DEUTSCHER ÄRZTETAG
Pro und Kontra aus der DÄ-Redaktion
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Jedes Jahr sterben rund tausend Menschen, die auf ein Organ warten. Es gibt viele schwerstkranke Patienten, denen mit einer Transplantation geholfen werden könnte. Daran besteht kein Zweifel. Und die meisten Menschen sind grundsätzlich auch bereit, ihre Organe zu spenden. Doch wieso besitzen dennoch nur zwölf Prozent der Deutschen einen Organspendeausweis?
Nach der bisher in Deutschland geltenden erweiterten Zustimmungslösung dürfen einem Toten nur dann Organe entnommen werden, wenn er sich zu Lebzeiten damit einverstanden erklärt oder wenn die Angehörigen ausdrücklich einer Explantation zustimmen. Nach der Widerspruchslösung gilt automatisch jeder als einverstanden mit der Organentnahme, wenn er nicht zu Lebzeiten ausdrücklich widersprochen hat. Das könnte die Zahl der Organspenden deutlich erhöhen.
Doch Nächstenliebe kann nicht gesetzlich verordnet werden, und der Wunsch zu helfen, rechtfertigt keinen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht. Schließlich geht es bei Sterben und Tod um äußerst persönliche und sensible Bereiche. Und es muss ja wohl Gründe geben, warum so viele Menschen letztlich doch davor zurückschrecken, den Organspendeausweis zu unterzeichnen. Häufig ist es die Angst, dass beispielweise nach einem Unfall nicht alles getan wird, um ihr Leben zu retten. Auch wenn diese Ängste unberechtigt sind, so müssen sie doch ernst genommen werden. Letztlich können sie nur durch eine umfassende Information aus dem Weg geräumt werden.
Und der Blick ins Ausland zeigt, dass beispielsweise in Schweden nach mehrmaligem Wechsel zwischen Zustimmungs- und Widerspruchslösung keine Veränderungen der Spenderaten festzustellen waren. In Spanien, das für den Erfolg der Widerspruchslösung steht, ist der Einsatz von Transplantationskoordinatoren hervorragend organisiert. Nirgendwo sonst in Europa sind die Aktivitäten zur Förderung der Organspende vergleichbar. Das macht den spanischen Erfolg aus und zeigt zugleich, dass es bessere Wege als eine Gesetzesänderung gibt, um die Zahl der Transplantationen zu erhöhen.
Gisela Klinkhammer
Es ist eine alltägliche, aber nahezu unbemerkte Katastrophe: Obwohl die Transplantationsmedizin unglaubliche Fortschritte gemacht hat, sterben Tag für Tag Menschen, weil sie ein dringend benötigtes Organ nicht erhalten. An diesem Problem hat auch das vor zehn Jahren in Kraft getretene Transplantationgesetz (TPG) nichts geändert. Umfragen zeigen, dass die Mehrheit der Bevölkerung der Organspende positiv gegenübersteht, aber nur wenige haben sich dazu explizit geäußert. Darin liegt das Problem der im TPG verankerten Zustimmungsregelung: Die Zahl der möglichen Organspenden wird nicht ausgeschöpft. Während man in Deutschland seit Jahren diesem Dauerproblem zuschaut, verzeichnen andere europäische Länder, wie Österreich und Spanien, deutlich höhere Spenderaten. Ein Grund: Hier gilt die sogenannte erweiterte Widerspruchsregelung. Demnach können die Organe entnommen werden, wenn der Verstorbene zu Lebzeiten nicht ausdrücklich widersprochen hat und die Angehörigen keine Einwände haben.
Eine Änderung des TPG hin zu einer solchen Widerspruchsregelung ist dringend notwendig. Angesichts Tausender von Menschen, die auf der Warteliste stehen, ist es für jeden zumutbar, sich zur Organspende zu äußern – etwa beim Erwerb des Führerscheins. Der Grund-
satz der Freiwilligkeit bleibt mit der Widerspruchsregelung erhalten. Der entscheidende Unterschied zur jetzigen erweiterten Zustimmungslösung: Die Erklärungslast wird umgekehrt. Für Ärztinnen und Ärzte bedeutet dies eine große Entlastung in der ohnehin extrem schwierigen Situation, Angehörige über den Tod eines geliebten Menschen zu informieren und zugleich die Organspende anzusprechen.
Fest steht aber auch: Die Widerspruchsregelung löst nicht alle Probleme. Nur wenn strukturelle und finanzielle Hindernisse überwunden werden, erhöht sich die Melderate der Krankenhäuser. Die Widerspruchslösung wäre aber ein wichtiger Schritt. Voraussetzungen sind eine ausreichende Information der Bevölkerung und die Gewissheit, dass der Kommerz mit Organen und Geweben tabu ist.
Wer die Widerspruchsregelung im eigenen Land ablehnt, muss sich fragen lassen, wie dies mit der Tatsache zu vereinbaren ist, dass Deutschland über den Verbund Eurotransplant Organe aus Ländern „importiert“, in denen eine solche Regelung gilt.
Dr. med. Birgit Hibbeler