THEMEN DER ZEIT
Datenschutz: Gleichgewicht aus dem Lot


Kritik am
politischen
Willen, der
Sicherheit ein
höheres Gewicht
beizumessen
als
der Freiheit:
Sabine
Leutheusser-
Schnarrenberger.
Fotos: dpa
Sicherheit auf Kosten von Datenschutz? Die anhaltenden Diskussionen um neue Sicherheitsgesetze, um Onlinedurchsuchungen von Computern, um die Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten, um Möglichkeiten der Rasterfahndung und Videoüberwachung, lassen sich unter dieser Grundsatzfrage subsumieren. „Der Rechtsstaat verändert sich zu einem Präventiv- und Sicherheitsstaat“, kritisierte Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, ehemalige Bundesjustizministerin und amtierende Stellvertretende Vorsitzende der FDP-Bundestagsfraktion, bei einem von Euroforum veranstalteten Datenschutzkongress in Berlin. Der politische Wille innerhalb der Innen- und Rechtspolitik der letzten Jahre gehe dahin, das Verhältnis von Freiheit und Sicherheit eindeutig zugunsten der Sicherheit zu verschieben, betonte die liberale Rechtsexpertin. Ähnlich alarmiert hatte sich zuvor schon der Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, Peter Schaar, in seinem aktuellen Tätigkeitsbericht gezeigt (Kasten).
Eine „ganze Kaskade von Gesetzen und Maßnahmen zur Ausdehnung der staatlichen Überwachung der Bürger“ sei auf den Weg gebracht worden, die zunehmend den Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung bedrohte und die mit einem erheblichen Risiko ihrer Verfassungswidrigkeit verbunden sei, so Leutheusser-Schnarrenberger. Beispiele hierfür sind die akustische Wohnraumüberwachung, das Zollfahndungsdienstgesetz, die Telekommunikationsüberwachung und die Onlinedurchsuchung von Computern, die zuletzt in die Schlagzeilen geraten war. Die seit 2005 von den Geheimdiensten ohne Rechtsgrundlage heimlich durchgeführten Onlinedurchsuchungen von privaten Computern ist inzwischen ausgesetzt. Allerdings hält Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble diese Form der Ermittlung zur Gefahrenabwehr für unverzichtbar und hat daher im Bundestag dafür plädiert, den Grundgesetzartikel 13 über die Unverletzlichkeit der Wohnung im Hinblick darauf zu überprüfen und gegebenenfalls zu ändern.
Sicherheit muss sich an den Grundrechten orientieren
Sicherheit könne nicht an den Grundrechten vorbei, sondern nur in Kenntnis ihrer Anforderungen und im Respekt vor ihrer Geltung garantiert werden, mahnte Prof. Dr. Dr. h.c. mult. Spiros Simitis, Universität Frankfurt/Main. Der Rechtsexperte und ehemalige, langjährige hessische Landesdatenschutzbeauftragte wies darauf hin, dass sich die Kommunikationsbedingungen der Gesellschaft grundlegend geändert hätten, ohne dass dies bislang eine Entsprechung in den rechtlichen Rahmenbedingungen gefunden habe.
Spiros Simitis
warnt: „Entscheidend
ist der Zugriff
durch Vernetzung.“
So sind aufgrund der rasanten technischen Entwicklung Speichergrenzen endgültig entfallen. „Es gibt keine restriktive Speicherung mehr aus Platzgründen“, so der Rechtsexperte. Die Unterscheidung von öffentlichem und nicht öffentlichem Bereich, die für Datenschutzbestimmungen stets eine wesentliche Rolle gespielt hat, ist aufgehoben, wie sich am Beispiel der Telekommunikationsdatenüberwachung zeigen lässt. Die geplante generelle, verdachtlose Speicherung sämtlicher Verkehrsdaten der Telekommunikation und des Internets für bestimmte Ziele des Staates verletzte nach Meinung des Datenschützers zudem den Grundsatz der Datensparsamkeit und -vermeidung.
Auch bei der Verwendung personenbezogener Daten im staatlichen Bereich hat sich ein radikaler Wandel vollzogen. Weil prinzipiell alles speicherbar ist, kann sich der Gesichtspunkt der Prävention durchsetzen, denn Informationen, die für bestimmte Zwecke verarbeitet wurden, lassen sich jederzeit auch für neue Zwecke verarbeiten. Die Vorstellung, Zentraldateien seien unter Datenschutzgesichtspunkten zu vermeiden, gehöre nach Simitis der Vergangenheit an. Wo die Daten gespeichert seien wer sie habe und wozu sie erhoben worden seien, sei letztlich gleichgültig. „Entscheidend ist der Zugriff durch Vernetzung.“
Vor diesem Hintergrund ließen sich nach Meinung des Datenschützers Daten nicht mehr bestimmten Zielen zuordnen. Beispiel Vorratsdatenspeicherung: Diese wird vorrangig damit begründet, dass der Staat die Daten zur effizienten Strafverfolgung und Verbrechensbekämpfung benötigt. „Gleichgültig, wer wofür wann und in welchem Umfang personenbezogene Daten sammelt und verarbeitet, diese Daten sind dem Staat im öffentlichen Interesse zur Verfügung zu stellen. Prävention ist die Generalklausel, die alles bestimmt, vor dem Hintergrund einer Technologie, die alles ermöglicht“, erklärte Simitis. Die Verfassung lasse jedoch keinen Zweifel daran, dass die informationelle Selbstbestimmung ein Grundrecht und somit verbindlich sei.
Generalklauseln reichen nicht
zur Legitimierung aus
Folglich müsse die Verwendung personenbezogener Daten stets die Ausnahme bleiben, wohingegen die Verwendung solcher Daten von dem, der sie verwenden will, präzise begründet werden müsse. Generalklauseln wie „Prävention von Terror“ und „öffentliches Interesse“ reichten zur Legitimierung nicht aus und verletzten den Grundsatz der Normenklarheit. Je geringer der Präzisionsgrad sei, desto mehr sei der Gesetzgeber in der Pflicht, kompensatorische Maßnahmen zur Wahrung der Grundrechte zu entwickeln. Dazu zählen laut Simitis insbesondere:
- Beschränkung: Erhebung und Speicherung von Daten müssen auf ein Minimum beschränkt werden;
- Höchstmaß an Transparenz: Art, Umfang und Verwendung der Daten müssen klar und überprüfbar sein;
- Informationspflicht: Betroffene müssen darüber informiert werden, dass und wozu ihre Daten erhoben werden, und sie haben diesbezüglich ein Auskunftsrecht;
- Löschung: Es muss sichergestellt sein, dass erhobene Daten nach abgelaufener Frist restlos gelöscht werden. n
Heike E. Krüger-Brand
Bedeutung des Datenschutzes wächst
Wesentliche Aussagen aus dem Tätigkeitsbericht des Bundesbeauftragten für den Datenschutz (2005–2006, www.bundesdatenschutz.de)
„
Peter Schaar kritisiert die starke Einschränkung des Datenschutzes zugunsten der inneren Sicherheit und fordert: „Der Staat muss das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung wieder stärker unter seinen Schutz stellen.“ Die Gesetze zur Terrorismusbekämpfung sowie die neuen Befugnisse für Sicherheitsbehörden seien „bedenklich“. Dabei sei es eine der wichtigsten Aufgaben eines demokratischen Rechtsstaats, die Freiheitsrechte seiner Bürger zu schützen.
In den vergangenen zwei Jahren hat sich der Bundesbeauftragte für den Datenschutz unter anderem mit der geplanten Vorratsdatenspeicherung, mit der Ausweitung der Videoüberwachung und mit dem Kontenabruf durch Finanzämter und andere Behörden befasst. Dringenden Handlungsbedarf sieht Schaar vor allem bei den gesetzlichen Regelungen zu Genomanalysen und zum Arbeitnehmerdatenschutz, bei der Modernisierung des Datenschutzrechts und beim Ausführungsgesetz zum Datenschutzaudit.