ArchivDeutsches Ärzteblatt19/2007Stadtporträt: In Münster ist die Welt noch ziemlich in Ordnung

THEMEN DER ZEIT

Stadtporträt: In Münster ist die Welt noch ziemlich in Ordnung

Stüwe, Heinz

Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS
Münsters gute Stube: Der Prinzipalmarkt mit seinen Giebelhäusern und Bogengängen. Foto: Presseamt Stadt Münster/Tilman Roßmöller
Münsters gute Stube: Der Prinzipalmarkt mit seinen Giebelhäusern und Bogengängen.
Foto: Presseamt Stadt Münster/Tilman Roßmöller
Für Kirchen, Kultur und Krimis ist die Stadt des 110. Deutschen Ärztetages bekannt. Ihr Wunschprofil für die Zukunft lautet: Stadt der Wissenschaft.

Wilsberg und die Schwarze Petra“ wäre ein schöner Titel, „Der Schädel Knipperdollings“ ein weiterer. Ob die Drehbuchautoren der in Münster spielenden Krimiserien thematische Anregungen benötigen, ist nicht bekannt. Aber vorstellen kann man sich sehr gut, wie „Tatort“-Rechtsmediziner Professor Boerne die Untersuchung eines unter rätselhaften Umständen aufgefundenen Überrests Knipperdollings zelebrieren würde. Der Statthalter und Scharfrichter der Wiedertäufer war 1535 nach dem Ende einer kurzen protestantisch-revolutionären Gewaltherrschaft auf Geheiß des Fürstbischofs exekutiert und anschließend zusammen mit zwei anderen Führern der Wiedertäufer in Käfigen am Turm der Lambertikirche zur Schau gestellt worden. Die Käfige hängen noch. Aber makabre Rückgriffe auf Historisches sind nicht vonnöten: Münsters Altsstadt mit Prinzipalmarkt und Dom, seine solide, gediegen-behäbige Bürgerlichkeit mit akademisch-alternativen Zutaten, ge-ben auch so eine hervorragende Kulisse für Krimis ab, die zumeist in der tatsächlichen Münsteraner Kriminalstatistik keine Entsprechung finden. Was macht es da, dass ein Großteil beider Serien, wie in der Zeitschrift „Merian“ zu lesen war, in Köln gedreht wird? Die Imagewerbung ist Münster willkommen.
Botschafter der Stadt: Der exzentrische Rechtsmediziner Professor Karl- Friedrich Boerne Jan Josef Liefers, links) und Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl) vom „Tatort“ in Münster. Foto: Presseamt Stadt Münster
Botschafter der Stadt: Der exzentrische Rechtsmediziner Professor Karl- Friedrich Boerne Jan Josef Liefers, links) und Kommissar Frank Thiel (Axel Prahl) vom „Tatort“ in Münster. Foto: Presseamt Stadt Münster
Zum vierten Mal nach 1907, 1956 und 1982 findet hier der Deutsche Ärztetag statt. Delegierte und Gäste, die sich aufmachen, Privatdetektiv Wilsbergs Antiquariat aufzuspüren (es gibt Führungen), dürften überrascht sein. Die Realität ist ähnlich wohlgeordnet wie im Film. In Münster ist die Welt noch in Ordnung.
Edle Boutiquen mit Designerkleidung, elegante Herrenausstatter statt billiger Ramschläden lassen Rückschlüsse auf die Kaufkraft der Bevölkerung zu. „Münster liegt bei den Wirtschaftsdaten, vor allem hinsichtlich der Dynamik, nicht nur im Landes-, sondern auch im Bundesvergleich sehr gut“, berichtet Oberbürgermeister Dr. Berthold Tillmann (CDU) im Gespräch mit dem Deutschen Ärzteblatt stolz. Dennoch gibt es auch Probleme, beispielsweise den hohen Schuldenstand der Stadt. Aber Tillmann ist sicher, dass ihn die meisten seiner Amtskollegen beneiden. Welcher Bürgermeister hätte für seine Kommune nicht gern Titel wie „Fahrradhauptstadt“ oder „lebenswerteste Stadt der Welt“?
Münster ist traditionell eine Verwaltungs- und Behördenstadt. Als solche ist sie, auch wenn die Münsteraner um manche zentrale Einrichtung für den westfälischen Teil des Landes Nordrhein-Westfalen bangen müssen, nicht so krisenanfällig wie von der Industrie geprägte Kommunen. Knapp 280 000 Einwohner hat die Stadt, allein 52 000 studieren, lehren, forschen, arbeiten an der Westfälischen Wilhelms-Universität und im Universitätsklinikum. Auch die Studierenden sieben weiterer Hochschulen von der Kunstakademie bis zur Deutschen Hochschule der Polizei prägen das Bild und machen aus dem geschichtsträchtigen Ort des Westfälischen Friedens eine junge Stadt.
Die Uni und sieben weitere Hochschulen prägen die Stadt. Das barocke Schloss, 1767 bis 1787 nach Plänen von Johann Conrad Schlaun erbaut, ist das Hauptgebäude der Westfälischen Wilhelms-Universität. Hinter dem Schloss liegt der sehenswerte Botanische Garten. Foto: Presseamt Stadt Münster/Bernhard Fischer
Die Uni und sieben weitere Hochschulen prägen die Stadt. Das barocke Schloss, 1767 bis 1787 nach Plänen von Johann Conrad Schlaun erbaut, ist das Hauptgebäude der Westfälischen Wilhelms-Universität. Hinter dem Schloss liegt der sehenswerte Botanische Garten. Foto: Presseamt Stadt Münster/Bernhard Fischer
Die akademische Vielfalt soll zur Stärke gebündelt werden. In einer konzertierten Aktion wollen Stadt und Hochschulen die „Wissenschaftsstadt“ profilieren. Von „Konzentration auf Kompetenzfelder“, von „Clusterbildung“ ist die Rede. Das klingt gut, bleibt aber noch vage. Klar sei schon heute, dass das Themenfeld Gesundheit/Medizin dabei eine zentrale Rolle spielen werde, versichert der Oberbürgermeister, der auf die zahlreichen medizinischen und gesundheitswissenschaftlichen Einrichtungen, auf das Krebsregister NRW, die Ärztekammer, die Apothekerkammer und auf Pharmaunternehmen am Ort verweist. Dr. med. Theodor Windhorst, Präsident der Ärztekammer Westfalen-Lippe, sieht für Münster und das Münsterland ideale Voraussetzungen dafür, sich mit dem Thema Bewegung und Gesundheit zu profilieren. Dazu passt, dass die Landesregierung in Düsseldorf das Beschäftigungspotenzial der Gesundheitsbranche entdeckt hat. Diese Wachstumsbranche mit mehr als einer Million Arbeitsplätzen in Nordrhein-Westfalen soll gezielt gefördert werden.
Das Szene-Viertel: In ehemaligen Speichern und Lagerhallen am Stadthafen nahe bei der Halle Münsterland entsteht das neue Münster – mit Ateliers, Architekturbüros, Agenturen, Verlagshäusern, Kneipen und Clubs. Foto: Presseamt Stadt Münster/Joachim Busch
Das Szene-Viertel: In ehemaligen Speichern und Lagerhallen am Stadthafen nahe bei der Halle Münsterland entsteht das neue Münster – mit Ateliers, Architekturbüros, Agenturen, Verlagshäusern, Kneipen und Clubs. Foto: Presseamt Stadt Münster/Joachim Busch
Den Delegierten und Gästen des Ärztetages empfiehlt der gastgebende Kammerpräsident derweil, den „Wohlfühl-Faktor“ Münsters selbst zu erleben. Oberbürgermeister Tillmann hat über das touristische Pflichtprogramm Rathaus, Prinzipalmarkt und Dom hinaus noch einen Tipp, der mit Werbung für ein kulturelles Großereignis in diesem Sommer verknüpft ist. Ab Juni findet zum vierten Mal die Internationale Skulpturenausstellung statt. „Die schönsten Kunstwerke, für speziell von den Künstlern ausgesuchte Standorte geschaffen, bleiben der Stadt erhalten und könnten jetzt, als Vorgeschmack auf die neue Ausstellung, besichtigt werden. Seinen Rat, das populärste Fortbewegungsmittel der Stadt zu nehmen, verbindet er mit einer präventiven Information: „Keine Angst vor den manchmal etwas unkonventionellen Münsteraner Radfahrern.“ Auf der kulturellen Erkundungstour könnte Besuchern am Aasee eine inzwischen weltweit bekannte Münsteranerin begegnen: die „Schwarze Petra“, jene Schwänin, die sich vor einem Jahr in ein weißes Plastiktretboot in Schwanengestalt verguckte und diesem seitdem nicht mehr von der Seite weicht.
Heinz Stüwe

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote