ArchivDeutsches Ärzteblatt28-29/2007Ärztliche Leichenschau: Ein Fall für den Spezialisten?

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Ärztliche Leichenschau: Ein Fall für den Spezialisten?

Hibbeler, Birgit

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LNSLNS Den perfekten Mord gibt es im wirklichen Leben offenbar wesentlich häufiger als im Fernsehkrimi. Schätzungsweise rund 1 200 Tötungsdelikte in Deutschland bleiben jedes Jahr unerkannt, weil Ärztinnen und Ärzte bei der Leichenschau Anzeichen für eine Fremdeinwirkung übersehen und irrtümlich einen natürlichen Tod bescheinigen. Zu diesem Schluss kam bereits vor einigen Jahren eine Studie aus dem Münsteraner Institut für Rechtsmedizin. Zwar halten manche Experten diese Schätzung für übertrieben, doch es ist unstrittig, dass die Qualität der ärztlichen Leichenschau vielfach zu wünschen übrig lässt. Umfragen unter Ärzten zeigen, dass die Toten oftmals noch nicht einmal vollständig entkleidet werden. Die Obduktionsrate in Deutschland ist im internationalen Vergleich auffällig gering.
Mit den Mängeln der Leichenschau hat sich nun auch die Justizministerkonferenz befasst. Die Ministerrunde beschloss einstimmig, das derzeitige System zu überprüfen und gegebenenfalls gemeinsam ein Verbesserungskonzept zu entwickeln. „Künftig sollten nur speziell qualifizierte Ärzte zur Durchführung einer Leichenschau berechtigt sein“, fordert die nordrhein-westfälische Justizministerin, Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU). Diese besonders ausgebildeten Mediziner könnten aus dem Kreis der niedergelassenen Ärzte „gewonnen“ werden, schlägt sie vor. Mit der Einführung einer speziell qualifizierten Leichenschau könnte zugleich die „zweite Leichenschau“ entfallen. Diese ist in zahlreichen Bundesländern zur Beweissicherung, beispielsweise vor Feuerbestattungen, vorgeschrieben, weil der Leichnam im Anschluss nicht mehr exhumiert werden kann.
„Wir unterstützen das Bemühen der Länderjustizminister, endlich zu bundeseinheitlichen Regelungen bei der Leichenschau zu kommen“, kommentierte Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich Hoppe, Präsident der Bundesärztekammer (BÄK), die Entscheidung. Er bezweifelt aber, dass tatsächlich eine ausreichende Zahl spezialisierter Ärzte zur Verfügung stünde. Hoppe wies darauf hin, die BÄK habe bereits 2003
einen Mustergesetzentwurf zur ärztlichen Leichenschau- und Todesbescheinigung vorgelegt. Er ist zudem überzeugt: „Fehler werden nur dann vermieden werden können, wenn eine zweite Leichenschau durchgeführt wird.“ Diese müsse an einem neutralen Ort von besonders qualifizierten und erfahrenen Ärzten durchgeführt werden.
Die Forderung nach einer generellen zweiten Leichenschau mag auf den ersten Blick realitätsfern erscheinen, aber mit ihr wäre ein ganz entscheidendes Problem gelöst: Dass der Tote wirklich komplett entkleidet und gründlich untersucht wird, ist an einem neutralen Ort ohne Angehörige viel wahrscheinlicher. Dagegen ist der Einsatz spezialisierter Ärzte für die erste Leichenschau in häuslicher Umgebung unpassend: Ein fremder „Leichenschau-Spezialist“ würde sicherlich den Familien das Gefühl vermitteln, unter Generalverdacht zu stehen.
Denkbar wäre es ebenfalls, dafür zu sorgen, dass jeder Arzt immer eine gründliche erste Leichenschau durchführt. Doch ist das realistisch? Egal für welchen Weg man sich entscheidet – fest steht: Eine bessere Leichenschau kostet Geld. Der Arzt muss eine angemessene Vergütung erhalten. Außerdem ist eine entsprechende Infrastruktur für Obduktionen zu schaffen, denn der Bedarf würde steigen. Deshalb ist es unehrlich, wenn die Justizministerkonferenz vorgibt, das Problem allein mit spezialisierten Ärzten lösen zu können.
Dr. med. Birgit Hibbeler Redakteurin für Gesundheits- und Sozialpolitik
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Birgit Hibbeler
Redakteurin für Gesundheits- und Sozialpolitik

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