KULTUR
Zeitgenössische Kunst: Kippenberger und die Schrebers


Martin Kippenberger
(* 25. Februar 1953
in Dortmund; † 7.
März 1997 in Wien).
Foto: picture alliance/IMAGNO
Foto: picture alliance/IMAGNO
Die Rücken der Buchattrappen tragen Zitate aus Schriften des Sohnes wie des Vaters und ergeben zwei miteinander verschränkte Monologe. Jeweils vier Buchformen sind auf einer fünften so positioniert, dass man schmale Bücher zwischen sie stellen könnte. Ordnet man die zwei Teile so an, dass links Schre-ber junior und rechts Schreber senior aufgestellt sind, stehen die verschiedenfarbigen Zitate Rücken an Rücken, mithin Vater und Sohn, dazwischen die Bücher, die man mit den Stützen fixieren will. Das könnte vielleicht die umfangreiche Literatur mit den zeitweise entfesselten Diskussionen über die beiden Schrebers sein.
Martin Kippenberger arbeitet in der Serie der Zeichnungen „über das über (Schreber junior/Schreber senior)“ nur mit Texten von Daniel Paul Schreber. Neben Gartenlaube, Gartengeräten und Beeten in Anspielung auf den Vater Moritz Schreber sind Sätze und Satzbruchstücke zu sehen. Es sind die zu Paul Schreber sprechenden „Stimmen“ aus seinen „Denkwürdigkeiten eines Nervenkranken“. Sie quälen den Kranken mit ihren sich ständig wiederholenden und absurden, mitten im Satz abbrechenden Redewendungen: „Wenn nur das verfluchte Nägelputzen aufhörte“, „Schämen Sie sich denn nicht vor Ihrer Frau Gemahlin?“, „Ihr habt nun einmal das Wetter vom Denken eines Menschen abhängig gemacht“, „Wir wollen Ihnen den Verstand zerstören“, „Regen Sie sich nur geschlechtlich auf“ und „Nun sollte derjenige (erg:denken, sagen:), will ich mich darin ergeben, daß ich dumm bin“. Einige abstrakte Formen erinnern an Holzlatten, die Beete einhegen.
Kippenberger zeichnete gern auf Hotelbriefpapier; für das Blatt „Hotel Weihnachtsmann, Schrebers Hirn“ hat er einen Hotelbriefbogen fingiert. Der Künstler persifliert so das Reisemotiv und parodiert die Unruhe des Kranken und die des Künstlers.
ohne Titel
aus: über das über (Schreber junior/Schreber
senior), 1994–1995, Stiftung Galerie für
Zeitgenössische Kunst, Leipzig
Eine Auswahl der Zeichnungen und das Objekt sind in der Ausstellung „Deutsche Geschichten“, der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig, bis zum 20. Januar 2008 zu sehen. Heidi Stecker