ArchivDeutsches Ärzteblatt30/2007Elektronische Gesundheitskarte: Wider den Wildwuchs

POLITIK

Elektronische Gesundheitskarte: Wider den Wildwuchs

Krüger-Brand, Heike E.

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LNSLNS Der 11. Baden-Württembergische Ärztetag wandte sich gegen das Telematikprojekt in bisheriger Form. Die Diskussion der Experten zeigte: Ein Fülle von Fragen ist offen.

Der Saal im SI Centrum in Stuttgart war bis auf den letzten Platz gefüllt, denn das Thema – die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte – ist auch nach jahrelangen kontroversen Diskussionen um Chancen und Risiken des Projekts umstritten und bewegt die Gemüter. Aufrufe zum Boykott der Karte und zum Ausstieg aus den Modellversuchen dauern auch nach dem Deutschen Ärztetag in Münster an. Das Ärzteparlament hatte die Einführung der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) „in der derzeit geplanten Form“ abgelehnt und eine Neukonzeption des Telematikprojekts gefordert. Darüber hinaus haben sich viele Landesärztekammern und Ärzteverbände in den letzten Wochen gegen die Gesundheitskarte ausgesprochen.
Derweil wird die Karte in Flensburg und Löbau-Zittau bereits seit Ende 2006 in den 10 000er-Tests erprobt, gefolgt von Bochum im Juni 2007. Die Regionen Ingolstadt und Heilbronn sollen noch im Sommer 2007 mit den Feldtests beginnen. In Baden-Württemberg hatte zuletzt eine Umfrage des Landesärzteverbandes Medi unter den niedergelassenen Ärzten ergeben, dass die weit überwiegende Mehrzahl der Ärzte eine Beteiligung am Modellversuch in Heilbronn ablehnt. Dennoch haben sich auch dort 14 Ärzte, zehn Apotheker und eine Klinik zur Teilnahme am Feldtest bereit erklärt. Die Landesärztekammer Baden-Württemberg ist zudem Mitglied der Arbeitsgemeinschaft zur Einführung der eGK in Baden-Württemberg (ARGE), um ihren Mitgliedern die Erprobung der Karte zu ermöglichen. Vor diesem Hintergrund hatte die Landesärztekammer anlässlich des 11. Baden-Württembergischen Ärztetages zur öffentlichen Diskussion eingeladen.
Furcht vor „Megaservern“ und Sicherheitsproblemen
Die Bundesärztekammer (BÄK) will mit ihrem Engagement in dem Projekt vorrangig sicherstellen, dass – unter maßgeblicher Einflussnahme der Ärzteschaft – eine einheitliche Telematiklösung für das Gesundheitswesen entsteht. So verwies Dr. med. Franz-Joseph Bartmann, Vorsitzender im Ausschuss Telematik der BÄK, darauf, dass zurzeit bereits mehr als ein Dutzend Gesundheitsakten mit unterschiedlichen Spezifikationen im Umlauf seien. Ohne den flächendeckenden Aufbau einer Telematikinfrastruktur würden die Ärzte künftig mit vielen verschiedenen Datenträgern – USB-Sticks, Chipkarten, CD-ROMs, DVDs – in ihren Praxen konfrontiert werden. „Nichts wäre gefährlicher, als ein wildwüchsiges Nebeneinander von ganz unterschiedlichen Ansätzen“, warnte auch Dr. rer. pol. Rolf Hoberg, Vorsitzender der ARGE und Vorstandsvorsitzender der Landes-AOK.
Letztlich wäre ein solches Szenario für die Betroffenen – Ärzte und Patienten – weder praktikabel noch unter Datenschutzgesichtspunkten sicher. Von Patienten, die mit USB-Sticks zu den Ärzten kommen, hält daher auch Wolfram-Arnim Candidus, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Versicherte und Patienten, nichts. „Wir kommen an IT im Gesundheitswesen nicht vorbei“, meinte Candidus. Die Technik müsse jedoch der Verbesserung der Versorgung dienen und dürfe sich nicht nur an den Kosten oder den Interessen der Industrie ausrichten.
Die Hauptkritikpunkte der Ärzte betreffen vor allem die Praktikabilität der Technik, die ungeklärte Finanzierung und Fragen der ärztlichen Haftung. Allem voran aber steht die Furcht vor „Megaservern“ und den Sicherheitsproblemen, die mit einer zentralen Datenspeicherung verbunden sind. „Wir wollen keine Lösung, bei der die eGK nur als Eintrittskarte für Zentralserver dient“, meinte etwa Dr. med. Thomas Gehrig, Vorsitzender der Ärzteschaft Heilbronn. Der Urologe plädierte stattdessen für lokale Netze und dezentrale Speichermedien, die es ermöglichten, „dass die Daten beim Patienten bleiben“. Ähnlich argumentierte Dr. med. Werner Baumgärtner, Vorstandsvorsitzender von Medi Baden-Württemberg: „Dem Patienten wird vorgegaukelt, dass seine Gesundheitsdaten auf der Karte gespeichert werden, tatsächlich reicht dafür aber die Speicherkapazität nicht aus. Wir wollen, dass die Patientendaten dezentral auf der Karte gespeichert werden, und wir wollen weg von der Serverlösung.“
Alternative Formen
Wie eine solche Lösung aussehen könnte, ist jedoch völlig unklar. Der BÄK-Ausschuss Telematik werde sich auch mit alternativen Formen einer solchen patientenzentrierten Form der Datenspeicherung beschäftigen, erklärte Bartmann. Hier stehe man am Anfang eines Prozesses, der auf dem nächsten Deutschen Ärztetag in Ulm zu diskutieren sei. Bartmann stellte außerdem die an den Arzt durch das eGK-Projekt gestellte Anforderung infrage, online zu gehen. Ein Online-Anschluss könne nicht von vornherein verpflichtend sein, meinte er. Heike E. Krüger-Brand

Test in Heilbronn
Die Vertreterversammlung der Landesärztekammer Baden-Württemberg hat die Einführung der eGK in der bisherigen Form abgelehnt und die Politik aufgefordert, das Projekt völlig neu zu konzipieren. Den Test der Karte in der Region Heilbronn will die Landesärztekammer jedoch weiterführen. Allerdings wurde der Vorstand aufgefordert, den bestehenden Vertrag mit der ARGE hinsichtlich der entstehenden Kosten in den Arztpraxen und der ärztlichen Haftung nachzuverhandeln. Außerdem forderten die Delegierten den absoluten Verzicht auf die zentrale Speicherung sensibler Daten.

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