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Zuzahlungsregelung: Gesetzlich verordneter Unsinn


Der G-BA hätte, so der Vorsitzende Dr. jur. Rainer Hess, den Auftrag am liebsten an die Politik zurückgegeben, was das Bundesgesundheitsministerium jedoch nicht habe akzeptieren wollen. Gleichzeitig habe man dort aber Zustimmung zu einer Lösung signalisiert, die mit dem Wortlaut des Gesetzes nur noch herzlich wenig zu tun hat. Hess selbst spricht von einem Kompromiss an der Grenze des rechtlich Möglichen. Anstatt sich an den eindeutig im Gesetz formulierten Auftrag zu halten, einigt man sich im G-BA darauf, dass eine einmalige ärztliche Beratung der Versicherten über die Vor- und Nachteile der jeweiligen Krebsfrüherkennungsmaßnahme ausreiche. Dies sei eine gute Lösung, erklärt wenig später Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt und redet vom individuellen Recht auf Nichtwissen – das Ganze natürlich vorbehaltlich einer rechtlichen Prüfung dieser Entscheidung durch das Ministerium. Vielleicht kommt man ja bei dieser Gelegenheit zu dem Ergebnis, dass ein solcher Gesetzestext besser gar nicht erst verabschiedet worden wäre.
Natürlich hat der G-BA-Vorsitzende recht, wenn er feststellt, dass sich eine Teilnahmeverpflichtung der Versicherten an den GKV-Krebsfrüherkennungsmaßnahmen weder ethisch noch rechtlich begründen lässt. Den unbestreitbaren Nutzen etwa des Mammografie-Screenings stünden die Risiken einer Strahlenbelastung oder falsch-positiver und falschnegativer Ergebnisse gegenüber. Auch die zur Darmkrebsfrüherkennung durchgeführte Koloskopie könne zu erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen führen. Jeder Einzelne, betont Hess, müsse für sich selbst den Nutzen gegen den eventuellen Schaden abwägen. Hierbei kann die Beratung durch den Arzt hilfreich sein. Den Sozialgerichten hat der G-BA mit seiner Entscheidung auf jeden Fall sehr viel Arbeit erspart.
Gespannt darf man jetzt sein, mit welchen Gesetzesdehnungen der G-BA den noch ausstehenden Regelungsbedarf bewältigt; hierbei geht es um die im Gesetz vorgesehene Sanktionierung chronisch Kranker, die vor der Erkrankung den Gesundheits-Check-up nicht regelmäßig in Anspruch genommen haben. Es bedarf noch stärkerer Klimmzüge, um aus dem gesetzlich verordneten Unsinn einen für alle Beteiligten – und dazu gehören auch die Patientenvertreter im G-BA – vertretbaren Kompromiss zu machen.
Thomas Gerst
Redakteur für Gesundheits- und Sozialpolitik
Redakteur für Gesundheits- und Sozialpolitik
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