ArchivDeutsches Ärzteblatt16/2007Ärzteschach: Gesammelte Fehldiagnosen

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Ärzteschach: Gesammelte Fehldiagnosen

Pfleger, Helmut

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Fotos: Josef Maus
Fotos: Josef Maus
Die 15. Schachmeisterschaft für Ärztinnen und Ärzte in Bad Homburg brachte spannende Spiele und ein hauchdünnes Ergebnis. Es war knapp wie nie zuvor.

Sage einer, aufs Deutsche Ärzteblatt könne man sich nicht verlassen. Noch sind nicht alle Schlachten des alten Ärzteturniers geschlagen, noch sind nicht alle aktuellen Leichen in den Keller geräumt, schon stellen sich die Verantwortlichen die Frage, wo das nächste Turnier stattfinden soll. Da kommen selbst fränkische Bischofsstädte in die nähere Auswahl, doch zum guten Schluss, so sicher wie das Amen in der Kirche, fällt die Wahl auf ein Kurbad mit Kasino. Warum auch nicht?! Post festum kann man dann nur ein ums andere Mal sagen: „Und es war gut so!“
Dieses Jahr war es also mal wieder in Bad Homburg. 151 Teilnehmer aus ganz Deutschland waren angereist – darunter auch fünf Ärztinnen. Bad Homburg ist durchaus ein schachhistorischer Ort; schließlich fanden dort nicht nur schon etliche Großmeisterturniere statt, sondern es verirrte sich einst sogar der Glücksspielen ansonsten abholde ehemalige Weltmeister Bobby Fischer ins Kasino. Ohne Fortune. Schach spielen ist einfacher.
Mit leichter Hand
Gar nicht selten schien indes der „genius loci“ die Schach spielenden Ärzte zu beflügeln, wurden auch bei dieser Meisterschaft mal mit leichter Hand, mal unter mehr oder weniger großen Geburts- und sonstigen Wehen Perlen von Kombinationen ausgepresst, die leider nur begrenzt der Nachwelt überliefert werden können; übers Jahr will ich jedoch zumindest einige in den Schachspalten präsentieren.
Aber selbstverständlich traf auch, gerade bei Schnellpartien mit nur einer halben Stunde Bedenkzeit für die gesamte Partie, des Öfteren Dr. med. Kurt Baums Diktum zu: „Erfahrung ist die Summe der gemachten Fehler!“ Ähnlich wie Dr. med. Eckhard Bergen von seinem ehemaligen Lehrer für Allgemeinmedizin berichtete, der den Schülern sein Opus magnum „Meine gesammelten Fehldiagnosen“ vermachte, wobei dieses jährlich anwuchs. Nun, auch jeder Schachspieler kann ein solches Werk verwalten, Deutschlands bester Spieler der Nachkriegszeit, Robert Hübner, lässt uns an seinen „Fünfundfünfzig feiste Fehler“ teilhaben – alle exklusiv eigenhändig gemacht. Und schließlich wusste schon Tartakower: „Eine Schachpartie ist ein Märchen aus 1001 Fehlern!“ Aus denen Schachspieler wie Ärzte ununterbrochen lernen – bis zur Perfektion.
Doch der Mensch lebt nicht allein vom „Probierstein des Gehirns“ – eine Metapher, die Goethe in einer wohlgesonnenen Stunde dem Schachspiel angedeihen ließ. Zur Mittagszeit verlangt auch der Magen sein Recht, selbst bei ansonsten vergeistigten, Schach spielenden Ärzten. Goethe hatte auch noch anderes zu bieten: „Dieses Spiel ist geeignet, allem Dichterischen den Garaus zu machen“ oder noch schlimmer: „Ich wollte lieber das Geheul der Totenglocke, lieber das Gebell des knurrigen Hofhunds hören als von Läufern, Springern und anderen Bestien das ewige ,Schach dem König‘!“ (Götz von Berlichingen).
Da geht eine illustre Runde zum Schmausen sogar in den Weinkeller eines italienischen Restaurants.Und was trinken sie da? . . . Apfelschorle! So (entsetzlich) vernünftig sind Schach spielende Ärzte, wenn noch drei schwere Nachmittagspartien vor ihnen liegen. „Will keiner trinken? Keiner lachen? Ich will euch lehren Gesichter machen! Ihr seid ja heut wie nasses Stroh. Und brennt sonst immer lichterloh.“ (Faust – Auerbachs Keller).
Bloß keine lange Rochade
Die Sieger (v. l.) nach neun anstrengenden Partien: Thorsten Heedt, Patrick Stiller, Hannes Knuth, Thorsten Kober und Johannes Dorst
Die Sieger (v. l.) nach neun anstrengenden Partien: Thorsten Heedt, Patrick Stiller, Hannes Knuth, Thorsten Kober und Johannes Dorst
Sehr wohl brannten dann etliche Bretter, nicht zuletzt bei Dr. med. Matthias Birke, dem während seines Mittagsschlafs träumte, er gewönne auch (schon am Vormittag gelang ihm ein Hattrick) am Nachmittag seine drei Partien. So war’s denn auch; als er mir danach davon erzählte, fügte er noch hinzu, er hoffe am nächsten Morgen nicht auf eine „lange Rochade“, sprich in der symbolischen Schachnotation „0-0-0“. Nun, die wie immer launische Schachgöttin Caissa entzog ihm wirklich ihre Gunst, nur noch ein magerer halber Punkt kam zu den fetten sechs dazu, der strahlende Turniersieger in spe fand sich plötzlich auf dem neunten Rang wieder.
Stattdessen befanden sich zum Schluss Dr. med. Thorsten Heedt und Dr. med. Patrick Stiller auf den ersten beiden Plätzen; bei Dr. Stiller ahnte ich dies schon, als er vor Turnierbeginn im Schwimmbad des Hotels selig lächelnd seinen nackten, viermonatigen Säugling auf seinem Bauch wiegte. Ich musste an Buddha denken, obwohl es seinem Bauch zugegebenermaßen dazu noch der nötigen Fülle ermangelt.
„Im Schweiße eures Angesichts sollt ihr eure Punkte erringen“, das wusste sicher auch der Kollege, der Samstagabend hinter einem anderen die Treppe hinaufging, um diesen schließlich zu fragen, wo es denn hinunterginge. So viel zur Geistesgegenwart von Ärzten nach sechs Runden anstrengenden Schachs.
Ganz wach und geistesgegenwärtig waren in der vorletzten Runde am Sonntagmorgen hingegen die fünf teilnehmenden Damen, wie immer angeführt von Dr. med. Utta Recknagel. 5 : 0 hieß es da im Kampf der Geschlechter; zur Ehrenrettung der Herren sei gesagt, dass sie zuweilen auch mehr Widerstand leisteten. In jedem Fall hielten es die „glorreichen Fünf“ nicht mit der Frau von Max Weber: „Mich dürstet nach der Männer Weisheit“. Obwohl das ja so übel auch nicht wäre.
Ganz und gar nicht übel war es auch, als bei der Siegerehrung der „Götterbote“, Direktor Manfred Hermes von der Deutschen Apotheker- und Ärztebank, sein Füllhorn über die bedürftigen Ärzte ausgoss und ich bei der Gelegenheit erfuhr, dass die APO-Bank neuerdings für Ärzte in existenziellen Krisen sehr günstige Angebote bereithält. Von Schachkrisen sagte er nichts.
Dr. med. Helmut Pfleger

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