POLITIK
Heroinbehandlung von Opiatabhängigen: Vorurteile überwinden


Fotos: dpa
Wir müssen immer wieder gegen die Ängste antherapieren.“ Die seit mehr als einem Jahr andauernde Unsicherheit, ob sie mit Diamorphin, dem pharmazeutisch hergestellten Heroin, weiter behandelt werden könnten, destabilisiere die Patienten enorm, kritisiert Dr. med. Christoph Dirk, leitender Arzt der Bonner Heroinambulanz. 34 Patienten sind nach Ende der erfolgreich verlaufenen Modellprojekte im Juni vergangenen Jahres dort noch in Behandlung. Unter ärztlicher Aufsicht spritzen sie sich dort täglich Diamorphin, außerdem werden sie psychosozial betreut. Für die schwerstkranken multimorbiden Opiatabhängigen ist die Heroinbehandlung „die letzte Chance“ (siehe DÄ, Heft 46/2006). Auch Dr. med. Karin Bonorden-Kleij, leitende Ärztin der Hamburger Heroinambulanz, wo noch 70 Patienten in Behandlung sind, hat Patienten erlebt, „die damit gedroht haben, sich umzubringen, wenn das hier nicht weitergeht“. Viele hätten die Behandlung aufgrund der andauernden „Hängepartie“ vorzeitig abgebrochen. Zurückgekehrt sind sie auf die Straße, in die Drogenszene, in die Kriminalität.
Wissenschaftlicher Konsens zur Heroinstudie
Von dort wurden rund 1 000 schwerstabhängige Junkies erstmals im März 2002 abgeholt: In den Modellprojekten des Bundesministeriums für Gesundheit zusammen mit den Städten Bonn, Frankfurt/Main, Hamburg, Hannover, Karlsruhe, Köln und München wurde in Form einer klinischen Arzneimittelstudie überprüft, ob die Gruppe Schwerstopiatabhängiger, bei denen auch die Methadonsubstitution erfolglos blieb, von der Diamorphinbehandlung profitieren könnte. Die Ergebnisse im Vergleich zu der mit Methadon substituierten Kontrollgruppe waren eindeutig: ein deutlich besserer Gesundheitszustand, ein häufigerer Ausstieg aus der Drogenszene und Kriminalität und in die Abstinenzbehandlung. Wissenschaftlich besteht Konsens über die Aussagekraft der „Heroinstudie“ (www.heroinstudie.de).
Im Anschluss an die positiven Ergebnisse der Studie hätte Diamorphin als verkehrs- und verschreibungspflichtiges Betäubungsmittel zugelassen werden können. Erforderlich dazu ist eine Umstufung im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) des „nicht verkehrsfähigen Betäubungsmittels“ aus Anlage I des BtMG nach Anlage III „zum Zwecke der Substitutionsbehandlung“. „Das wäre der normale Weg gewesen“, sagt Dr. Winfried Kleinert, Fachgebietsleiter Herstellung von Betäubungsmitteln beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) in Bonn. Diese Zulassung ist die Voraussetzung dafür, die Heroinbehandlung in die Regelversorgung aufzunehmen und die Finanzierung durch die gesetzliche Krankenversicherung zu ermöglichen. Neben den Änderungen im BtMG sind weitere an der Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung und am Arzneimittelgesetz erforderlich. Erst dann kann der Gemeinsame Bundesausschuss aktiv werden und die Bundesärztekammer – die im Schulterschluss mit der Wissenschaft hinter der Heroinstudie steht – entsprechende Richtlinien für die Behandlung erstellen.
Ein Gesetzentwurf von Abgeordneten der Oppositionsparteien liegt seit dem 15. März vor (Drucksache 16/4696) und wurde bereits in erster Lesung eingebracht. Der nächste Schritt ist eine Anhörung im Gesundheitsausschuss des Bundestags – doch der Termin wird immer wieder verschoben. „Nach der Sommerpause“, hieß es zuletzt aus dem Gesundheitsausschuss. Jörg Sauskat, Referent von Dr. med. Harald Terpe, dem drogenpolitischen Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, vermutet, dass das Gesetztesvorhaben „auf die lange Bank geschoben“ werden soll.
Heroinambulanz
Frankfurt/Main:
An den Tischen
spritzen sich die
Patienten kontrolliert
ihre individuelle
Ration Diamorphin.
Aufbewahrt wird es
hinter dem Panzerglas
(rechts).
Auch in der SPD ständen viele Abgeordnete hinter dem Gesetzentwurf, weiß die Initiatorin des Gruppenantrags. Knoche ist „optimistisch, dass wir das hinkriegen“. Die Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Sabine Bätzing (SPD), drängt schon seit Langem auf eine gesetzliche Grundlage für die Heroinbehandlung. Zuversichtlich ist auch Dr. Christian Haasen vom Zentrum für interdisziplinäre Suchtforschung in Hamburg, der Studienleiter der Modellprojekte: „Es braucht Zeit, um die gesellschaftlichen Widerstände aufzuweichen.“ Noch müssten Vorurteile überwunden werden. Wenn es bei der Abstimmung zum Gesetzentwurf keinen Fraktionszwang gebe, glaubt Haasen, „dann kommt er durch“.
Unterstützung kann seit dem 19. Juni auch von einer Bundesratsinitiative erwartet werden, die der Hamburger Senat und das hessische Kabinett einbringen wollen – beides CDU-regierte Länder.
Fortführung nur mit „Brückenlösung“
Doch bis ein Gesetz verabschiedet ist, vergeht viel Zeit. Zumindest in Bezug auf die weitere Ausgabe von Diamorphin haben die Projektstädte noch Rechtssicherheit, wenn auch nur in Form einer „Brückenlösung“: Das BfArM hat der Heroinambulanz in Frankfurt am Main eine verwaltungsrechtliche Ausnahmegenehmigung nach § 3 Absatz 2 BtMG erteilt, die sich auf das „öffentliche Interesse“ an dem Arzneimittel stützt, denn für die Betroffenen sei Diamorphin „alternativlos“. Würde der Stoff abgesetzt, gerieten die Schwerstkranken in eine „vital bedrohliche Situation“, bestätigt Priv.-Doz. Dr. med. Torsten Passie, Oberarzt an der Heroinambulanz Hannover. Im Übrigen erlebten die Patienten „keine Rauschzustände“, versucht er Vorurteile zu widerlegen. Diamorphin wirke wie ein Psychopharmakon und unterdrücke die Symptome des Entzugs.
Kommunen müssen Kosten allein tragen
Die Ausnahmegenehmigung des BfArM für die 65 Patienten in Frankfurt, die sich auf insgesamt 150 Patienten ausdehnen lässt, legt nahe, dass auch die anderen Projektstädte damit rechnen können. Zumindest haben alle die Ausnahmegenehmigung beantragt. Einige wollen – wie Frankfurt – weiteren Schwerstopiatabhängigen die Heroinbehandlung ermöglichen und haben beim BfArM zusätzliche Behandlungsplätze beantragt: Karlsruhe (13 Patienten, 17 zusätzliche) und Köln (38 und sieben). Die anderen Städte verzichten darauf, auch „um die Gesetzesinitiative zu forcieren“, sagt Bonorden-Kleij für Hamburg (70 Therapieplätze).
Ein anderes Problem ist die Finanzierung: Die Bundeszuschüsse in der Übergangsphase nach den Modellprojekten sind Ende Juni ausgelaufen. Danach müssen die Kommunen die Kosten tragen. Einige Städte haben für einen begrenzten Zeitraum eine finanzielle Zusage erteilt, Bonn und Frankfurt bis Ende des Jahres, Hamburg bis Juni 2008, Karlsruhe bis Ende 2008, München bis Ende 2008. Köln geht einen Sonderweg (siehe Kasten). Doch „keine Kommune hat Interesse daran, langfristige Finanzstrukturen zu schaffen“, sagt Passie. Sie hoffen auf die Übernahme der Heroinbehandlung in die Regelversorgung und die Kostenübernahme durch die GKV. Und mit ihnen eine winzige Gruppe Schwerstopiatabhängiger, die keine Alternative im Drogenhilfesystem hat. Petra Bühring
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