POLITIK
111. Hauptversammlung des Marburger Bundes: Eine Gewerkschaft als lernendes System
DÄ plus


Billiges Nachkarten
nach einer verlorenen
Tarifauseinandersetzung
wirft
Frank Ulrich Montgomery
den Arbeitgebern
vor. Fotos: Jürgen Gebhardt
Dass man sich im Vorjahr bei den Tarifverhandlungen mit den öffentlichen Klinikarbeitgebern auf eine eigene Entgeltgruppe für die Oberärzte hatte einigen können, war für den Marburger Bund (MB) ein großer Erfolg. Dementsprechend heftig kritisierte die 111. MB-Hauptversammlung in Münster jene Krankenhausleitungen, die Oberärzten eine ordnungsgemäße Eingruppierung in die Entgeltstufe III verweigern (was für die Betroffenen monatliche Einbußen von bis zu 1 000 Euro bedeutet): Die Arbeitgeber gefährdeten den Frieden in den Kliniken, heißt es in einem einstimmig gefassten Beschluss. Dr. med. Frank Ulrich Montgomery hält das Vorgehen für ein „billiges Nachkarten nach einer verlorenen Auseinandersetzung“. Die Spartaktik sei unerträglich und komme einem Tarifbruch nahe. Er appellierte an die Arbeitgeber, die tarifgerechte Eingruppierung von Oberärzten nicht länger zu blockieren.
Für Lutz Hammerschlag ist die Rechtslage dabei eindeutig: „Jeder Arzt, der Oberarzttätigkeiten ausführt, muss als solcher vergütet werden – unabhängig davon, ob ihn die Verwaltung dazu benannt hat oder nicht“, betonte der MB-Tarifverhandlungsführer am Rande der Hauptversammlung. Der Jurist ist sich sicher, dass erste Arbeitsgerichte diese Auffassung schon bald – eventuell noch in diesem Monat – bestätigen werden. In Nordrhein-Westfalen, Hamburg und Bayern unterstützt der MB aktuell Oberärzte, die ihren Arbeitgeber verklagt haben, weil sie als Fachärzte vergütet werden. In anderen Fällen hat aber auch bereits die Androhung des Rechtswegs die ordnungsgemäße Einstufung von Ärzten bewirkt. Montgomery: „Viele Klinikleitungen wissen, dass sie im Unrecht sind und lenken dann schnell ein, wenn es ernst wird.“
Das Referat Tarifpolitik hat seine Konsequenzen aus dem Streit um die Oberarzt-Eingruppierung gezogen: So enthält der jüngst mit der Charité Universitätsmedizin Berlin vereinbarte Tarifvertrag eine sehr exakte Definition, wann ein Arzt als Oberarzt einzustufen ist. Noch besser gelöst werden konnte die Oberarztproblematik in den beinahe abgeschlossenen Tarifverhandlungen mit der Damp-Gruppe. In den Einrichtungen der privaten Klinikkette werden alle Ärzte als Oberarzt eingestuft, die bisher den Titel trugen. „Unser Ziel muss es sein, dass jeder neu abgeschlossene Ärzte-Tarifvertrag besser ist als der vorherige“, sagte Tarifexperte Hammerschlag gegenüber dem Deutschen Ärzteblatt.
Nicht ohne Stolz hatte Montgomery zu Beginn der Hauptversammlung am 12. Mai die lange Liste der inzwischen abgeschlossenen Tarifverträge aufgezählt: für die Ärzte an den kommunalen Krankenhäusern, die Universitätsklinikärzte oder auch die Ärzte bei Helios und Vivantes – um nur einige Tarifbereiche zu nennen. Aber es gebe immer noch „unendlich viele weißen Flecken in der Tariflandschaft“ (Montgomery). So führe die Ärztegewerkschaft unter anderem noch Tarifverhandlungen mit Rhön, der Deutschen Rentenversiche-rung, Sana und mit Asklepios. Keine Bereitschaft zu Tarifgesprächen gebe es hingegen weiterhin bei den freigemeinnützigen Krankenhäusern. Montgomery: „Dabei muss doch auch den kirchlichen Trägern klar sein, dass sie langfristig nicht wettbewerbsfähig bleiben können, wenn sie den Ärztinnen und Ärzten niedrigere Gehälter zahlen als die Konkurrenz.“
Insgesamt waren sich die 203 Delegierten der Hauptversammlung weitgehend einig, dass die ersten Tarifabschlüsse zwar eine gute Basis für weitere Verhandlungsrunden darstellen, aber doch noch viele Dinge zu verbessern sind. „Es ist noch viel aufzuarbeiten. Der Frust an der Basis ist nach wie vor groß“, sagte Dr. med. Christiane Groß, Delegierte aus Wuppertal. Kontrovers diskutiert wurde in diesem Zusammenhang die Frage, ob der MB künftig auch für andere Wissenschaftler im Krankenhaus – insbesondere Biologen oder Chemiker, die im Labor teilweise die gleichen Tätigkeiten ausüben wie Ärzte – Tarifverhandlungen führen solle. Dies sei gerechter und diene dem Betriebsfrieden in den Krankenhäusern, argumentierten die Befürworter dieses Vorschlags. Dr. med. Klaus U. Josten, Delegierter aus Meckenheim, sah für den Fall allerdings die Gefahr, „dass wir uns dann verzetteln“. „Das, was drauf steht – Verband der angestellten und beamteten Ärztinnen und Ärzte Deutschlands –, muss auch drin sein“, meinte Dr. med. Erck Elolf, Delegierter aus Hannover. Bevor man andere Berufsgruppen mit ins Boot nehme, müssten erst einmal die überwiegend wissenschaftlich tätigen Ärztinnen und Ärzte in die Tarifverträge mit eingebunden werden, ergänzte Dr. med. Susanne Bornschein, Delegierte aus München. So sahen es die meisten Anwesenden. Hintergrund: Der mit der Tarifgemeinschaft deutscher Länder ausgehandelte Tarifvertrag gilt nur für die überwiegend in der Krankenversorgung tätigen Uniklinikärzte. Die überwiegend wissenschaftlich tätigen Ärzte werden hingegen nach dem Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst bezahlt und verdienen deshalb deutlich weniger. „Um den Wissenschaftsstandort Deutschland zu stärken, ist es zwingend notwendig, diese Personengruppe ausreichend zu honorieren“, unterstrich Josten. In den Verhandlungen mit der Berliner Charité ist dies übrigens gelungen: Dieser Tarifvertrag gilt für alle Ärzte des Universitätsklinikums.
Aufrüstung: Die
Kleine Tarifkommission
wurde um fünf
auf 15 Mitglieder
aufgestockt. Die
Wahlen zogen sich
zwei Stunden hin.
Jens Flintrop
Deutsches Ärzteblatt plus
zum Thema
Herzmann, Christian
Rumpel-Sodoma, Constanze
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