ArchivDeutsches Ärzteblatt13/2007Gesundheitstelematik: In kleinen Schritten

POLITIK

Gesundheitstelematik: In kleinen Schritten

Krüger-Brand, Heike E.

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LNSLNS Seite Dezember 2006 wird die elektronische Gesundheitskarte in den Testregionen Flensburg und Löbau-Zittau erprobt – bislang überwiegend reibungslos.

Für ein „Leuchtturmprojekt“ nimmt sich der Anfang recht bescheiden aus: Seit Ende 2006 erproben zwei von bundesweit sieben Testregionen die ersten elektronischen Gesundheitskarten (eGK) im MKT+-Szenario (Kasten). Jeweils bis zu 10 000 Versicherte werden hierfür in Flensburg und in der Region Löbau-Zittau mit den neuen Karten ausgestattet. Getestet wird bislang nur die schlichte Lesbarkeit der Karte: „Wir stellen erfolgreich fest, dass man mit multifunktionalen Chipkartenlesern sowohl die alte Krankenversichertenkarte (KVK) als auch die neue Gesundheitskarte lesen kann“, so Jan Meincke, Projektleiter in Flensburg. Patienten, die mit ihrer eGK eine Testpraxis aufsuchen, händigen der medizinischen Fachangestellten ihre Gesundheitskarte aus. Diese steckt die Karte in dasselbe Kartenlesegerät, mit dem auch die KVK eingelesen wird, denn das Praxisverwaltungssystem (PVS) muss beide Karten verarbeiten können. Die Funktionalitäten für das elektronische Rezept (eRezept) und die Notfalldaten werden in dieser Phase noch nicht umgesetzt. Allerdings sind die Prozessorchips der Karten für künftige Funktionserweiterungen vorbereitet.
Mehraufwand befürchtet
Die Erfahrungen in den Arztpraxen mit den neuen Karten sind vor diesem Hintergrund nicht sonderlich spektakulär. In Flensburg nutzen die niedergelassenen Ärzte zudem seit mehreren Jahren eine funktionierende Telematikplattform, das „Gesundheitsnetzwerk Flensburg“. Darüber hinaus wurde in der Region bereits seit 2001 ein schleswig-holsteinisches Modell der Gesundheitskarte getestet. „Wir stehen der Telematik grundsätzlich positiv gegenüber, doch wir sehen auch, dass das eGK-Projekt problembehaftet ist, was die Arbeitsprozesse für uns Ärzte und was die Honorierung betrifft“, betont der Flensburger Testarzt Michael Bergeler. Nach Ansicht des Allgemeinmediziners kann die Qualität der Versorgung durch die Gesundheitskarte verbessert werden, weil durch sie mehr Informationen über den Patienten zugänglich werden. Er befürchtet jedoch erheblichen zeitlichen Mehraufwand, wenn das eRezept getestet wird. „Die Politik wird keine Rücksicht darauf nehmen, wie der Test verläuft“, glaubt er. Ähnliches Misstrauen hegt auch sein Kollege Dr. med. Eckehard Meissner. Der Internist und Pneumologe arbeitet mit einer vollelektronischen Karteikarte und ist davon überzeugt, „dass Vernetzung etwas bringt. Von der eGK und dem eRezept haben die niedergelassenen Ärzte aber nichts – nur mehr Arbeit und mehr Kosten“, erklärt er. Einen Boykott der Tests, wie ihn etwa der NAV-Virchowbund durchsetzen will, hält er indes nicht für sinnvoll. Er beteiligt sich am Test, um Erfahrungen zu sammeln und „das Schlimmste zu verhüten“. Fest steht für ihn allerdings: „Wenn das Problem der Honorierung nicht gelöst wird, werden wir das Projekt torpedieren.“
Der Erkenntnisgewinn in Schleswig-Holstein: Noch sei der Lesevorgang nicht optimal, so Meincke. So benötige die eGK länger als die bisherige KVK, um die Stammdaten des Versicherten zur Verfügung zu stellen. „Dies wirkt sich auf die gesamte Anwendungskette aus und würde damit auch zu Zeitverlusten etwa beim Erstellen von eRezepten führen.“ Die Fehler waren bislang marginal: Vereinzelt konnten Karten nicht eingelesen werden. Einige Versicherte hatten ihre alte KVK bei Empfang der Gesundheitskarte vernichtet.
In Sachsen sei die Testphase bislang ruhig verlaufen, berichtet Mirko Weißbach, Leiter des Projektbüros SaxMediCard in Dresden. Anfeindungen durch Anrufe und Faxe gegenüber teilnehmenden Arztpraxen wie in Flensburg habe es nicht gegeben. Bis Anfang März sind in der Region Löbau-Zittau circa 6 400 Karten an die Versicherten ausgegeben worden. Der Landkreis, in dem rund 130 000 Versicherte leben, wurde wegen seiner praktischen Erfahrungen durch ein Vorgängerprojekt mit dem elektronischen Heilberufsausweis ausgewählt. In Sachsen beteiligen sich sieben Arztsoftwarehersteller an den Tests. Die Ärzte konnten zwischen vier verschiedenen Kartenlesegeräten wählen.
Positive Erwartungen
Die Stimmungslage unter den teilnehmenden Ärzten und bei den Versicherten sei sehr gut, versichert Weißbach. Alle bisherigen Fehler seien „absolute Peanuts“, weil noch nicht das Gesamtsystem getestet werde. Das Projektbüro stellt monatlich aktualisierte Testberichte ins Internet (www.saxmedicard.de). Danach war bei 2 750 gesteckten Karten seit Testbeginn in knapp 150 Fällen die Karte nicht lesbar (Stand 9. März 2007). Im Fehlerfall informiert die Arztpraxis den Support im Projektbüro per Telefon, Mail oder Fax. Bei den von der IKK ausgegebenen Karten ist der Fehler immer noch unklar, bei den übrigen beteiligten Krankenkassen sind die Kinderkrankheiten inzwischen überwunden. Zur Verwirrung trugen auch unterschiedliche Institutionskennzeichen auf der eGK und der KVK bei. Um am Quartalsende bei der Abrechnung keine böse Überraschung zu erleben, werden Testabrechnungen mit der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Sachsen durchgeführt. Zwei PVS funktionieren zurzeit fehlerfrei mit den neuen Karten, die anderen Systeme werden noch angepasst.
Dr. med. Gottfried Hanzl, stellvertretender Vorsitzender des sächsischen Hausärzteverbands, betont: „Als Hausärzteverband in Sachsen wollen wir uns der eGK nicht verschließen. Wir wollen aber Einfluss auf die Entwicklung haben.“ Bislang habe es wenig Probleme gegeben, berichtet der Allgemeinarzt aus Oderwitz. Das Personal wurde vorab geschult, das Einspielen des Programmupdates dauerte eine halbe Stunde. Der Zusatzaufwand durch die Testteilnahme sei minimal, so Hanzl. Ähnliche Erfahrungen hat auch Carsten Brendel in Zittau gemacht. Den Facharzt für Chirurgie suchen monatlich bis zu 30 Patienten mit der neuen Karte auf. Brendel erhofft sich von der Technologie, dass der Kartenmissbrauch erschwert und das Doctor-Hopping eingedämmt werden, weil die Karte künftig für mehr Transparenz sorge. Der Zugriff auf Daten und Informationen über einen Patienten, etwa in Notfällen oder bei Überweisungen, werde erleichtert.
„Sobald Heilberufsausweis, Konnektor und eRezept ins Spiel kommen, werden auch die potenziellen Fehlerquellen zunehmen“, meint Weißbach. Der Einstieg in diese Phase (Release 1) ist für beide Testregionen ab Mitte Juni vorgesehen – sofern es nicht zu Lieferengpässen für Lesegeräte und Konektoren kommt, wie einige Experten befürchten. Mitte August sollen dann die Testregionen Bochum-Essen, Heilbronn und Ingolstadt ebenfalls mit dem Release 1 starten sowie nochmals vier bis sechs Wochen später Trier und Wolfsburg. Mit dem Einstieg in das Online-Szenario ist frühestens Ende des Jahres zu rechnen – erst dann dürfte es richtig spannend werden.
Vor dem Hintergrund der andauernden Kritik vieler Ärzte an dem Telematikprojekt hat die Arbeitsgemeinschaft der KVen für die Telematik (ARGE) eine stärkere Orientierung am Nutzen gefordert, um die Akzeptanz bei den Anwendern zu erhöhen. „Der Nutzen der Telematik für die niedergelassenen Ärzte und Psychotherapeuten muss deutlich sein – und zwar sowohl im Praxisalltag als auch in Sondersituationen wie Notdienst oder Hausbesuch“, heißt es in einer Presseerklärung der ARGE. Daher wollen die KVen die Anwendungen vorantreiben, die für die Ärzte tatsächlich relevant sind und von denen sie direkt profitieren, wie Online-Abrechnung und elektronische Patientenakte. Die Infrastruktur, die für die eGK aufgebaut wird, ist auch die Basis für diese Dienste und bietet große Möglichkeiten, die Abläufe in der Praxis zu optimieren.
Heike E. Krüger-Brand


Die Gesundheitskarte im Test

Ablauf der Testmaßnahmen
- MKT+Szenario: Auslesen der Versichertenstammdaten von der eGK. Die multifunktionalen Kartenterminals müssen die eGK und die KVK verarbeiten können; die Praxisverwaltungssoftware muss entsprechend angepasst sein.
- Release 1: Hinzu kommen die Funktionalitäten eRezept und die Notfalldaten, offline. Hierfür sind Konnektoren und Heilberufsausweise erforderlich. Die Arbeitsabläufe bleiben unverändert. Voraussichtlicher Start: Juni 2007
- Release 2: Anbindung an die Telematikinfrastruktur zum Online-Abgleich von Versichertenstammdaten und Zuzahlungsstatus. Die eRezepte werden auf der Karte oder auf Servern gespeichert und können vom Patienten in der Apotheke eingelöst werden. Sie müssen mit dem HBA elektronisch signiert werden. Voraussichtlicher Start: Dezember 2007

Die Frage der Kostenübernahme
Für die Teilnahme an den Tests erhalten die niedergelassenen Ärzte 3 000 Euro für die Anschaffung der Geräte sowie 3 200 Euro Aufwandspauschale.
Darüber hinaus ist die Finanzierung der Telematikinfrastruktur noch unklar. Das Bundesgesundheitsministerium geht trotz Einwänden von Experten nach wie vor von 1,4 Milliarden Euro Einführungskosten aus. Die Investitionskosten der Leistungserbringer sollen teilweise über Transaktionsgebühren refinanziert werden, doch Höhe und Dauer der Zuschläge sind noch nicht ausgehandelt.

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