

Johann Hauser:
Krampusfrau.
Fotos: Sammlung Dammann
Wahnsinn und Kunst galten immer schon als Verwandte, meist deutete man die Empfindsamkeit des Künstlers als eine von psychischen Einbrüchen bedrohte Grenze. Umgekehrt prädestiniert psychische Labilität nicht zwingend zum Künstlertum. „Wirkliche Künstler gibt es unter den Kranken in der Psychiatrie ebenso selten wie unter den Gesunden“, sagt Gerhard Dammann, „allerdings besteht die Gefahr, dass man bei ihnen die Begabung eher übersieht.“ Damman leitet die Psychiatrische Klinik in Münsterlingen am Bodensee und trägt seit seinen Studententagen Kunstobjekte von psychiatrischen Patienten zusammen. So ist eine der jüngsten Sammlungen von Art brut entstanden, die seit dem 21. Januar im Ernst-Barlach-Haus in Hamburg zu sehen ist.
Der an Schizophrenie erkrankte Theodor Wagemann ist ein Beispiel für solch ein lang übersehenes Talent. Der 1998 verstorbene Künstler produzierte in einem Heim in Weeze am Niederrhein Hunderte von Zeichnungen auf billigstem Papier, die stets achtlos entsorgt wurden, bis einem Zivildienstleistenden seine Begabung auffiel. „Damit die Werke von psychiatrisch Kranken überhaupt erhalten werden, haben wir oft mit konservatorischen Schwierigkeiten zu kämpfen“, erläutert Dammann. Nicht zuletzt deshalb stellt man im Künstlerhaus Gugging, 20 Kilometer nördlich von Wien, oder auch im Zentrum La Tinaia in Florenz innerhalb besonderer psychiatrischer Abteilungen diesen Künstlern Bedingungen zur Verfügung, die auch das Arbeiten mit wertvollen Ausgangsmaterialien einschließen, ohne indes auf eine Kunsttherapie zu zielen.
Giordano Gelli:
Kopf
Gerhard Dammann, dessen Frau seine Leidenschaft für diese Art der „Outsider“-Kunst teilt, entdeckte seine Neigung während einer Famulatur in der Prinzhorn-Sammlung in Heidelberg, der größten und berühmtesten Sammlung von „Irrenkunst“ in Deutschland. In Heidelberg hatte auch diese aktuelle Ausstellung im Sommer letzten Jahres unter dem Titel „wahnsinn sammeln“ begonnen. Neben den genannten Künstlern finden sich viele einzelne Preziosen, zum Beispiel das überhaupt erste Bild von Unica Zürn. „Besonders stolz sind wir darauf“, berichtet Dammann, „dass es uns sogar gelungen ist, über das seltsame Wappenblatt eines zunächst Unbekannten den sicher auch geisteskranken Universitätsmaler Abraham Beurer aus Altdorf bei Nürnberg (um 1720) der Anonymität zu entreißen.“ Das ist ihm bei seinem Lieblingsstück, einer Holzfigur aus der psychiatrischen Klinik Sainte Anne in Paris, noch nicht gelungen. Ebenfalls nicht entschlüsselt ist das Rätsel um ein skurriles Holzbett, das auch aus einer französischen Anstalt stammt und womöglich von einem Künstler geschnitzt wurde, der die Südsee kannte. Wer jenseits all dieser besonderen Objekte mehr über den Wahnsinn des Sammelns von Wahnsinn erfahren will, sollte auf den Katalog nicht verzichten.
Martina Lenzen-Schulte