ArchivDeutsches Ärzteblatt15/2007Die dissoziative Identitätsstörung – häufig fehldiagnostiziert: Diagnose bedeutet Narrenfreiheit
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LNSLNS „Die so diagnostizierten Patientinnen und Patienten profitieren in der Regel gut von Trauma-adaptierten Therapieprogrammen“. Als Beleg wird hier jedoch lediglich eine Leitlinie aus dem Jahre 2001 angeführt, die sich auf posttraumatische Belastungsstörungen bezieht und nicht explizit auf die multiple Persönlichkeit. „Eine erste Behandlungsstudie“, veröffentlicht 1997, war nicht kontrolliert, beschreibt die Intervention nicht, hatte eine Drop-out-Rate von 60 % und bildet möglicherweise nur die „Regression zum Mittelwert“ ab. Bessere Daten scheinen bisher nicht erhoben worden zu sein.
„Meist besteht eine teilweise oder vollständige Amnesie für das Vorhandensein oder die Handlungen der jeweils anderen Persönlichkeitszustände“. Es handelt sich also um eine selektive Amnesie. Eine solche gilt als Zeichen einer funktionellen Störung (1), die gut simuliert werden kann (2) und wird (3). Und: wie kann ein Patient die „Symptome offenbaren“, wenn diese einer Amnesie unterliegen?
Die Symptome müssen „aktiv erfragt werden“. Die Patienten müssen also erst darauf hingewiesen werden, dass es eine elegante Möglichkeit gibt, sie nach jeglichem aberranten Verhalten von Verantwortung zu entlasten – dann aber sind sie für die Chance dankbar, die sich unverhofft bietet. Sicher ist es auch dem empathischen Therapeuten angenehmer, diese oder jene Verhaltensweise statt dem bedauernswerten Dr. Jekyll dem teuflischen Mr. Hyde anzukreiden. Wenn sich „in der Regel acht bis zehn verschiedene Persönlichkeitszustände finden ... [und] in 20 % der Fälle 20 und mehr ,Personen‘“, dann bedeutet dies völlige Narrenfreiheit, denn es dürfte Frager wie Befragtem schwer fallen, hierbei den Überblick zu behalten.
Bei einem diagnostischen Verfahren, welches 99 % Spezifität bei 99 % Sensitivität erreicht, stellt sich die Frage, ob das Außenkriterium für die Validität nicht bereits im Fragebogen enthalten ist.


Dr. med. Matthias Mindach
Humboldtstraße 5
15230 Frankfurt (Oder)
E-Mail: mindach@onlinehome.de
1.
Brandt J, van Gorp WG: Functional („psychogenic“) amnesia. Sem Neurol 2006; 26: 331–40. MEDLINE
2.
Brand BL, McNary SW, Loewenstein RJ, Kolos AC, Barr SR: Assessment of genuine and simulated dissociative identity disorder on the structured interview of reported symptoms. J Trauma Dissociation 2006; 7: 63–85. MEDLINE
3.
Huntjens RJ, Peters ML, Woertman L: Inter-identity amnesia in dissociative identity disorder: a simulated memory impairment? Psychol Med 2006; 36: 857–63. MEDLINE
1. Brandt J, van Gorp WG: Functional („psychogenic“) amnesia. Sem Neurol 2006; 26: 331–40. MEDLINE
2. Brand BL, McNary SW, Loewenstein RJ, Kolos AC, Barr SR: Assessment of genuine and simulated dissociative identity disorder on the structured interview of reported symptoms. J Trauma Dissociation 2006; 7: 63–85. MEDLINE
3. Huntjens RJ, Peters ML, Woertman L: Inter-identity amnesia in dissociative identity disorder: a simulated memory impairment? Psychol Med 2006; 36: 857–63. MEDLINE

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