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Deutsche EU-Ratspräsidentschaft: Gemischte Bilanz


Sicher, die deutsche Regierung hat einige ihrer gesundheitspolitischen Vorhaben vorantreiben oder gar zum Abschluss bringen können. So hat Angela Merkel den Kampf gegen die weitere Ausbreitung von Aids nicht nur im Kreise ihrer EU-Amtskollegen zur Chefsache gemacht, sondern auch die Teilnehmer des G-8-Gipfels für dieses Thema sensibilisieren können. Darüber hinaus hat die Bundesregierung das Interesse am Thema Prävention durch gesunde Ernährung und Bewegung auf EU-Ebene wachhalten können. Ziemlich reibungslos ging zudem die Schlussabstimmung über die nicht gänzlich unumstrittene Neufassung der europäischen Medizinprodukterichtlinie über die Bühne.
Aber eben nicht alles, was sonst noch als Erfolg der deutschen Ratspräsidentschaft verkauft wurde, verdient auch diese Bezeichnung.
Beispiel 1: Die EU-Verordnung über neuartige Therapien. Anfang Juni verabschiedeten die EU-Gesundheitsminister einheitliche Vorschriften für die Sicherheit und Qualität neuartiger Therapien. Diese sollen bereits ab dem kommenden Jahr europaweit gelten. Vordergründig kann die Bundesregierung dies als Erfolg ihres Verhandlungsgeschicks im Rat verbuchen, zumal Therapiemethoden auf Gen-, Zell- oder Gewebebasis bei zahlreichen Patienten mit schwerwiegenden Erkrankungen, wie Alzheimer, Parkinson oder Krebs, die Hoffnung auf Heilung nähren. Allerdings stieß das deutsche Vorgehen auch auf scharfe Kritik. Vor allem Abgeordnete der Grünen (sowohl aus dem Bundestag als auch aus dem Europaparlament) warfen der Regierung vor, ethische Bedenken bei dem Gesetzesvorhaben hintangestellt zu haben, um eine schnelle Einigung zu erzielen. Somit bleibt ein schaler Nachgeschmack, und es stellt sich die Frage: Dient die Verordnung – vorerst jedenfalls – eher der Industrie und der Wettbewerbsfähigkeit der EU als den Patienten?
Beispiel 2: Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt rechnet es sich an, auf dem Treffen mit ihren europäischen Amtskollegen Ende April in Aachen die Meinungsbildung zum geplanten Regelungsrahmen für die Gesundheitsdienstleistungen vorangetrieben zu haben. Damit sei zugleich die grenzüberschreitende medizinische Versorgung für die Patienten greifbarer geworden, betonte Schmidt. Schließlich sähen die Menschen in einer verstärkten europäischen Zusammenarbeit im Gesundheitswesen einen konkreten persönlichen Nutzen der Europäischen Union.
Doch woher stammt diese Weisheit? Die neueste Umfrage der Europäischen Kommission unter EU-Bürgern bestätigt diese Ansicht jedenfalls nicht. Demnach bereitet die Entwicklung der Gesundheitssysteme vielen Europäern zwar große Sorgen, allerdings erwarten sie nicht, dass die EU dazu beitragen kann, die anstehenden Probleme zu lösen. Dies sollten ihrer Ansicht nach die Regierungen lieber selbst tun.
Ist es mit dem „Mehrwert“ Europas im Gesundheitswesen somit doch nicht so weit her, wie Schmidt behauptet? Mit einem solchen Argument lässt sich nach außen hin zwar prima punkten, um dies dann aber auch auf der Habenseite einer Ratspräsidentschaft verbuchen zu können, wäre es sinnvoll, auch handfeste Belege dafür liefern zu können.
Aus politischem Kalkül zwar verständlich, aber dennoch nicht nachvollziehbar ist zudem, dass die Bundesregierung sich nicht getraut hat, das heiße Eisen europäische Arbeitszeitrichtlinie anzupacken. Denn es ist dringend an der Zeit, dass dieses Vorhaben endlich zum Abschluss gebracht wird.
Petra Spielberg,
Brüsseler Korrespondentin
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Walter, Gerhard
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