ArchivDeutsches Ärzteblatt13/2007Interview zum Förderschwerpunkt „Benchmarking im Gesundheitswesen“ (BIG) mit Prof. Dr. med. Wolfgang Gaebel, Prof. Dr. med. Norbert Roeder, Dr. med. Birgit Janssen und Dr. med. Hiltrud Kastenholz: Qualitätssicherung – Der Weg ist das Ziel

THEMEN DER ZEIT

Interview zum Förderschwerpunkt „Benchmarking im Gesundheitswesen“ (BIG) mit Prof. Dr. med. Wolfgang Gaebel, Prof. Dr. med. Norbert Roeder, Dr. med. Birgit Janssen und Dr. med. Hiltrud Kastenholz: Qualitätssicherung – Der Weg ist das Ziel

Zylka-Menhorn, Vera; Gerst, Thomas

Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS
Projektsprecher: Wolfgang Gaebel (links) und Norbert Roeder beim Gespräch in der Redaktion des Deutschen Ärzteblattes. Fotos: Eberhard Hahne
Projektsprecher: Wolfgang Gaebel (links) und Norbert Roeder beim Gespräch in der Redaktion des Deutschen Ärzteblattes. Fotos: Eberhard Hahne
Lernen vom Besten: In zehn vom Bundesgesundheitsministerium geförderten Modellprojekten soll ein strukturierter Lernprozess umgesetzt werden.

Der Förderschwerpunkt „Benchmarking im Gesundheitswesen“ (BIG) umfasst einen Verbund von zehn Initiativen, deren Ziel es ist, vorhandene Verbesserungspotenziale in der Gesundheitsversorgung zu identifizieren und nutzbar zu machen. Benchmarking bezeichnet einen strukturierten Prozess des Lernens auf der Basis von Leistungs- und Ergebnisvergleichen verschiedener Organisationen.
Dabei gilt es, die als beste anerkannte Praxis zu identifizieren und in einen strukturierten Erfahrungsaustausch einzubringen. Dieses Verfahren wurde zunächst in der Wirtschaft eingesetzt und wird nun auch im Gesundheitswesen angewandt. Das Modellvorhaben wird seit 2003 durch das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) mit insgesamt drei Millionen Euro gefördert. In wenigen Monaten werden die letzten Projektförderungsphasen auslaufen.
Das Deutsche Ärzteblatt befragte Prof. Dr. med. Wolfgang Gaebel, Sprecher der Projekte, Dr. med. Birgit Janssen (Rheinische Kliniken Düsseldorf, Kliniken der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf), Prof. Dr. med. Norbert Roeder, stellvertretender Sprecher (Universitätsklinikum Münster), und Dr. med. Hiltrud Kastenholz, Referatsleiterin im BMG, zu ihren Erfahrungen mit BIG.


Deutsches Ärzteblatt: Die Mehrzahl der Projekte im Förderschwerpunkt „Benchmarking im Gesundheitswesen“ des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) ist inzwischen abgeschlossen. Gibt es dadurch konkrete Verbesserungen in der Patientenversorgung?
Gaebel: Die Disziplinen, die in dem Förderschwerpunkt vertreten sind (siehe Kasten), sind sehr heterogen – von der Psychiatrie über die Innere Medizin bis zur Chirurgie. Deshalb ist es mit der Vergleichbarkeit nicht ganz einfach. Dennoch: Vieles wird in den verschiedenen Projekten nach einem ähnlichen Design abgelaufen sein. Lassen Sie mich dies am Beispiel des von Frau Janssen und mir geleiteten Projekts – Benchmarking in der psychiatrischen Akutbehandlung – erläutern.
Ziele unseres Projekts sind die Behandlungsoptimierung von Depression im Alter, der Schizophrenie und Alkoholabhängigkeit. Zunächst wurde eine Basiserhebung durchgeführt; auf der Grundlage dieser Bestandsaufnahme erfolgte dann die Interventionsphase. Da es sich in der Regel um multizentrische Projekte handelte, deren Ergebnisse man miteinander vergleichen konnte, war die Benchmarking-Philosophie gewährleistet. Schließlich zeigte sich, wer hinsichtlich der Ergebnis- und Prozessqualität gut im Rennen liegt und wer sich eher am Ende des Rankings befindet.
In unserem Projekt ergab sich bei einigen Parametern eine deutliche Verbesserung – zum Beispiel bei der Verordnung nebenwirkungsarmer, allerdings auch teurer Medikamente, bei der Verweildauer in bestimmten Klinikbereichen oder aber beim Einsatz psychoedukativer Maßnahmen. Allerdings gibt es auch Bereiche, die ungünstig ausgefallen sind.

Konnte denn das Gesamtniveau verbessert werden? Und haben die zunächst relativ Schlechten im Projektverlauf aufgeholt?
Gaebel: Beides war zu beobachten. Durch die Intervention hat sich das Qualitätsniveau in einigen Messbereichen insgesamt verbessert. Und diejenigen, die angetreten waren, um im Sinne der Benchmarking-Philosophie von den Besten zu lernen, haben tatsächlich bei ausgewählten Parametern Verbesserungen erzielt. Dabei ist zu beachten, dass ein Großteil der beteiligten Kliniken bisher nicht in wissenschaftliche Projekte einbezogen gewesen war. Für diese war die Erhebung von zusätzlichen Befunden, die sie bisher nicht in ihrem Spektrum hatten, schon eine Leistung.
Im Rückblick überrascht es schon, wie man reinen Versorgungskliniken – und das sind sieben von den neun in dem von mir geleiteten Projekt – zumuten kann, zusätzliche Daten zu erheben und dabei auch gute Ergebnisse zu erzielen. Es mussten ja Daten von vielen Tausenden Patienten dokumentiert werden. Dass das eigentlich mühelos funktionierte, gibt uns Hoffnung, diese Parameter künftig in die Routine implementieren zu können.

Wie stellte sich denn im Vergleich dazu die Ausgangslage in dem Projekt „Akutversorgung Rheumatologie“ dar?
Roeder: Da gab es andere Startvoraussetzungen. Das Besondere war, dass hier die Patientenvertreter von Anfang an mit eingebunden waren. Die Rheumaliga ist einerseits Mitglied im Projekt, andererseits auch assoziiert mit dem Verband der Rheumatologischen Akutkliniken. Genau wie in dem Psychiatrie-Projekt gab es eine Basismessung, eine Interventionsphase und dann eine zweite Messung.
Beim letzten gemeinsamen Workshop der Projektträger im November haben wir allerdings projektübergreifend festgestellt, dass die Messungen gar nicht das Wesentliche sind. Das Wesentliche ist, dass man einen Aufhänger hat, um über Probleme zu diskutieren.

Der Weg ist also das Ziel?
Roeder: Ja, wir haben – wie in den anderen Projekten auch – sehr intensive Benchmarking-Workshops durchgeführt, bei denen sich aus den zwölf rheumatologischen Kliniken die kompletten Behandlungsteams getroffen haben – Ärzte, Pflegekräfte, Physiotherapeuten. Dort hat man offen die Ergebnisse verglichen und darüber diskutiert, warum einer besser als der andere ist und was dieser anders macht. Als Folge der Impulse, die man dort bekommen hat, haben sich aus diesen Diskussionen Verbesserungsvorschläge für die einzelnen Kliniken ergeben. Diese wurden in Booklets festgehalten und allen Kliniken zur Verfügung gestellt.

Das bedeutet letztlich, dass jeder Teilnehmer offen mit seinen Schwächen umgehen muss.
Roeder: Nun, zunächst mangelt es häufig an der Selbsterkenntnis, dass man überhaupt ein Problem hat. Dies entwickelt sich aber durch den Austausch mit den anderen Partnern. Wichtig ist, dass man diesen moderierten Veränderungsprozess in Gang setzt. Ich möchte noch einmal klar wiederholen: Es geht nicht darum, irgendeinen Laborparameter zu messen. Es geht in erster Linie darum, herauszufinden, was ein anderes Haus mit hoher Patientenzufriedenheit oder niedriger Wiedereinweisungsrate anders macht.
Sie hatten also keine festgelegten Werte, die Sie erreichen wollten?
Roeder: Nein, die Werte setzt sich jedes Haus selbst. Das Ziel war es, sich zu verbessern. Jede Klinik hat da andere Schwerpunkte gesetzt. Nehmen wir mal an, ein Haus hat nur zehn Prozent der notwendigen Entlassungsbriefe innerhalb einer Woche verschickt, während die letzten erst nach einem halben Jahr den niedergelassenen Arzt erreichten. Im Vergleich mit den anderen Kliniken gab es dann den Anreiz, 70 Prozent der Arztbriefe in der ersten Woche nach der Entlassung zu verschicken. Nach der Interventionsphase hat man dann geprüft, ob dieses Ziel erreicht wurde.

Wie kommen die Betroffenen mit dieser Vergleichssituation zurecht? Oder ist das Verfahren so anonymisiert, dass nur die jeweilige Klinik über ihre eigene Performance Bescheid weiß.
Roeder: Nein, das Prinzip des Benchmarkings ist völlige Offenheit und Transparenz. Kliniken konnten nur mitmachen, wenn sie sich verpflichtet hatten, alles offenzulegen. Natürlich gibt es da die Angst, es könnte sich etwas ergeben, was der Klinik schadet. Aber zum Benchmarking-Prozess gehört ja auch das Lernen, mit diesen subtilen Ängsten umzugehen.

Gaebel: Alle wissen alles. So muss auch derjenige, der in seiner Klinik gute Ergebnisse hat, identifizierbar sein. Denn von ihm will man ja wissen, was er besser macht oder wie er es anders macht.
Es geht nicht darum, Statistiken zu füllen, sondern sich auszutauschen und ohne Scheu über die Grenzen des eigenen Hauses ins Gespräch zu kommen. Das ist mit Sicherheit ein wesentlicher Nutzen eines solchen Projekts. Vorher war es undenkbar, dass sich diese neun Kliniken in die Karten gucken ließen.

Auch die Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung (BQS) macht Benchmarking. Gibt es da einen Unterschied zu Ihrer Arbeit?
Roeder: Die BQS sammelt standardisierte Daten aus Krankenhäusern; diese werden im Vergleich dargestellt. Das ist die einfachste Form von Benchmarking; das kommt in die Schublade und, so meine Erfahrung, bewirkt in der Regel gar nichts. Der gemeinsame Austausch fehlt im BQS-Verfahren. Ich will den Wert dieses Verfahrens nicht schmälern. Das kann die BQS nicht leisten. Die BQS hat vielmehr die Funktion des Messinstituts. Es fehlt diese moderierte Benchmarking-Komponente.

Janssen: Unser Konzept geht ein Stück weiter. Wir sind in einem vertrauten Raum, wo die unmittelbar Betroffenen miteinander diskutieren und individuell ihre Maßnahmen umsetzen können. Dieser kollegiale vertrauensvolle Raum, der ja während der Projektphase erst entstanden ist, lässt sich im normalen Klinikalltag, wie es das BQS-Verfahren vorsieht, gar nicht herstellen.

H. Kastenholz: „Man muss die Überzeugung der Menschen gewinnen, und sie müssen wissen, dass sie davon einen Nutzen haben.“
H. Kastenholz: „Man muss die Überzeugung der Menschen gewinnen, und sie müssen wissen, dass sie davon einen Nutzen haben.“
Kastenholz: Nun, bei Auffälligkeiten gibt es auch im BQS-Verfahren diesen strukturierten Dialog, der unterschiedlich von Bundesland zu Bundesland stattfindet, aber ganz klar etabliert ist. Aber ich gebe Ihnen recht: Der Unterschied ist wirklich der vertrauensvolle Raum, in dem bei BIG der Austausch stattfindet. Da kann man ganz anders miteinander reden. Und man nimmt wahrscheinlich die Anregungen und Erfahrungen der anderen sehr viel ernster oder sehr viel leichter an.

Gaebel: Der Diskussionsprozess in den Kliniken ist das Entscheidende, nicht weil sich die Mitarbeiter dadurch besser fühlen, sondern weil es den Patienten besser geht. Es geht immer um die Ergebnisqualität und nicht um das nette Reden miteinander. Doch ohne Kommunikation kommt das Ganze nicht in Gang.

Was wird aus den Projekten nach Abschluss der Förderung?
Kastenholz: Schon bei der Auswahl wurde darauf geachtet, dass die Vorhaben ein hohes Potenzial für eine nachhaltige Wirkung haben. Das BMG hat zusätzlich verschiedene Maßnahmen initiiert, um die Stetigkeit dieser Projekte zu fördern. Wir haben – mit zusätzlichem Geld finanziert – eine Internetplattform etabliert, um über ein Diskussionsforum den Austausch aller Projektteilnehmer untereinander in einem geschützten Raum möglich zu machen, aber auch, um andere darüber zu informieren. Auf der Internetseite www.benchmarking-qm.de kann man sich über die Projekte informieren und Kontakte knüpfen.
Wir werden jetzt über einen Zeitraum von zwei Jahren eine Evaluation, für die wir zusätzliches Geld zur Verfügung gestellt haben, durchführen. Diese soll auch die verallgemeinerbaren Erkenntnisse herausarbeiten und praktische Handlungsanleitungen für alle diejenigen geben, die ähnliche Projekte umsetzen wollen.

Gaebel: Die Projekte sind natürlich daran interessiert, sich selber zu verstetigen. Es wäre wirklich ein Jammer, wenn es nicht gelänge, aus diesen Pilotprojekten mehr zu machen. Aber ich glaube, wir sind noch längst nicht am Ende, denn man fängt jetzt erst an, den Schatz zu heben.

Es geht noch einmal um die Nachhaltigkeit. Sie sagen, Sie müssen es aus sich selbst heraus schaffen?
Roeder: Ja, wir möchten und müssen. Zunächst einmal würden wir keine externe Finanzierung bekommen, ohne dass ein erheblicher Einfluss genommen wird, der vielleicht die Grundidee später kaputt macht.

Wer soll das denn bezahlen?
Roeder: Die Krankenhäuser selber.

Und was sagen die Verwaltungen dazu?
Roeder: Die werden das bezahlen. Es geht noch um die Höhe, und das hat wieder etwas zu tun mit dem Leistungsumfang. Die Sache muss so gut sein, dass ein Krankenhausdirektor sagt: Das ist es mir wert, das ist ein positives Label für unser Haus. Letztlich muss unter Beweis gestellt werden, dass eine Versorgung in einer entsprechend zertifizierten Fachklinik besser ist. Ich denke, dass hier der Markt vieles regeln wird; diejenigen, die nicht mitmachen, werden bald schon das Nachsehen haben.

Kastenholz: Ich glaube, eine gesetzliche Verpflichtung zum Benchmarking wird nicht in der Weise umgesetzt werden, wie es hier in den Projekten gelebt wird. Man muss die Überzeugung der Menschen gewinnen, und sie müssen wissen, dass sie davon einen Nutzen haben. Das erreicht man nicht, wenn es zwangsmäßig übergestülpt wird.

Die Fragen stellten Dr. med. Vera Zylka Menhorn, Thomas Gerst.


Die benchmarking-projekte im Überblick

1. Outcome-Benchmarking in der rheumatologischen Akutversorgung (obra), Verband rheumatologischer Akutkliniken e.V. Hagen, Prof. Dr. med. Norbert Roeder, stellvertretender Sprecher der Projekte
2. Psychiatrische Akutversorgung, Landschaftsverband Rheinland/Rheinische Kliniken Düsseldorf, Prof. Dr. med. Wolfgang Gaebel, Sprecher der Projekte
3. Depression bei der Parkinson-Krankheit, Universitätsklinik Marburg, Prof. Dr. med. Richard Dodel
4. Versorgungsqualität bei Arzneimittel-Interaktion und Asthma bronchiale, Universitätsklinikum Heidelberg/AQUA GmbH/KV-Sa/AOK-Sa, Prof. Dr. med. Joachim Szecsenyi
5. Versorgung der Mukoviszidose-Patientinnen und -Patienten, Universitätsklinik Tübingen/Ärztekammer Niedersachsen, Dr. med. Brigitte Sens
6. Qualitätsgemeinschaft Schlaganfallversorgung in Schleswig-Holstein (QugSS), Universitätsklinikum Lübeck, Prof. Dr. Dr. med. Heiner Raspe
7. Geriatrische Patientenversorgung (Gemidas-QM), Charité Berlin, Dr. med. Markus Borchelt
8. Postoperative Schmerztherapie, Universitätsklinikum Jena, Priv.-Doz. Dr. med. Winfried Meißner
9. Ergebnisqualität in der Onkologie, Onkologischer Schwerpunkt Stuttgart e.V., Prof. Dr. med. Else Heidemann
10. Zwangsmaßnahmen in psychiatrischen Kliniken (ERZ), Die Weissenau, Abt. Psychiatrie I der Universität Ulm in Ravensburg, Prof. Dr. med. Tilman Steinert

Kommentare

Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote