SUPPLEMENT: PRAXiS
Antidiskriminierungsgesetz: Die Angst vorm falschen Wort
Dtsch Arztebl 2007; 104(13): [4]


Ein Gespenst geht um unter
Arbeitgebern und verbreitet Angst und Zweifel. Als „Antidiskriminierungsgesetz“ unter Rot-Grün erdacht, als „Bürokratiemonster“ gescholten, von der Großen Koalition abgeschwächt und zum „Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz“ (AGG) umgetauft, geistert das Gesetz durch die Republik. Seit dem 18. August 2006 ist das AGG in Kraft. Vor allem Arbeitnehmer und Mieter sollen vor Benachteiligung geschützt werden. Das Gesetz setzt eine Richtlinie der Europäischen Union um und dehnt den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Artikel 3 des Grundgesetzes auf Teile des privaten Vertragsrechts neu aus.
Acht Merkmale hat der Gesetzgeber festgelegt, derentwegen in bestimmten Schutzbereichen niemand mehr diskriminiert werden darf: Rasse und Ethnie, Geschlecht, Behinderung, sexuelle Neigung, Religion, Weltanschauung und Alter. Wer sich aus einem dieser Gründe benachteiligt fühlt, kann vor Gericht ziehen. Ansprüche müssen binnen einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, spätestens weitere drei Monate danach muss Klage erhoben sein, sonst ist der Fall verjährt.
Frauen und Behinderte haben die Möglichkeit zur Antidiskriminierungsklage schon seit vielen Jahren. Nur eine Handvoll Betroffene hatte jährlich davon Gebrauch gemacht. Den Prozess muss der Geschädigte selbst einläuten. Ein Verbandsklagerecht gibt es mit dem neuen Gesetz nicht mehr. Verbände bieten aber Rat an. Antidiskriminierungsverbände, die mindestens 75 Mitglieder haben, dürfen den Kläger im Verfahren unterstützen, etwa mit einem kostenfreien Anwalt.
Der Kläger muss dem zuständigen Amtsgericht konkrete Hinweise auf eine Benachteiligung geben und möglichst Zeugen an der Hand haben. Erst dann muss der Beklagte das Gegenteil beweisen. Es genügt nicht, dass die türkische Bewerberin nur lapidar erklärt, sie sei wegen ihrer Ethnie abgelehnt worden. Die Bewerberin muss Beweise vorbringen.
Bislang keine Klagewelle
Hat das Gericht eine Diskriminierung nach dem AGG festgestellt, hat der Benachteiligte Anspruch auf Beseitigung, Unterlassung oder Schadensersatz. Vom Arbeitgeber fordern kann er dann zum Beispiel Fahrtkosten zum Vorstellungsgespräch oder Besichtigungstermin, bei weiter Anreise auch Übernachtungskosten sowie Entschädigung für eine entgangene anderweitige Stelle oder Wohnung. Einen Anspruch auf einen Arbeits- oder Mietvertrag hat das Opfer aber nicht.
Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes erhielt bis Anfang Dezember 2006 gerade einmal 260 Anfragen zum Thema, darunter viele von Ärzten, die über das Pensionsalter hinaus praktizieren wollen. Für juristisches Aufsehen sorgten bislang nur Klagen von Lufthansa-Piloten, die gegen ihre Pensionierung mit 60 klagen, und niedergelassene Ärzte, die sich dagegen wehren, Kassenpatienten nur bis Ende 67 behandeln zu dürfen. Der Gesetzgeber begründet den Zulassungsentzug mit einem Anstieg der Zahl der Vertragsärzte, der den Ausgabenzuwachs in den gesetzlichen Kassen mitverursacht habe. 1998 hatte das Bundesverfassungsgericht pro Gesetzgeber entschieden: Das Gericht sah eine Gefahr für die Allgemeinheit – „wegen in diesem Alter nicht mehr als sicher zu unterstellender körperlicher und geistiger Leistungsfähigkeit“. Ein Hoffnungsanker bleibt Betroffenen der Europäische Gerichtshof, weil die Altersgrenze möglicherweise gegen das Diskriminierungsverbot der EU verstößt.
Der NAV-Virchow-Bund registriert nur vereinzelte Anfragen von Mitgliedern zum AGG. „Die Zahlen bewegen sich im einstelligen Bereich“, so Klaus Greppmeir vom Verband der niedergelassenen Ärzte Deutschlands. Derzeit würden zwar „weniger Neuanstellungen vorgenommen und die Besetzung frei gewordener Stellen wird zeitlich verschoben“. Grund sei aber die „wirtschaftliche und berufliche Lage“, sagt Greppmeir mit Blick auf die Gesundheitsreform.
Das zuständige Bundesfamilienministerium erklärt mit Blick auf das Gesetz, „dass die meisten Befürchtungen nicht gerechtfertigt sind“, so Pressereferent Marc Kinert. Inhaltliche Änderungen seien „daher erst einmal nicht geplant“. Wesentliche Grundzüge der Gleichbehandlung galten ohnehin schon vor Einführung des AGG. „Bei Neueinstellungen und Stellenausschreibungen waren bislang schon die Grundsätze der Gleichbehandlung zu beachten“, so der NAV-Virchow-Bund, „dazu gehört, dass eine Ausschreibung geschlechtsneutral sein muss.“
Verdi-Pressesprecher Jurczyk führt den § 611 a des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) an, der geschlechtsbezogene Benachteiligungen von Arbeitnehmern durch Arbeitgeber ohnehin verbietet. Gegner des Gesetzes hatten im „politischen Verfahren“, so Jurczyk, „vermeintliche Neuregelungen“ kritisiert, die längst Gesetz waren. Resümee des Verdi-Bundesvorstandes: Das Gesetz scheint sich „zu einem ganz normalen Instrument im gesellschaftlichen und betrieblichen Alltag zu entwickeln“.
Arbeitgeber stellt das Gesetz dennoch vor neue Herausforderungen. Niedergelassene Ärzte sollten bei Stellenausschreibungen und der Auswahl von Bewerbern größte Sorgfalt an den Tag legen, um Klagen zu vermeiden. Personalentscheidungen sind durch das AGG kontrollfähig geworden. Es ist ratsam, Stellenanzeigen, Personalfragebögen und Beförderungsverfahren mit Blick auf das Gesetz einer Revision zu unterziehen. Offene Stellen sollten tätigkeitsbezogen ausgeschrieben werden, die Formulierung neutral sein.
Ablehnungsgründe dokumentieren
Sprachformeln wie „junge, zuverlässige Mitarbeiterin gesucht“ oder „suche Verstärkung für ein junges Team“ verbieten sich, weil sie ältere Bewerber ausschließen. Umgekehrt kann auch die Anforderung einer „erfahrenen Arbeitskraft“ unter Umständen problematisch sein. Feste Altersangaben sollten in Stellenausschreibungen tabu sein. Auch die Suche nach einer „Arzthelferin“ ist – schon lange – ein Rechtsbruch, schließt sie doch männliche Bewerber aus.
Wer auf Nummer sicher gehen will, kann in der Stellenannonce Bewerber bitten, Unterlagen ohne Fotos einzusenden. So erübrigt sich der Verdacht, dass Bewerber wegen der Hautfarbe aussortiert werden. Gründe für eine Ablehnung sollten Ärzte dokumentieren – und zwar allein fachlich begründete. Das können zum Beispiel ungenügende EDV-Kenntnisse, fehlendes Wissen in Abrechnungsfragen oder auch mangelhafte Deutschkenntnisse sein.
In Absagebriefen muss der Arbeitgeber keinen Ablehnungsgrund anführen. Das gilt auch für Bewerber, die erst beim Vorstellungsgespräch scheitern. Dort sollten sich Arbeitgeber Fragen nach Religion, politischer Überzeugung, Rasse oder ethnischer Herkunft verkneifen. Um Zweifel gar nicht erst aufkommen zu lassen, kann bei Bewerbungsgesprächen ein Zeuge hinzugezogen werden, der Protokoll führt. Zu Beweiszwecken kann der Arbeitgeber Unterlagen abgelehnter Bewerber kopieren oder scannen, um Argumente für den Fall der Fälle zu haben.
Im Zweifel empfiehlt sich fachkundiger Rat. Dazu muss niemand teure Anwälte beauftragen. Für Mitglieder des NAV-Virchow-Bundes etwa ist eine Rechtsberatung im Beitrag enthalten. Zudem seien Berufsverbände der Ärzte „spezialisiert auf Fragestellungen und Erfordernisse speziell aus dem Kreis der niedergelassenen Ärzte“, so Greppmeir. Rat erteilt auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes.
Vor allem § 12 AGG hat es in sich. Absatz 1 behandelt die Sorgfaltspflicht: Der Arbeitgeber muss vorbeugende Maßnahmen zum Schutz vor Diskriminierung ergreifen. Das kann zum Beispiel ein Verhaltenskodex in der Arztpraxis sein, in größeren Betrieben auch eine freiwillige Betriebsvereinbarung zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat. Absatz 2 schreibt vor, dass alle Vorgesetzten und Mitarbeiter zum Gesetz geschult werden müssen. Seminare zum Gesetz sind daher stark gefragt. Absatz 5 sieht eine Aushangpflicht vor: Allen Mitarbeitern muss das AGG zugänglich gemacht werden. Verstößt der Chef gegen die Vorgaben, können Geschädigte ihn zur Rechenschaft ziehen – auch dann, wenn nicht er selbst, sondern Mitarbeiter diskriminiert haben.
Weitere Informationen: Antidiskriminierungsstelle des Bundes – Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, Alexanderstraße 3, 10178 Berlin, Telefon: 0 30 18/5 55-18 65, E-Mail: ads@bmfsfj.bund.de Kai Althoetmar
Der Arzt als Vermieter
Auch Ärzte, die eine Praxis, einzelne Praxisräume oder privat eine Immobilie oder Wohnung vermieten, müssen sich hüten. Wer zum Beispiel einem ausländischen Mietinteressenten mit der Begründung „Ihr Ersuchen konnte nicht mehr berücksichtigt werden“ absagt, die Räume dann aber doch monatelang leer stehen lässt, muss im Streitfall den Verdacht ausräumen können, dass keine „ethnische Benachteiligung“ vorliegt. Anders sieht es mit Faktoren wie Kindern oder Einkommen aus. Sprüche beim Besichtigungstermin wie „Ich vermiete nur an Singles“, „Vier Kinder? Nein danke“ oder „Hartz-IV-Empfänger können gleich wieder abzischen“ sind legal. Kinderreichtum oder Einkommen sind kein Kriterium des AGG. Auch der Familienstand wird nicht vom Gesetz gegen Herabsetzung geschützt.
In den meisten anderen Fällen gilt nur ein abgespecktes AGG-Gesetz für Vermieter. Wer maximal 50 Wohnungen vermietet, darf zwar niemanden wegen Rasse und Ethnie benachteiligen. Doch haben wegen Religion, Weltanschauung, sexueller Identität, Alter oder Behinderung Diskriminierte keine juristische Handhabe. Die Eigentümerschutzgemeinschaft Haus und Grund rät dennoch, jede Ablehnung eines Mietinteressenten genau zu dokumentieren. Nur so könnten spätere Ansprüche abgewehrt werden. Allerdings müssen die Unterlagen nur maximal drei Monate aufbewahrt werden, denn danach sind etwaige Ansprüche verjährt.