ArchivDeutsches Ärzteblatt12/2007Ärzte im Strassenverkehr: Nicht alles ist erlaubt

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Ärzte im Strassenverkehr: Nicht alles ist erlaubt

Krumm, Carsten

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Verstöße gegen die Verkehrsregeln dürfen sich auch Ärzte nur in „notstandsähnlichen Situationen“ erlauben. Foto: dpa
Verstöße gegen die Verkehrsregeln dürfen sich auch Ärzte nur in „notstandsähnlichen Situationen“ erlauben. Foto: dpa
Bei Ordnungswidrigkeiten im Straßenverkehr droht ein Fahrverbot. Dies gilt auch für Ärzte im Einsatz.

Gerade Ärzte werden auch mit Situationen konfrontiert, in denen eilige Hilfe erforderlich ist. Handelt der Arzt sodann unter den Voraussetzungen eines Notstands, so entfällt jede Ahndung einer Ordnungswidrigkeit. Die Voraussetzungen, die das Gesetz in § 16 des Gesetzes über Ordnungswidrigkeiten an den Notstand stellt, sind hoch und werden von der Rechtsprechung konsequent angewendet. Voraussetzungen sind hierbei stets:
- Vorliegen einer Gefahr,
- Gegenwärtigkeit der Gefahr,
- Gefährdung für Leben, Leib, Freiheit, Ehre, Eigentum oder ein anderes Rechtsgut,
- Handeln zur Gefahrabwendung,
- keine andere Möglichkeit der Gefahrabwendung,
- bei Abwägung der widerstreitenden Interessen muss das geschützte Interesse das beeinträchtigte wesentlich überwiegen, und
- die Handlung des Arztes muss ein angemessenes Mittel für die Gefahrabwehr gewesen sein.
Handelt es sich um eine Geschwindigkeitsüberschreitung eines Arztes mit dem Ziel, einem Patienten eilig zu helfen, so ist für die Annahme eines Notstandes auch darzulegen, ob nicht der Notarzt den Patienten besser und schneller als der Hausarzt hätte versorgen können. Es muss zudem eine sofortige medizinische Behandlung zwingend erforderlich sein (zumindest muss der Arzt hiervon ausgegangen sein). Zu beachten ist hierbei, dass Angaben des Arztes nicht ungeprüft geglaubt werden dürfen: Der zuständige Richter muss die Angaben kritisch hinterfragen und gegebenenfalls durch Einvernahme von Patienten oder Mitarbeitern der Arztpraxis überprüfen.
Da nach Absehen vom Fahrverbot durch das Amtsgericht immer eine Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft droht, muss jeder Betroffene nachvollziehbar die Notstandslage darlegen und mit Beweismitteln belegen. Wichtig ist es hier, detailliert die Fahrtsituation darzustellen. Mit Patienten und Mitarbeitern ist das offene Gespräch zu suchen, um ihre Aussagebereitschaft zu prüfen.
Gerade die „scharfen“ Anforderungen an die Feststellung eines Notstandes zeigen das Dilemma der Ärzte: Sie können auf telefonischen Hilferuf des Patienten oder ihm nahestehender Personen kaum beurteilen, ob tatsächlich eine Notlage vorliegt oder ob es sich um „blinden Alarm“ handelt. Zu schnelle Fahrweise, Übersehen eines Rotlichts oder zu geringer Abstand beruhen also nicht auf eigensüchtigen Motiven. Folgerichtig ist in der Rechtsprechung auch ein Absehen vom Fahrverbot wegen „notstandsähnlicher Situationen“ anerkannt. Hierzu sind folgende beispielhafte Entscheidungen ergangen:
- Absehen vom Fahrverbot war möglich nach Geschwindigkeitsverstoß eines Belegarztes auf dem Weg zum Krankenhaus wegen einer sich dort befindenden dringend behandlungsbedürftigen Person.
- Kein Absehen vom Fahrverbot bei einer objektiv nicht erforderlichen Geschwindigkeitsüberschreitung über eine längere Strecke wegen des Verdachts der Gehirnhautentzündung bei einem Säugling auf dem Transport in eine Spezialklinik.
- Kein Absehen vom Fahrverbot bei Trunkenheitsfahrt eines Arztes, der zur Hilfe gerufen wurde.
- Absehen vom Fahrverbot war möglich bei einem Arzt, der wegen einer sofortigen medizinischen Behandlung (hier: blutende Schnittwunde) die zulässige Geschwindigkeit um 61 km/h überschritt.
- Kein Absehen vom Fahrverbot nach Geschwindigkeitsverstoß eines Arztes, der bei Anruf des ihm seit Langem bekannten Patienten mitgeteilt bekam, der Patient „bekomme schlecht Luft, habe einen Asthma-Anfall“.
- Absehen vom Fahrverbot war möglich nach Geschwindigkeitsverstoß (36 km/h zu schnell) eines Arztes der Allgemeinmedizin auf dem Weg zu einem Patienten zur Nachbehandlung einer Bandscheibenoperation in der Praxis mit akuten Rückenschmerzen und auch schon Kreislaufproblemen, insbesondere Sehstörungen.
- Absehen ist möglich nach Geschwindigkeitsüberschreitung mit dem Ziel, einem akut erkrankten Patienten Erste Hilfe zu leisten.
- Absehen vom Fahrverbot war möglich bei einem Arzt, der bereits den dritten Geschwindigkeitsverstoß zur Patientenrettung begeht; der Patient war chronisch herzkrank und bedurfte schnell intravenös zu gebender Medikamente.
Soweit ein Regelfahrverbotstatbestand erfüllt ist, ist die Angemessenheit der Fahrverbotsanordnung indiziert. Der Betroffene hat somit die mit der Fahrverbotsanordnung verbundenen Folgen als selbstverschuldet hinzunehmen, zumal sie nur von zeitlich begrenzter Dauer sind. Sie sind nämlich vorhersehbare, typische und somit zumutbare Folge des Fahrverbotes und treffen alle Betroffenen in gleicher Weise.
Dagegen kommt ein Absehen von einem Fahrverbot (unter gleichzeitiger Erhöhung der Geldbuße) in Betracht, wenn erhebliche und unvermeidliche Härten durch Arbeits- oder Existenzverlust oder besondere persönliche Härten drohen und gerade dies auch durch das Gericht festgestellt werden kann. Möglich ist auch ein Zusammenwirken mehrerer für sich betrachtet gewöhnlicher Umstände dergestalt, dass sie in ihrer Gesamtheit betrachtet die Anordnung des Fahrverbots als unverhältnismäßig erscheinen lassen.
Einfache Nachteile beruflicher oder wirtschaftlicher Art, die bei einer Vielzahl von Berufen regelmäßig Folge eines Fahrverbotes sind, reichen (jedenfalls alleine) nicht aus, um ein Absehen vom Fahrverbot rechtsfehlerfrei rechtfertigen zu können. Wirtschaftliche Nachteile wegen der Verhängung eines Fahrverbotes sind vom Betroffenen – weil selbst verschuldet – hinzunehmen. Dies gilt auch für Vielfahrer. Übliche Nachteile in diesem Sinne sind insbesondere Zeitverluste durch die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel und der durch die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel entstehende finanzielle Mehraufwand. So hat die Rechtsprechung in der Vergangenheit bei Ärzten regelmäßig nicht vom Fahrverbot wegen drohender Härten abgesehen. Einzelne Amtsgerichte sind hier großzügiger, wie es das Absehen vom Fahrverbot bei einem Ärztlichen Leiter einer (Tumor-)Klinik nach einem Geschwindigkeitsverstoß zeigt. Wichtig ist immer die Frage, ob und gegebenenfalls wie der Betroffene geltend gemachte Härten abfedern kann. Hier ist insbesondere zu beachten:
- Kann der Betroffene das Fahrverbot in seinen Urlaub legen, so mag ihm dies zwar nicht recht sein, ein Absehen vom Fahrverbot ist dann aber nicht möglich.
- Kann der Betroffene das Fahrverbot durch Anstellung eines Fahrers abfedern, so trifft ihn das nicht mehr hart. Bei geringen Einkommen dagegen ist die Einstellung eines Fahrers unzumutbar, weil jede Alternative zur Benutzung des eigenen Autos unter dem Vorbehalt der Finanzierbarkeit steht.
- Spricht wegen der beruflichen Position des Betroffenen einiges dafür, dass seine wirtschaftlichen Verhältnisse – auch unter Berücksichtigung etwaiger Darlehensverpflichtungen durch Eigentumserwerb – jedenfalls als durchschnittlich, wenn nicht sogar besser einzustufen sind, so ist die kurzzeitige Finanzierung eines Aushilfsfahrers zumutbar. Hier ist auch die Aufnahme eines Kredits zumutbar.
- Selbst wenn unter normalen Umständen von einem Fahrverbot wegen den Betroffenen treffender unverhältnismäßiger beruflicher Härten von einer Fahrverbotsanordnung abzusehen wäre, kann ausnahmsweise doch die Fahrverbotsverhängung erforderlich und nicht mehr unverhältnismäßig sein, wenn ein besonders schwerwiegender Verstoß oder erhebliche und einschlägige Vorbelastungen vorliegen.
Bei abhängig Beschäftigten ist ein Absehen vom Fahrverbot wegen erheblicher Härte nur dann möglich, wenn ein Arbeitsplatzverlust droht und dies nachvollziehbar dargelegt und auch bewiesen wird.
Abhängig Beschäftigte sollten daher neben einer ausführlichen eigenen Schilderung der Härten und Beweisantritten durch Zeugenbenennung zumindest auch eine aussagekräftige(!) und aktuelle Bescheinigung des Arbeitgebers vorlegen, welche sich zu folgenden Punkten äußern sollte:
- Unentbehrlichkeit einer Fahrerlaubnis für den Betroffenen als Arbeitnehmer,
- konkretes Inaussichtstellen einer Kündigung nebst näherer Begründung,
- Unmöglichkeit, dem Betroffenen Urlaub während der Fahrverbotszeit zu gewähren, und
- andere vorübergehende innerbetriebliche Einsatzmöglichkeiten für den Betroffenen für die Dauer des Fahrverbotes.

Bei Selbstständigen kann kaum das Drohen eines Arbeitsplatzverlustes festgestellt werden. Hier ist dann auf die ernsthafte Gefahr für den Fortbestand des Betriebes durch die Vollstreckung eines Fahrverbotes („Existenzgefährdung“) abzustellen. Je kleiner die Arztpraxis, desto leichter wird die Darlegung einer solchen Härte sein. Dagegen kann zum Beispiel in größeren Einheiten auch eine sogenannte Reorganisation gefordert werden. Ausnahmsweise soll bereits ausreichen, dass bei Hinzutreten weiterer Gesichtspunkte (geringes Einkommen, Unterhaltspflichten) die Existenzgefährdung „nahe liegt“ und sich der Richter in seinem Urteil mit allen Umständen des Einzelfalles befasst. Wie auch sonst bei Geltendmachung von Härten, darf der Richter die Angaben des Betroffenen hierzu nicht ungeprüft seinen Feststellungen zugrunde legen. Der Arzt muss dann seine (beengten) persönlichen und finanziellen Verhältnisse belegen und untermauern, zum Beispiel durch die Vorlage folgender Unterlagen: Einkommensbescheinigung, Steuerbescheide, Bankbescheinigungen, Kontoauszüge, betriebswirtschaftliche Auswertungen/sonstige Bilanzen oder Kopien von Darlehensverträgen.
Carsten Krumm*

*Der Autor ist Bußgeldrichter beim Amtsgericht Lüdinghausen und Autor des Buches „Das Fahrverbot in Bußgeldsachen“, erschienen bei Nomos, 1. Auflage 2006.

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