ArchivDeutsches Ärzteblatt31-32/2007Charité zieht Konsequenzen nach Mordserie: Größere Intensivstationen, um Ärzte und Pflegende zu entlasten

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Charité zieht Konsequenzen nach Mordserie: Größere Intensivstationen, um Ärzte und Pflegende zu entlasten

Rieser, Sabine

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LNSLNS Der Prozess gegen eine Krankenschwester hat Mängel auf der kardiologischen Intensivstation ans Licht gebracht. Nun plant die Klinikumsleitung Veränderungen.

Auf der Anklagebank des Berliner Landgerichts saß Krankenschwester Irene B. Lebenslange Haft wegen Mordes an fünf Patienten der kardiologischen Intensivstation, urteilte das Berliner Landgericht Ende Juni (DÄ, Heft 27/2007). Doch auch Irene B.s Arbeitgeber, das Berliner Universitätsklinikum Charité, kam schlecht weg. Über Abläufe und Arbeitsklima habe man zum Teil „ernüchternde Erkenntnisse“ gewonnen, erklärten die Richter.
Die Charité reagierte. Bereits zu Beginn des Gerichtsverfahrens setzte sie eine vierköpfige „Kommission zur Patientensicherheit“ ein. Diese sollte Mängel und Versäumnisse analysieren und Verbesserungsvorschläge unterbreiten. Mitte Juli präsentierte das Gremium unter Leitung von Prof. Dr. med. Peter M. Suter seine Ergebnisse.
Sprüche und Grobheiten
blieben ohne Folgen
Auf der kardiologischen Intensivstation habe es „Kommunikationsdefizite und eine gewisse Betriebsblindheit“ gegeben, sagte Suter, Präsident der Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften und selbst Facharzt für Intensivmedizin. In Gesprächen mit Beschäftigten sei dem Gremium auch „ein gewisses Obrigkeitsdenken“ aufgefallen. Schon lange vor den bekannt gewordenen Straftaten sei es „zu physischen Grobheiten und verbalen Ausfällen“ durch die Krankenschwester gekommen. Darüber wurden Vorgesetzte zwar informiert, die Täterin aber weder damit konfrontiert noch disziplinarisch belangt.
Die Kommission hat auch bemängelt, dass „die ärztliche Betreuung und damit die Kontinuität der Behandlungsstrategien markante Defizite“ gezeigt habe. Regelmäßig betreuten demnach nicht ständig in der Intensivmedizin tätige Ärzte die kardiologische Intensivstation mit. Öfter musste der einzige anwesende Arzt die Station verlassen, um anderswo tätig zu werden. „Dies ist im Interesse der Patientensicherheit nicht akzeptabel“, befand die Kommission.
Das Berliner Universitätsklinikum Charité will deshalb seine intensivmedizinische Versorgung umstrukturieren. Intensivstationen sollen fachübergreifend zu größeren Einheiten zusammengelegt werden. Dort soll dann nur nach dem Grad der notwendigen Versorgung unterschieden werden. So ließen sich eine kontinuierliche ärztliche Versorgung und der Wechsel zwischen belastenden und weniger belastenden Arbeitssituationen für die Pflegenden besser organisieren, kündigte Prof. Dr. med. Ulrich Frei, Ärztlicher Direktor der Charité, an. Eine Arbeitsgruppe unter der Leitung von Suter prüft derzeit, wie die Verantwortung auf solchen größeren Stationen verteilt werden soll.
Darüber hinaus plant die Charité weitere Schritte. So wurde in der Zwischenzeit das anonyme Fehlermeldesystem CIRS (Critical Incident Reporting System) auch auf der kardiologischen Intensivstation eingeführt. Zudem soll der Austausch zwischen Pflegekräften und Ärzten intensiviert werden. Neben täglichen gemeinsamen Visiten am Krankenbett sollen Teambesprechungen und Fallkonferenzen regelmäßig eingeplant werden. Auch Angebote zu Supervisionen werden nach Freis Darstellung intensiviert.
Ärztlicher Direktor:
Charité ist kein Einzelfall
Sowohl Frei wie auch Suter verwiesen allerdings darauf, dass die geplanten Umstrukturierungen der intensivmedizinischen Versorgung nicht unumstritten sind. Immer noch gebe es in Deutschland sehr viele fachbezogene Intensivstationen, sagte Suter. Dies habe jedoch organisatorische und medizinische Nachteile. Frei ergänzte: „Ich wüsste nicht, was passieren würde, wenn die Kommission die ein oder andere Uniklinik in Deutschland besuchen würde.“ Dann, glaubt er, kämen sicher ähnliche Defizite wie an der Charité zutage.
Sabine Rieser

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