THEMEN DER ZEIT
Palliativmedizin in Grossbritannien: Beliebte Karriereoption


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Palliativmedizin ist in Großbritannien ein relativ neuer Fachbereich und wurde 1987 als eigene Fachrichtung vom Royal College of Physicians offiziell anerkannt. Seitdem hat sich viel getan, und die Zahl der Fach- und Oberärzte in der Palliativmedizin ist über die Jahre schnell gestiegen. Pallia-tivmedizin wird in Großbritannien als Karriereoption für Ärztinnen und Ärzte immer beliebter und interessanter. Das „Joint Committee for Higher Medical Training“ (JCHMT) bestimmt das Trainingsprogramm für die Disziplin Palliativmedizin: Ein Arzt muss vier Jahre als Specialist Registrar (SPR) arbeiten, bevor er Oberarzt der Palliativmedizin werden kann.
Allerdings ist vor Kurzem die Weiterbildung in Großbritannien geändert worden: Modernising Medical Careers (MMC) ist eine Regierungsinitiative, die im Januar 2007 in Kraft trat (1). Ein SPR im ersten Trainingsjahr heißt jetzt Specialty Trainee 3 (ST3). Das Programm dauert nach wie vor vier Jahre, die Eintrittsbedingungen könnten sich jedoch in den kommenden Jahren ändern.
ST3s und SPRs müssen in Großbritannien in der Regel schon einige Jahre klinische Erfahrung mitbringen und zudem fachärztliche „Royal College“-Prüfungen bestanden haben. Viele Ärzte kommen aus dem internistischen Bereich und der Onkologie, andere sind ausgebildete Allgemeinmediziner, praktische Ärzte oder Anästhesisten. Dadurch ist in dieser (noch) relativ kleinen Fachrichtung ein sehr gemischter Kreis an Spezialisten entstanden, die auf Erfahrungen aus den verschiedensten Bereichen zurückgreifen können.
Palliativmedizin ist ein klinisches Feld, in dem man Kenntnisse über praktische Pharmakologie und Physiologie erwirbt, während man zugleich auch Kommunikationstalent und Einfühlungsvermögen benötigt. SPRs haben, bevor sie in das vierjährige Programm eintreten, generell schon Erfahrungen als assistenzärztliche Palliativmediziner, oder sie haben einige Jahre auf Stellen gearbeitet, die eng mit der Palliativmedizin verbunden sind, etwa in der Onkologie. Dadurch wissen angehende SPRs, welche Kenntnisse in dieser Fachrichtung erforderlich sind und ob sie dem psychischen Stress, den der Bereich mit sich bringt, gewachsen sind.
Registrars haben in Großbritannien eine offizielle Trainingsnummer, sind beim JCHMT registriert und müssen über die vier Jahre verschiedene Einrichtungen und Organisationen durchlaufen (2). Das bedeutet Erfahrungen sammeln in stationären Hospizen, Palliativstationen, Krankenhäusern mit Disziplinen, die häufig mit Palliativmedizinern zusammenarbeiten (zum Beispiel Onkologie, Hämatologie, Nephrologie) sowie ambulanten „community teams“.
Ein Specialist Registrar kann zum Beispiel in den ersten zwölf Monaten des Trainingsprogramms Patienten in einem Hospiz betreuen, wo er mit einem oder mehreren Oberärzten, Stationsärzten und dem Krankenpflegepersonal zusammenarbeitet. In der Regel finden täglich Patientenvisiten statt, und der Registrar betreut die Assistenzärzte bei der Behandlung von Patienten. Wichtig sind in diesem Bereich die Kontakte und Interaktionen mit den multiprofessionellen Teams (im Hospiz selbst und außerhalb, wenn Patienten wieder nach Hause entlassen werden). Die Hospize bieten eine umfassende Behandlung an, beispielsweise mit intravenösen Antibiotika, Radiotherapie oder Prozeduren wie Punktionen.
Registrars lernen dort unter anderem Methoden der Schmerz- und Symptomlinderung und die verschiedenen zur Verfügung stehenden medikamentösen Therapien sowie praktische Prozeduren, wie etwa Pleura- und Aszitespunktion, Radiotherapie sowie Chemotherapie kennen. Oft arbeitet man mit den Onkologen der Einrichtung zusammen. Außerdem erlernt der Registrar viel über die Behandlung von Notfällen in der Palliativmedizin, wie z. B. eine Kompression des Rückenmarks, eine Obstruktion der Vena cava superior sowie ein Tumorzerfallsyndrom. Der Arzt erfährt zudem, wie schwierig es sein kann, mit den Patienten und den Angehörigen zu entscheiden, wann ein aktives Behandeln dieser Komplikationen nicht mehr angebracht ist.
Der Registrar ist auch für den Unterricht von Assistenzärzten und Medizinstudierenden zuständig. Dies kann in Form von Bedside Teaching oder auch Tutorien stattfinden. Das JCHMT-Portfolio für Specialist Registrars legt großen Wert auf diese Aktivitäten.
Interdisziplinäre Arbeit
Die nächsten zwölf Monate rotiert der Registrar dann beispielsweise in ein ambulantes Team, das Patienten zu Hause betreut. Das Team besteht meist aus mehreren „Specialist Palliative Care Nurses“, die für unterschiedliche Stadtteile oder Regionen zuständig sind. Man arbeitet als „community team“ eng mit niedergelassenen Familienärzten (General Practitioners), Sozialarbeitern, Physiotherapeuten und Pflegern zusammen, um es den Patienten zu ermöglichen, zu Hause zu bleiben, und um dort auch Symptome wie Schmerz und Erbrechen zu behandeln. Registrars sehen den Patienten im häuslichen Bereich und können sich einen Eindruck darüber verschaffen, ob der Patient weiterhin zu Hause bleiben sollte oder ob ein Hospiz- oder Krankenhaustransfer zur Symptombehandlung nötig ist.
Weitere zwölf Monate des Programms werden dann in einer größeren Klinik mit einem palliativmedizinischen Team verbracht, das die anderen Fachrichtungen im Bereich Symptomkontrolle berät und unterstützt. Man arbeitet mit den Ärzten und dem Krankenpflegepersonal in Fachrichtungen wie Nephrologie, Onkologie oder Hämatologie zusammen. Verschiedene Fragen und Probleme kommen oft wiederholt zur Sprache: Welches Schmerzmittel kann einem Dialysepatienten gegeben werden? Welche Antiemetika können einem Patienten mit Darmverschluss gegeben werden? Wie kann man extreme rektale Schmerzen und Tenesmen bei rektoanalen Tumoren lindern? Was tun bei erhöhten Kalziumwerten? Wie sieht die Behandlung mit Methadon bei schwierigen neuropathischen Schmerzen aus? Wie erklärt man Patienten und Angehörigen, dass die Chemotherapie nicht mehr anschlägt und die Behandlung von nun an palliativ ausgerichtet ist?
Einmal jährlich hat jeder pallia- tivmedizinische SPR eine Sitzung mit dem regionalen, fachgebietsspezifischen Trainingskomitee (Specialty Training Committee). Bei diesem „Record of In-Training Assessment“ (RITA) geht das Komitee einen fachspezifischen Portfolio-Ordner durch, den der Kandidat während der vier Jahre auf dem neuesten Stand hält, zum Beispiel mit Weiterbildungskursen und Seminaren, die er besucht hat, oder Konferenzen, auf denen er einen Vortrag gehalten hat. Dieses Portfolio enthält auch ein anonymisiertes Feedback von Kollegen, mit denen der SPR über die Jahre gearbeitet hat. RITAs dienen dazu, Probleme in den vier Trainingsjahren frühzeitig zu erkennen und zu beheben.
Zwölf Bewerber pro Platz
Specialist-Registrar-Trainingsnummern für Palliativmedizin sind mittlerweile nicht mehr einfach zu bekommen; die Spezialisierung ist mit zunehmender Etablierung als Karriereoption sehr beliebt geworden: 2007 gab es 207 Bewerbungen für 17 ST3-Plätze in Großbritannien. Damit ist das Fach ähnlich beliebt wie Neurochirurgie, Ophthalmologie und Neurologie (3).
Um sich bewerben zu können, muss man Facharztprüfungen vom Royal College of Physicians, Royal College of General Practitioners, Royal College of Anaesthesists oder Royal College of Radiologists bestanden haben. Publikationen und Präsentationen im Bereich Palliativmedizin sind bei den meisten Bewerbern mittlerweile Standard. Bewerber aus dem Ausland müssen nachweisen, dass sie äquivalente Prüfungen bestanden haben.
Dr. med. Mark Taubert
Velindre Hospital NHS Trust, Cardiff, Wales
E-Mail: mtaubert@hotmail.com
Weiterbildung Palliativmedizin
Die palliativmedizinische Weiterbildung in Großbritannien
Nach dem Medizinstudium ist für alle Fachrichtungen die Tätigkeit als „Foundation Doctor“ obligatorisch. Zwei Jahre rotiert der Absolvent durch die Innere Medizin, Chirurgie und Allgemeinmedizin. Danach beginnt die fachspezifische Weiterbildung.
- „Specialty Training Doctor“ (früher Senior House Officer), die Specialty Trainees (STs) durchlaufen unterschiedliche Bereiche; wer die Fachrichtung Palliativmedizin anstrebt, absolviert in der Regel jeweils vier bis sechs Monate in der Palliativmedizin und der Onkologie. Dauer: drei Jahre.
- Prüfungen des Royal College of Physicians (RCP), Royal College of General Practitioners (RCGP), Royal College of Radiology (RCR) oder Royal College of Anaesthesists (RCA); anschließend darf der Assistenzarzt den Titel der „Membership“ beziehungsweise des „Fellow“ führen, also beispielsweise MRCP oder FRCA.
- „Specialist Registrar (SPR) in Palliative Medicine“: „Junior-Facharzt“. Das Portfolio für die Weiterbildung erstellt das „Joint Committee for Higher Medical Training“ (JCHMT). Im „Training Record“ werden die Weiterbildungsstationen dokumentiert. Dauer: vier Jahre. Die meisten SPRs absolvieren zudem einen Diplomstudiengang in Palliativmedizin oder einen Master-Studiengang of Science. Diese werden an vielen Universitäten angeboten.
- „Consultant in Palliative Medicine“: Nach vier Jahren wird der SPR in das Specialist Register des General Medical Council für den Bereich Palliativmedizin eingetragen und kann sich auf eine Stelle als Consultant (Oberarzt) bewerben.
1.
Department of Health (2003): Modernising Medical Careers: The Response of the Four UK Health Ministers to the Consultation on „Unfinished Business Proposals for Reform of the Senior House Officer Grade“. London: Department of Health. http://www.dh.gov.uk/en/Publicationsandstatistics/Publications/PublicationsPolicyAndGuidance/DH_4010460
3.
Posts an Applicationson MTAS by Specialty: http://www.mmc.nhs.uk/download_files/appendix%202.pdf
1. | Department of Health (2003): Modernising Medical Careers: The Response of the Four UK Health Ministers to the Consultation on „Unfinished Business Proposals for Reform of the Senior House Officer Grade“. London: Department of Health. http://www.dh.gov.uk/en/Publicationsandstatistics/Publications/PublicationsPolicyAndGuidance/DH_4010460 |
2. | http://www.mmc.nhs.uk/pages/specialities/specialityframework |
3. | Posts an Applicationson MTAS by Specialty: http://www.mmc.nhs.uk/download_files/appendix%202.pdf |