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110. Deutscher Ärztetag: Noch kein Westfälischer Frieden


Wenn es gilt, Widrigkeiten von außen, beispielsweise ein untaugliches Gesetz, zu bekämpfen, fällt es leichter, die eigenen Reihen geschlossen zu halten. Das zeigt sich schon jetzt, nachdem die Schlacht um die „Reform“ geschlagen ist. Jetzt geht es darum, das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, so weit es geht, im Sinne der Ärzteschaft umzusetzen. Dabei ergeben sich beispielsweise Konflikte zwischen Kassenärztlicher Bundesvereinigung/Kassenärztlichen Vereinigungen auf der einen und dem Hausärzteverband auf der anderen Seite. KBV-Vorstandsvorsitzender Dr. med. Andreas Köhler ist auf der Vertreterversammlung in die Offensive gegangen und hat dem Hausärzteverband den Alleinvertretungsanspruch für die Hausärzte abgesprochen. Köhler begründet seinen Appell zur Geschlossenheit mit der ökonomischen Realität in der ambulanten Versorgung: Mit der Gründung des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen stehen die Kassenärzte einem Nachfragemonopol gegenüber. Dass die Kassenärzte dieser geballten Einkaufsmacht im kollektivvertraglichen Bereich eine Angebotsmacht in Form der KBV entgegensetzen müssen, ist plausibel. Darüber hinaus, beispielsweise bei der hausarztzentrierten Versorgung, hat der Gesetzgeber den Wettbewerb um Verträge eröffnet.
Geschlossenheit muss die Ärzteschaft auch auf einem ureigenen Feld ihrer Selbstverwaltung beweisen: in der Weiterbildung. Dass die Politik bereitsteht, um die Regelungskompetenz auch für dieses Gebiet an sich zu reißen, hat Schmidt mit ihrer nicht akzeptablen Einmischung in die innerärztliche Diskussion zu diesem Thema indirekt deutlich gemacht. Noch lässt sich der Mehrheitsbeschluss des Münsteraner Ärztetages zur Wiedereinführung des Allgemein-Internisten nicht als Westfälischer Frieden feiern. Dazu müssen erst alle Ärztekammern die Änderung der (Muster-)Weiterbildungsordnung übernehmen. Der bei Allgemeinmedizinern und Internisten spürbare Wunsch, den jahrelangen Streit jetzt zu beenden, lässt zumindest hoffen.
Geschlossen aufzutreten ist besonders schwierig, wenn es um Konzeptionen und Zukunftsentwürfe geht. Diese will der Vorstand der Bundesärztekammer, von den Delegierten in Münster beauftragt, dem 111. Deutschen Ärztetag in Ulm vorlegen. Wie ist unter den Bedingungen einer alternden Gesellschaft eine hochwertige medizinische Versorgung zu sichern? Wie kann eine nachhaltige Finanzierung aussehen? Wie sind die Rahmenbedingungen für die ärztliche Tätigkeit zu gestalten, die eine wissenschaftlich abgesicherte bedarfsorientierte Medizin gestatten, ohne eine Fremdbestimmung des Arzt-Patienten-Verhältnisses zuzulassen? Hierzu gibt es aus der Ärzteschaft viele, oft auch divergierende Aussagen, aber kein geschlossenes Konzept.
„Wenn über das Grundsätzliche keine Einigkeit besteht, ist es sinnlos, miteinander Pläne zu machen“, sagt Konfuzius. Diese notwendige Basis, das hat der Ärztetag von Münster gezeigt, ist vorhanden. Mit einem guten gesundheitspolitischen Programm hätte sich an der konkreten Situation der Ärztinnen und Ärzte, an den Berufsperspektiven des Nachwuchses noch nichts geändert. Aber die Politik hätte eine Vorlage für eine wirkliche Reform nach der nächsten Bundestagswahl.
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