte nur dann verordnen, wenn es keine preisgünstige wirksame Alternative gibt. Auf der aktuellen Me-too-Liste der KV Nordrhein (Stand vom 25. Januar 2007) findet man auch die Antipsychotika Aripiprazol, Quetiapin und Olanzapin nebst verschiedenen Antidepressiva. Die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) hat das Verfahren für wissenschaftlich unhaltbar erklärt, mit der die Liste erstellt wurde.
Nach Angaben des Präsidenten der DGPPN, Prof. Dr. Wolfgang Gaebel, ist diese Klassifikation zumindest bei den in der Liste enthaltenen atypischen Neuroleptika nicht haltbar. Die Liste klassifiziere auf der Basis der subjektiven Bewertung Arzneimittel als Analogpräparate ohne ordentliche, transparente wissenschaftliche Analyse. Atypische seien ebenso wie typische Antipsychotika keine homogenen, scharf unterscheidbaren Gruppen von Substanzen. Gaebel verwies darauf, dass es in Übereinstimmung mit der wissenschaftlichen Meinung auch nach früheren Stellungnahmen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) „eine allgemein gültige Definition eines atypischen Neuroleptikums nicht gibt“ (Mitteilung der KBV im Deutschen Ärzteblatt, Heft 46/2002).
Die klinischen Wirkungen der Medikamente seien individuell sehr verschieden, was eine therapeutische Entscheidung für jeden Einzelfall bedeute und damit eine generelle Einordnung als Analogpräparate verbiete. Nach wie vor gehe es in der pharmakologischen Schizophreniebehandlung um das Prinzip „The right drug for the right patient“, das nur zu gewährleisten sei, wenn die Ärzte über ein breites Spektrum an medikamentösen Behandlungsoptionen verfügten.
Gaebel verweist auf die aktuelle S3-Leitlinie der DGPPN zur Behandlung von Schizophrenie-Patienten: Danach gelten atypische Antipsychotika als Medikamente der ersten Wahl zur Therapie einer Akutphase, insbesondere bei vorherrschender Negativsymptomatik, zur Behandlung kognitiver Beeinträchtigungen und vor allem zur Vermeidung von extrapyramidal-motorischen Störungen. Eine Ausnahme bestehe, wenn der Patient selbst konventionelle Antipsychotika bevorzuge und sich die Symptome darunter ohne relevante Nebenwirkungen gut kontrollieren ließen. Allerdings sollte der Arzt den Patienten auch in diesen Fällen auf das erhöhte Risiko von Spätdyskinesien hinweisen. Bei Ersterkrankungen empfiehlt die DGPPN-Leitlinie in Übereinstimmung mit internationalen Leitlinien Atypika aufgrund ihres günstigeren Wirkungs-/Nebenwirkungsprofils als Medikamente der ersten Wahl.
Hohe Me-too-Quote für Psychiater
Die KV verwehrt sich dagegen, dass die Me-too-Liste die Versorgung der Patienten verschlechtere. „Nach wie vor können die Ärzte alle Präparate verschreiben, die sie für notwendig halten. Das gilt auch für die Präparate auf der Me-too-Liste“, erklärte eine Sprecherin der KV gegenüber dem DÄ. Zwar drohe Ärzten, die ihre Me-too-Quote überschritten, ab 2007 ein Regress, die Quote für Nervenärzte und Psychiater sei aber die höchste von allen Fachgruppen: Sie betrage 13,8 Prozent des Richtgrößenbudgets. Für andere Fachgruppen sei die Regelung deutlich schärfer, bei Kinderärzten liege die Me-too-Quote zum Beispiel bei nur einem Prozent.
Nach Angaben der Fachgesellschaft und des Berufsverbandes berücksichtigt die Diskussion um die Kosten der Me-too-Präparate zu wenig, wie wichtig die individuelle Therapie des Schizophrenie-Patienten ist. Nötig sei nicht eine Beschränkung der therapeutischen Option, zum Beispiel durch Me-too-Listen, sondern eher noch mehr Präparate mit differenziertem Wirkspektrum und optimierten Nebenwirkungen.
Arne Hillienhof