POLITIK
Prävention übermässigen Alkoholkonsums: Der Deutschen liebste Droge


Rund zehn Liter
reinen Alkohol pro
Kopf und Jahr konsumieren
die Deutschen
im Durchschnitt.
An Leberzirrhose
sterben 40
bis 80 Prozent der
chronischen Trinker.
Foto: Keystone
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Die kulturelle Einbettung der Droge Alkohol in das Leben der Deutschen scheint das größte Problem bei der Bekämpfung der Alkoholabhängigkeit zu sein. „Alkohol ist der Deutschen liebste Droge, Tröster bei allen Gelegenheiten, Kontaktanbahner, Begleiter und für viele leider auch Nahrungsmittel“, sagte Rolf Hüllinghorst, Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS), bei einem Fachgespräch der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Thema Alkoholpolitik Mitte Juni in Berlin. Neue Wege wollen die Grünen-Politiker zur Prävention des missbrauchenden Alkoholkonsums finden.
Gravierende Folgen
Rund zehn Liter reinen Alkohol trinken die Deutschen im Durchschnitt pro Kopf und Jahr – und das relativ konstant seit 1970. „Eindeutig zu viel“, betont Harald Terpe, Fachsprecher der Grünen für Drogen und Sucht. 1,7 Millionen Menschen sind abhängig von Alkohol; 2,7 Millionen konsumieren gefährlich und 4,9 Millionen haben einen riskanten Alkoholkonsum*. Die Folgen sind gravierend: Jeder vierte Mann im Alter zwischen 35 und 65 Jahren stirbt an den Folgen von Alkoholkonsum. An einer Leberzirrhose sterben im Zeitraum von fünf Jahren zwischen 40 und 80 Prozent der Betroffenen. Bei chronischem Alkoholmissbrauch verkürzt sich die Lebenserwartung um 23 Jahre. 2 200 Säuglinge kommen mit einem fetalen Alkoholsyndrom zur Welt, denn Alkohol ist ein Zellgift. Alkoholkonsum ist ursächlich für viele Verkehrsunfälle und Unfälle am Arbeitsplatz. Zwischen fünf und zehn Millionen Menschen sind als Angehörige mitbetroffen: Ein Drittel der Kinder von Alkoholabhängigen wird später selbst suchtkrank. Die Liste negativer Konsequenzen lässt sich aufgrund der enthemmenden Wirkung von Alkohol fortsetzen: höhere Delinquenz, Kindesmissbrauch und -vernachlässigung und Gewalt.
Fehlende Vorbilder
Der leichtfertige Umgang vieler Erwachsener mit der Droge Alkohol hat Auswirkungen auf die Heranwachsenen – in zunehmendem Maß, ermittelte eine aktuelle Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung. Besonders auffällig ist der Anstieg bei den 16- bis 17-jährigen Jungen. Deren durchschnittliche wöchentliche Trinkmenge lag 2004 bei 127 Gramm reinem Alkohol und 2007 bei 150 Gramm, das entspricht etwa zwei Gläsern alkoholischer Getränke täglich.
Maßnahmen zur Verhältnisprävention, das heißt die Umgebungsbedingungen so zu verändern, dass sie den Konsum senken, sind hinlänglich bekannt. „Wir haben kein Erkenntnis- sondern ein Umsetzungsproblem“, sagt Hüllinghorst. An erster Stelle stehe für ihn das politische Instrument der Erhöhung der Alkoholpreise durch Steuern. Erst 2005 habe die Verteuerung durch die Alcopopssteuer bewirkt, dass der Konsum bei Jugendlichen deutlich sank.
Die Effektivität der einzelnen Maßnahmen hat eine Metaanalyse von Babor et al. 2005 im Auftrag der Weltgesundheitsorganisation (1) untersucht, aus der Dr. Hans-Jürgen Rumpf, Psychotherapeut an der Universität Lübeck, referierte. Höhere Preise durch Besteuerung sind demnach ein sehr wirksames Instrument: „Sie beeinflussen den Konsum von jungen Menschen, starken Trinkern und Armen“, sagte Rumpf. Und auch die Flasche Wein, die im Supermarkt für 1,50 Euro zu haben ist, sei viel zu billig, argumentierte Rumpf pro Weinsteuer, die bei einigen am Fachgespräch Beteiligten auf „Unbehagen“ stieß.
Ebenso wirksam ist ein gesetzliches Mindestalter, das in Deutschland bei 16 Jahren für den Verkauf von bier- und weinhaltigen Getränken und bei 18 Jahren für Spirituosen liegt. Doch die Einhaltung des Jugendschutzgesetzes werde zu wenig kontrolliert. „Bei angemessener Kontrolle würde der Konsum bei den Jugendlichen um 30 bis 40 Prozent zurückgehen“, verdeutlichte Rumpf. Das durchschnittliche Einstiegsalter in den Alkoholkonsum von 13,6 Jahren zeige, dass es für Jugendliche überhaupt kein Problem sei, Alkohol zu kaufen.
Sehr wirksam nach Babor et al. sind auch verschiedene Maßnahmen im Straßenverkehr: zufällige, nicht angekündigte Alkoholkontrollen, niedrige Blutalkoholkontrollgrenzen, der Führerscheinentzug bei Überschreiten der Grenzen sowie die 0,0-Promille-Grenze für Fahranfänger. Letztere wird gerade eingeführt, die ersten beiden Instrumente gibt es bereits in Deutschland.
Moderat wirksam ist die Frühintervention von Hausärzten. Ebenso moderat wirken die Einschränkung der Ladenöffnungszeiten und der Verkaufsdichte. Nicht sehr effektiv sind hingegen Ausschankregeln, Werbeverbote oder die Kontrolle der Werbeinhalte. „Verhältnisprävention kann sehr wirksam sein“, resümiert Rumpf, „die Nutzung in Deutschland ist jedoch gering.“
Das Beispiel Frankreich zeige, wie wirksam politische Vorgaben sein können, berichtete Gabriele Barsch von der DHS. In Frankreich konnte der durchschnittliche Pro-Kopf-Konsum von 16,1 Liter reinem Alkohol im Jahr 1970 auf 9,3 Liter 2003 reduziert werden. Verantwortlich dafür waren unter anderem Warnhinweise auf Spirituosen. Auch ein umfassendes Werbegesetz zeigte Erfolg: Es besagt unter anderem, dass sich Alkoholwerbung auf die Qualitäten des Produkts beziehen muss und nicht Erfolg in anderen Lebensbereichen suggerieren darf.
Finnland ist hingegen ein Nega-tivbeispiel. Mit dem Beitritt zur EU 1995 musste das Land seine restriktiven alkoholpolitischen Maßnahmen lockern. Nach dem Beitritt der baltischen Staaten und einem massiven grenzüberschreitenden Handel senkte Finnland die Steuern und die inländischen Zölle. Der Konsum stieg von 4,3 Litern 1970 auf 7,9 Liter 2003. Der Pro-Kopf-Konsum liegt zwar leicht unter dem EU-Durchschnitt von acht Litern. Doch weil die Trinkmuster der Finnen sehr risikoreich sind, stieg die Zahl der Todesfälle aufgrund von Leberzirrhosen seit 1995 besonders stark an.
Petra Bühring
Literatur
1. Babor et al.: Alkohol – kein gewöhnliches Konsumgut. Forschung und Alkoholpolitik. Hogrefe-Verlag 2005.
* Gefährlicher Konsum: Frauen mehr als 40 g bis 80 g Reinalkohol pro Tag; Männer mehr als 60 g bis 120 g. Riskanter Konsum: Frauen mehr als 20 g bis 40 g; Männer mehr als 40 g bis 60 g. Individuelle Schwankungen
Wenderlein, J. Matthias
Teschke, Rolf