MEDIZINREPORT
Infektion nach Zeckenstich: Zweifelhafte Borreliose-Tests


Die Zecke Ixodes
ricinus kann für
den Menschen
durch einen Stich
zum trojanischen
Pferd werden, indem
sie humanpathogene
Borrelien
(grün: Borrelia burgdorferi)
überträgt.
Foto oben links: Mauritius Images; Foto unten rechts: Baxter/Chiron
Foto oben links: Mauritius Images; Foto unten rechts: Baxter/Chiron
Es ist „Zeckensaison“ – seit
Dezember schon. Mitten im Winter ist im Landkreis Roth in Mittelfranken eine Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) aufgetreten, denn Zecken werden bereits ab sechs Grad Celsius aktiv. Bleiben die Wintermonate weiterhin so mild, werden Ärzte künftig das ganze Jahr über mit Erkrankungen rechnen müssen, die von Zecken – meist von Ixodes ricinus – übertragen werden. Die Empfehlungen zum Schutz vor FSME sind klar: Jeder, der sich in einem Risikogebiet in der freien Natur aufhält, sei es der Wohn- oder ein Urlaubsort, sollte sich gegen die FSME-auslösenden Flaviviren impfen lassen.
Gegen die Lyme-Borreliose, die häufigste von Zecken übertragene Krankheit, gibt es keine medizinische Primärprävention, sondern nur allgemeine Empfehlungen zum Schutz vor Zeckenbissen. Die Lyme-Borreliose ist mit 60 000 bis 100 000 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland 50- bis 100-mal häufiger als die FSME. Es gibt vier humanpathogene Spezies der Gattung Borrelia (B.) in Europa: B. burgdorferi sensu stricto, B. garinii, B. afzelii und die vor Kurzem beschriebene Art B. spielmanii. Hautmanifestationen werden überwiegend durch B. afzelii hervorgerufen. Die mit Neuroborreliose und Arthritis assoziierten Stämme sind heterogener, in Deutschland überwiegt B. garinii als Verursacher der Neuroborreliose.
Jede Manifestation der Lyme-Borreliose – sie ist primär eine klinische Verdachtsdiagnose auf der Basis von Anamnese und Labordiagnostik – muss mit Antibiotika behandelt werden. Im frühen Stadium, symptomatisch durch ein Erythema migrans, heilt die Erkrankung nach einer Antibiotikatherapie meist folgenlos aus. Spätere Stadien können sich durch schmerzhafte muskoskeletale und neurologische Symptome äußern, beispielsweise Abduzens- oder Fazialisparesen bei schmerzhafter lymphozytärer Meningoradikulitis (Bannwarth-Syndrom) und Herzbeteiligung (Stadium II), oder Lyme-Arthritis, chronische Neuroborreliose und/oder Acrodermatitis chronica atrophicans im Stadium III. Das Erythema migrans tritt bei 89 bis 92 Prozent der Erkrankten auf und ist charakteristisch für die Lyme-Borreliose, allerdings nicht immer deutlich ausgeprägt. In späteren Stadien wird es schwieriger: Keine der Organmanifestationen ist pathognomonisch.
Ein Nachweis der Spirochäten durch Kultur oder über PCR ist wegen der geringen Dichte des Erregers in Geweben und Körperflüssigkeiten nicht immer möglich. Auch die Serologie ist nicht unbedingt zielführend, denn je nach regionalem Durchseuchungsgrad der Zeckenpopulationen mit Borrelien und Exposition ihrer Wirte, haben fünf bis 35 Prozent der gesunden Menschen Antikörper gegen Borrelien (1).
Umgekehrt ist nur etwa die Hälfte der Patienten mit Erythema migrans seropositiv. Und: Die serologischen Tests – sensitiver ELISA (Enzyme-Linked Immuno Sorbent Assay) oder Immunofluoreszenz als Suchtests, gefolgt vom Immunoblot bei positivem Befund – sind nicht standardisiert; verschiedene Labors können zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen.
Schwierige Differenzialdiagnose in späten Stadien
Auch die klinische Beurteilung kann in den Stadien II und III schwierig sein. Es gilt, zahlreiche Differenzialdiagnosen zu berücksichtigen wie Virusinfekte (zum Beispiel mit Herpes zoster), Pilzinfektionen oder einen Bandscheibenprolaps, der ähnlich imponieren kann wie das Bannwarth-Syndrom mit intensiven radikulären Schmerzen. Um eine akute Form der Borreliose handelt es sich, wenn die Symptome weniger als sechs Monate andauern. Das ist bei 90 bis 95 Prozent der Patienten der Fall. Bei einer Symptomdauer von mehr als sechs Monaten (fünf bis zehn Prozent) handelt es sich um eine chronische Form. Die neurologische Symptomatik entwickelt sich meist schleichend. Typisch sind die Enzephalomyelitis mit spastisch-ataktischer Gangstörung und Blasenstörungen.
Die Probleme, die bei der Diagnose einer Lyme-Borreliose vor allem in späteren Stadien auftreten können, verunsichern Ärzte und Patienten. Und so fallen immer neue Angebote diagnostischer Tests, die die Probleme lösen sollen, auf fruchtbaren Boden. Häufig aber sind diese Tests wissenschaftlich nicht ausreichend validiert. Sie können falsche Therapieentscheidungen auslösen, die den Patienten mehr schaden als nutzen, kritisieren deutsche und internationale Fachgesellschaften (1, 2, 3).
„In der letzten Zeit fragen immer häufiger Kollegen nach, welchen Stellenwert der Test auf eine Subpopulation natürlicher Killerzellen (CD571, CD32) für die Diagnostik und Therapieverlaufskontrolle der chronischen Lyme-Borreliose hat“, sagte Dr. med. Volker Fingerle vom Nationalen Referenzzentrum für Borrelien am Max-von-Pettenkofer-Institut in München dem Deutschen Ärzteblatt. Bislang gebe es jedoch keine größeren Studien, in denen die Aussagekraft des Tests für diese Fragestellungen belegt wäre.
Liquor-Serum-Index
Die einzige klinische Studie zu dem Test stammt aus der Arbeitsgruppe um Raphael B. Stricker vom Department of Medicine am California Pacific Medical Center in San Francisco (4). Das Team hatte das Blut von 73 Patienten mit chronischer Lyme-Borreliose mithilfe des Fluorescence Activated Cell Sortings (FACS) auf CD571/CD32-Lymphozyten untersucht, teilweise vor, teilweise im Verlauf und teilweise nach einer Antibiotikatherapie. Als Kontrollgruppen dienten zehn Patienten mit akuter Lyme-Borreliose und 22 mit Aids. Das Ergebnis der Studie: Probanden mit akuter Lyme-Borreliose, solche mit abgeschlossener Antibiotikatherapie und fast alle mit Aids (82 Prozent) hatten normale Zellzahlen (60 bis 360 Zellen/Mikroliter). Bei Patienten mit chronischer Lyme-Borreliose und nicht abgeschlossener Antibiotikatherapie war die Zahl der CD571/CD32-Zellen signifikant erniedrigt. Die Autoren folgern: Der Abfall der CD571-Zellen könnte ein wichtiger Marker für eine chronische Lyme-Borreliose sein, und die Veränderungen dieses Markers könnten für die Therapieverlaufskontrolle verwendet werden. Eine spätere Einzelfallbeschreibung von Stricker scheint diese Ansicht zu unterstützen (5).
„Die Befunde müssen fraglos durch weitere Studien abgeklärt werden“, meinen Prof. Dr. med. Bettina Wilske und Fingerle vom Nationalen Referenzzentrum für Borrelien und zeigen die Schwächen der Studie (4) auf: Es gebe keine Daten zu Liquoruntersuchungen – nach deutschen Richtlinien sollte bei Verdacht auf Neuroborreliose der Liquor-Serum-Index zum Nachweis intrathekaler Antikörper bestimmt werden –, und die Kontrollgruppen für die Evaluierung des Tests müssten Patienten mit differenzialdiagnostisch relevanten Erkrankungen einschließen, wozu Aids nicht gehöre. Ihr Fazit: Der Test, der für circa 66 Euro als Selbstzahlerleistung angeboten wird, sei derzeit weder für die Diagnostik noch für das Therapiemonitoring zu empfehlen.
Ebenfalls umstritten ist der Lymphozyten-Transformationstest (LTT). Er soll die zelluläre, antigenspezifische Immunantwort messen. Dazu werden dem Patienten Lymphozyten aus dem peripheren Blut entnommen und mit Borrelienantigenen inkubiert, die entweder aus ultraschalllysierten Erregern stammen oder rekombinant hergestellt werden. Die Proliferation der antigenstimulierten Lymphozyten wird über eine Aufnahme von radioaktiv markiertem Thymidin gemessen und mit der von nicht stimulierten Lymphozyten verglichen. Der Test soll anzeigen, ob es vor der Blutabnahme eine Vermehrung erregerspezifischer Lymphozyten gegeben hat, was als Ausdruck einer aktiven Infektion gewertet wird.
„Je älter ein Patient ist, umso vieldeutiger können die Symptome einer späten Lyme-Borreliose sein, sie können zum Beispiel auch einer Lues ähneln“, sagt Prof. Dr. med. Rüdiger von Baehr, Internist und Immunologe mit eigenem Labor in Berlin, der den Test für 153 Euro als Selbstzahlerleistung für gesetzlich Versicherte anbietet. „Bei unklarer Symptomatik und differenzialdiagnostischen Problemen kann ein negativer LTT hilfreich sein.“ Einen Wechsel von einem positiven LTT auf ein negatives Ergebnis während oder nach einer Antibiotikatherapie sieht von Baehr „als gewisses Indiz für eine Infektion, aber auch als Ansprechen auf die Behandlung“ an.
Widersprüchliche Resultate
Auch der LTT ist jedoch nicht standardisiert zwischen den verschiedenen Labors, und der Berliner Immunologe weiß um die unsichere Datenlage zu der Frage, ob der LTT in der Routinediagnostik tatsächlich Vorteile bringt. „Der LTT kann hilfreich sein, ein positives Ergebnis beweist aber die Borrelieninfektion nicht.“ Direkt nachweisen ließen sich Borrelien über eine PCR oder die Erregerkultur, wobei das Anzüchten im Labor schwierig sei.
Die Forscher am Nationalen Referenzzentrum für Borrelien in München halten den LTT dagegen für eine Borreliendiagnostik nicht geeignet. „Der LTT ist weniger sensitiv und vor allem weniger spezifisch als die Serologie“, kritisieren Fingerle und Wilske (6). Ähnlich sieht es die Schweizerische Gesellschaft für Infektiologie: Die Resultate des LTT seien sehr widersprüchlich und nicht spezifisch, gebe es doch Reaktionen auch bei gesunden, seronegativen Kontrollpersonen und bei Neugeborenen mit seronegativen Müttern (1).
Für die Sensitivität und Spezifität würden Werte zwischen 45 und 95 Prozent angegeben. Falschpositive Ergebnisse kämen durch immunologische Kreuzreaktionen mit anderen Erregern zustande. Insgesamt erlaube der Test daher keine Aussage über Aktivität, Verlauf und Prognose der Lyme-Borreliose. Die Empfehlung, den Test nicht zu verwenden, hat Evidenzgrad A.
Deutlich sensitiver als ein ELISA soll der ELISPOT (Enzyme-Linked Immunospot Assay) sein. Er macht die Zahl der Zytokin-freisetzenden Lymphozyten als Spots sichtbar, und diese sind nach einem Kontakt mit Borrelien antigenspezifisch erhöht, so die These. Vielen Mikrobiologen, wie Prof. Dr. med. Dr. rer. nat. Helmut Eiffert von der Universitätsklinik Göttingen, gilt der ELISPOT jedoch als zu unspezifisch (7). Von Baehr sieht Probleme mit der Bildverarbeitung und der automatischen Auswertung des Tests und ist „skeptisch“, ob der ELISPOT für die Routineanwendung einen Vorteil gegenüber anderen Methoden bringt. Auch beim Nationalen Referenzzentrum rät man ab.
Ebenfalls mit Evidenzgrad A sei vom „Visual-Contrast-Sensitivity-Test“ (VCS) abzuraten, so die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (2). Der Test basiert auf der Annahme, dass Borrelien ein lipophiles Neurotoxin produzieren, das sich am Nervus opticus bindet und dort ein mit dem Test messbares Defizit im Erkennen von Grautönen auslöst. Das Toxin gelange in den enterohepatischen Kreislauf, was durch die Gabe von Cholestyramin unterbrochen werden könne. „Uns ist keine tragfähige Publikation bekannt, die diese Vorstellung stützt“, heißt es dazu im Nationalen Referenzzentrum (6). Sowohl von einer Diagnostik mittels VCS als auch von einer Therapie mit Cholestyramin könne nur „dringend abgeraten werden“.
Fortschritte in der Diagnostik gibt es vor allem dadurch, dass immer mehr Borrelienantigene verfügbar sind, die gentechnisch hergestellt werden (8). Auf Basis rekombinanter Borrelienantigene hat das Nationale Referenzzentrum in München Immunoblots weiterentwickelt, mit denen sich – angepasst an die Fragestellung beim einzelnen Patienten – nach IgG- und IgM-Antikörpern gegen Borrelienantigene suchen lässt. „Die Sensitivität ist bei den neuen Immunoblots deutlich erhöht gegenüber unseren konventionellen“, sagte Fingerle. Unabhängig davon, wie sensitiv oder spezifisch die Tests noch werden – über antigenspezifische Antikörper wird sich in naher Zukunft keine manifeste Borrelieninfektion nachweisen lassen. Das gehe nur in Kombination mit der klinischen Symptomatik, so die Wissenschaftler. Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze
1.
Schweizerische Ärztezeitung 2005; 56: 2332 ff.
2.
Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, AWMF-Leitlinien-Register Nr. 030/071.
3.
Wilske und Fingerle in: Mikrobiologe 2005; 15: 209.
4.
Immunol Letters 2001; 76: 43.
5.
Ann Agric Environ Med 2002; 9: 111.
6.
LabMed 2007, im Druck.
7.
Borreliose Magazin 2006; 14: 3.
8.
FEMS Immunol Med Micobiol 2007; 49: 13–21.
Jentsch, Eckhard
Kommentare
Die Kommentarfunktion steht zur Zeit nicht zur Verfügung.