ArchivDeutsches Ärzteblatt PP6/2007Langzeitstudie zur Genese individueller Kompetenzen (LOGIK): Familiäres Umfeld maßgeblich

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Langzeitstudie zur Genese individueller Kompetenzen (LOGIK): Familiäres Umfeld maßgeblich

Sonnenmoser, Marion

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LNSLNS Ein Teil der Persönlichkeit ist bereits ab der Geburt angelegt. Andere Fähigkeiten und Eigenschaften lassen sich hingegen gezielt beeinflussen, sowohl in positiver als auch in negativer Richtung.

Die Debatte, ob Gene oder Umwelt einen größeren Einfluss auf die menschliche Entwicklung haben, wird schon lange geführt. Eine Langzeitstudie namens LOGIK (Longitudinalstudie zur Genese individueller Kompetenzen) liefert Erkenntnisse in dieser Frage. Die LOGIK-Studie wurde im Jahr 1984 unter der Leitung des damaligen Direktors des Max-Planck-Instituts für psychologische Forschung, Prof. Dr. Franz E. Weinert, mit etwa 200 knapp vierjährigen Kindern begonnen. Ab 1998 führte Prof. Dr. Wolfgang Schneider vom Institut für Psychologie der Universität Würzburg dann die Studie bis zu ihrem Abschluss im Jahr 2005 verantwortlich weiter. Ziel war es, die Entwicklung der Kinder möglichst umfassend zu beobachten. Untersucht wurden Entwicklungsverläufe unterschiedlicher kognitiver, sozialer und motorischer Kompetenzen sowie die Entwicklung von Persönlichkeitsmerkmalen und schulischer Fertigkeiten. Die Ergebnisse der LOGIK-Studie:
- Intelligenzunterschiede, die im Alter von vier Jahren festgestellt wurden, waren auch im späteren Alter noch vorhanden. Die sprachliche Intelligenz der Probanden nahm bis ins Jugendalter, die nicht sprachliche sogar bis ins frühe Erwachsenenalter weiter zu. Nach Meinung der Forscher ist Intelligenz zwar genetisch festgelegt, kann aber gefördert werden.
- Einen großen Einfluss auf den Entwicklungsverlauf der motorischen Leistungen vom Vorschul- bis ins frühe Erwachsenenalter hatten sportliche Aktivität, Body-Mass-Index, nonverbale Intelligenz und athletisches Selbstkonzept. Weniger einflussreich waren hingegen der sozioökonomische Status sowie eine Sportvereinszugehörigkeit. Kinder aus Familien, in denen häufig Sport getrieben wurde und deren Eltern die sportliche Aktivität ihres Kindes aktiv unterstützten, schnitten in den motorischen Tests über den gesamten Entwicklungsverlauf deutlich besser ab als sportiv nicht geförderte Kinder.
- Beim Lesen und Schreiben zeigte sich, dass Kinder, die gegen Ende der Kindergartenzeit einen Vorsprung im Bereich der phonologischen Bewusstheit und im Buchstabenwissen aufwiesen, auch zwei Jahre später beim Lesen und Schreiben bessre Leistungen zeigten. Vor allem die Kompetenzunterschiede im Rechtschreiben erwiesen sich als sehr stabil.
- Als wenig stabil und vorhersagbar erwies sich die Entwicklung moralischen Urteilens und Handelns. Die Forscher beobachteten höchst unterschiedliche Entwicklungsverläufe und schlossen daraus, dass die Bindung an Moral durch spätere Erfahrungen noch beeinflussbar ist. Zwei Tendenzen waren dennoch auszumachen: Im Alter zwischen vier und 22 Jahren stieg die Stärke moralischer Motivation im Durchschnitt kontinuierlich an, wobei allerdings immer noch gut 20 Prozent der 22-Jährigen der Moral wenig Bedeutung beimaßen. Außerdem zeigte sich ein deutlicher Geschlechterunterschied. Von den jungen Frauen wiesen 63 Prozent eine hohe moralische Motivation auf, jedoch nur 33 Prozent der jungen Männer.
- Entgegen bekannter Vorurteile zeigten sich beim wissenschaftlichen Denken hingegen keine Geschlechterunterschiede. Schon im Grundschulalter waren jedoch deutliche Unterschiede in Abhängigkeit von der Schulbildung vorhanden. Die Befunde der LOGIK-Studie weisen darauf hin, dass Fähigkeiten zur kritischen Prüfung eigener und fremder Ideen und Theorien und zur Evaluation von Argumenten und Daten bereits im Grundschulalter gefördert werden können.
- Das Selbstkonzept unterliegt im Lauf der Entwicklung einem auffälligen Wandel. Während Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter ihre Leistungsposition gegenüber Gleichaltrigen deutlich überschätzen, verringert sich diese Überschätzung im Verlauf der Grundschulzeit und wird ersetzt durch ein zunehmend realistischeres Selbstkonzept, das in den Folgejahren relativ stabil bleibt. Jungen verfügen im Jugendalter über ein höheres Selbstvertrauen als Mädchen. Das Ausmaß an Selbstvertrauen, das im Alter von 16 bis 17 Jahren vorhanden ist, ist auch im frühen Erwachsenenalter zu beobachten. Es ist abhängig von der sozialen Integration im Jugendalter.
- Das Merkmal Aggressivität erwies sich als sehr stabil, wobei Jungen aggressiver eingeschätzt wurden als Mädchen. Aggressivität im Kindergartenalter werten die Wissenschaftler als Risikofaktor für deviantes Verhalten und Kriminalität im Erwachsenenalter. Ob Aggressivität durch Erziehung beeinflusst werden kann, ist umstritten.
Ein Teil der Persönlichkeit, darauf weisen die Ergebnisse hin, ist bereits ab der Geburt angelegt. Andere Fähigkeiten und Eigenschaften lassen sich hingegen gezielt beeinflussen, sowohl in positiver als auch in negativer Richtung. Eine wichtige Rolle spielen hierbei soziale Schicht und familiäres Umfeld. Sie bestimmen maßgeblich mit, ob ein Kind beispielsweise am Sport Freude findet oder ob es frühzeitig lernt, mit seinen aggressiven Tendenzen umzugehen.
Dr. phil. Marion Sonnenmoser

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