POLITIK: Das Interview
Interview mit Andrea Mrazek, Präsidentin der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer: „Ein deutliches Signal in Richtung Osten“


Die gebürtige Wienerin Andrea Mrazek M.A., M.S. (USA) hat in Wien, Tübingen und in den USA studiert. Die Verhaltenstherapeutin arbeitet in eigener Praxis im sächsischen Radebeul. Fotos: Jörg Hermann
Frau Mrazek, Sie sind Ende April zur Präsidentin der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer (OPK) gewählt worden und im Mai auch in den Vorstand der Bundespsychotherapeutenkammer (PP, Heft 6/2007). Kommen Sie noch dazu, Patienten zu behandeln?
Andrea Mrazek: Bei mir ist natürlich alles sehr eingeteilt. Ein bis zwei Tage in der Woche bin ich noch in meiner Praxis in Radebeul bei Dresden. Der Rest ist belegt mit Fahrten oder Besprechungen und einer Vielzahl von Kammerangelegenheiten. Das braucht schon viel Zeit. Aber ich habe eine Assistentin in der Praxis, die mir hilft.
Was war Ihre persönliche Motivation, für die OPK zu kandidieren und sich in den Bundesvorstand wählen zu lassen?
Mrazek: Ich bin Schritt für Schritt in die Berufspolitik hineingerutscht. Als ich mich in Sachsen niedergelassen hatte und erkannte, wie schlecht die Bedingungen und die Honorierung sind, begann ich mich dafür zu interessieren, warum in manch einem Bundesland so viel mehr beziehungsweise weniger gezahlt wird als in einem anderen. Damals haben mich die Kollegen zu einem Treffen der Vereinigung der Kassenpsychotherapeuten eingeladen, dessen Landesvorsitzende ich dann geworden bin. Mit dem Psychotherapeutengesetz 1999 stellte sich dann auch die Frage der Kammergründung im Osten.
Warum hat es bis April 2007 gedauert, bis eine Kammer in Ostdeutschland gegründet wurde?
Mrazek: Man musste fünf Bundesländer zusammenfügen. Sachsen hätte aufgrund der Mitgliederzahlen noch eine eigene Kammer gründen können. Aber Thüringen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg mit ihren geringen Versorgungszahlen hätten große Schwierigkeiten gehabt, eine eigene Kammer zu finanzieren oder hätten ohne Kammer auskommen müssen. So entstand recht früh der Gedanke, sich zusammenzuschließen. Es gab viele Treffen und Besprechungen. Ein Land nach dem anderen musste von dieser Idee der gemeinsamen Kammer überzeugt werden – das hat gedauert.
Gab es Länder, die besondere Vorbehalte hatten?
Mrazek: Die Länder mit den wenigsten Mitgliedern haben natürlich immer die größten Befürchtungen, weil es Usus ist, dass Gremien proportional zur Mitgliederzahl zusammengesetzt werden. Also Sachsen mit schätzungsweise 900 Mitgliedern stünde dementsprechend besser da als Mecklenburg-Vorpommern mit rund 250. Wir haben uns deshalb entschlossen, allen Ländern die gleiche Stimmenzahl in der Kammerversammlung der OPK zu geben. Jedes Land hat sieben Stimmen. Insofern war es von sächsischer Seite vielleicht der größte Schritt, auf einen vermeintlichen Einfluss zu verzichten.
Gab es noch andere Hindernisse?
Mrazek: Aufwendig waren auch die bürokratischen Prozesse: Alles musste mit den Vertretern der Minis-terien der einzelnen Länder abgestimmt werden. Das hat alles viel länger gedauert, als sich irgendjemand ausmalen konnte. Allein die Unterzeichnung des Staatsvertrags, der Voraussetzung für eine länderübergreifende Kammer war, dauerte drei Monate.
Was prädestiniert gerade Leipzig zum Sitz der Geschäftsstelle?
Mrazek: Der Sitz der Geschäftsstelle sollte an einem zentralen Punkt sein. Verkehrstechnisch bietet sich Leipzig eher an als zum Beispiel Dresden. Leipzig liegt zudem in Sachsen, dessen Ministerium die Federführung für die neue Heilberufekammer übernommen hat.
Welche Aufgaben sind zurzeit vorrangig beim Aufbau der OPK?
Mrazek: Die Kammerversammlung – 35 Mitglieder plus Vorstand – muss jetzt erst einmal die Dinge beschließen, die eine Kammer braucht, um zu funktionieren: die Berufsordnung, die Fortbildungsordnung, vielleicht eine Weiterbildungsordnung, aber auch die Organisation der Berufsgerichtsbarkeit und eine Schlichtungsstelle, ebenso Serviceleistungen für die Patienten und Kollegen.
Dabei profitieren Sie von den langjährigen Erfahrungen der westdeutschen Kammern?
Mrazek: Ja, wir profitieren sehr von den Erfahrungen der anderen und von deren großzügiger Unterstützung. Das war alles sehr positiv.
In der Delegiertenversammlung der Bundespsychotherapeutenkammer haben uns die Kollegen sogar ein Zugeständnis gemacht. Wir haben dort 13 Delegierte und sind somit die zweitgrößte Vertretung nach Nordrhein-Westfalen. Jedes Bundesland hat dort zwei Basissitze, hinzu kommt noch eine Staffelung nach der Mitgliederzahl. Es ist ein Mischsystem – wenn man völlig proportional nach Mitgliedern gehen würde, dann säßen allein NRW und Bayern bei den Psychotherapeutentagen. Beim Zusammenschluss unserer fünf Bundesländer war deshalb schon Bedingung, dass wir pro Bundesland auch zwei Basissitze bekommen. Das sind bereits zehn Sitze. Die restlichen drei staffeln sich nach Mitgliedern.
Sie wirkten beim 10. Deutschen Psychotherapeutentag in Berlin überrascht, in den Vorstand der BPtK gewählt zu werden.
Mrazek: Das war für mich schon bewegend, wenn auch nicht ganz überraschend. Die Kandidatur wurde vorher an mich herangetragen, und ich habe das dann mit dem Vorstand der Ostdeutschen Psychotherapeutenkammer besprochen, auf dessen Unterstützung ich setzen musste. Dass ich dann tatsächlich gewählt wurde, hat mich gefreut. Ich denke, es ist ein deutliches Signal in Richtung Osten und auch der politische Anspruch der OPK.
Inwieweit kann denn die OPK von Ihrer Mitgliedschaft im Vorstand profitieren?
Mrazek: Es bietet ganz viele Vorteile, weil wir vieles direkt einbringen können. Wie gesagt, wir profitieren so viel von den anderen, das ist ja schon fast unanständig. Wir hoffen eben, dass wir auf diese Weise einige der Strukturnachteile aufholen können. Und die sind ja recht deutlich. Zwischen der behandlungsbedürftigen Bevölkerung und der Anzahl der ambulant tätigen Psychotherapeuten klafft eine erhebliche Lücke. 1 493 niedergelassene Psychologische Psychotherapeuten und 127 Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten versorgen ambulant die Patienten in fünf Bundesländern. Hinzu kommen noch rund 800 angestellte Psychotherapeuten in Kliniken und Institutionen.
Wie könnte man mehr Psychotherapeuten in den Osten locken?
Mrazek: Sehr viele Gebiete im Osten sind merkwürdigerweise für eine Niederlassung gesperrt. Nach der Bedarfsplanung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung sind vor allem die großen ostdeutschen Städte auf dem Papier versorgt und in der Folge gesperrt. In vielen ländlichen Bereichen ist das ähnlich. Eine Rolle spielt dabei natürlich auch die 40-Prozent-Quote für die ärztlichen Psychotherapeuten. Sie wird nicht ausgefüllt, aber so werden 40 Prozent der Therapeutensitze blockiert – das ist in unseren Bundesländern mehr der Fall als anderswo.
Was wollen oder können Sie dagegen tun?
Mrazek: Man muss zunächst klären, wie ein solches Ungleichgewicht zustande kommt. Ein Aspekt ist sicher, dass 1999 mit dem Psychotherapeutengesetz im Westen überversorgte Gebiete einfach erst einmal akzeptiert wurden. Es hat niemand aufhören müssen zu dem Zeitpunkt. Nach der Wende musste sich im Osten dagegen der ambulante psychotherapeutische Bereich erst einmal aufbauen. Deshalb gibt es so wenig niedergelassene Psychotherapeuten.
Ein weiterer Aspekt, den wir angehen wollen, ist die vielfach kritisierte gemeinsame Bedarfsplanung für Erwachsenen- und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten. Bei den psychisch kranken Kindern ist die Unterversorgung im Osten – aber nicht nur dort – besonders eklatant. Wie gesagt, viele Gebiete sind gesperrt. Man kann natürlich in bestimmtem Umfang Sonderbedarf geltend machen, aber das wird von den regionalen Zulassungsausschüssen auch unterschiedlich gehandhabt. Es bedarf einer grundsätzlichen Lösung.
Wenn es die Möglichkeit gäbe, sich niederzulassen, würde es denn genügend Psychotherapeuten geben?
Mrazek: Ich denke, es gibt ausreichend Interessenten. Die ostdeutschen Ausbildungsinstitute arbeiten ja noch nicht so lange. Da werden jetzt Zug um Zug mehr Absolventen fertig werden, die dann auch gern arbeiten möchten, nach so einer aufwendigen Ausbildung. Die Institute jedenfalls melden, dass die Ausbildungsgänge sehr gut besucht und nachgefragt sind.
Wenn man über die Einzelpraxis hinausdenkt: Wären Medizinische Versorgungszentren, die ja durch das Polikliniksystem der DDR im Osten Tradition haben, eine Alternative, um die Unterversorgung zu beheben?
Mrazek: Das sind sicherlich Alternativen. Allerdings sehe ich zurzeit nicht viel Bereitschaft. Das Erste, was nach der Wende geschehen ist, war, dass die Polikliniken aufgelöst wurden. Die Motivation, das alles wieder umzukehren nach dem Motto „Tut uns leid, es war ein Irrtum, wir hätten sie nicht auflösen sollen, jetzt machen wir sie wieder, nur mit privatwirtschaftlichem Risiko“ – die scheint mir recht gering.
Man darf das Problem der Kinder- und Jugendlichenpsychotherapie auch nicht isoliert betrachten. Das Bestreben der Kammer ist es, die Psychotherapie sowohl ambulant als stationär als auch an den Schnittstellen der Versorgung besser zu verankern. Wenn die betroffenen Menschen von vornherein wissen, dass sie keinen Therapieplatz bekommen, dann werden sie es auch nicht versuchen. Die Psychotherapie als die jüngste Fachrichtung im medizinischen System hat es manchmal noch ziemlich schwer. Dem wollen wir entgegenwirken.
Kooperiert die OPK mit den Ärztekammern in Ostdeutschland? Gibt es einen gemeinsamen Beirat?
Mrazek: Ja, es wird einen solchen Ausschuss oder Beirat mit allen fünf Ärztekammern geben. Das wurde im Staatsvertrag bereits festgelegt. Wir sind gerade dabei, dieses Gremium zu installieren. Das braucht natürlich auch etwas länger als mit nur einer Ärztekammer.
Wie sind die Rückmeldungen der Ärztekammern?
Mrazek: Die Reaktionen erlebe ich als sehr kollegial, fachlich kompetent und sehr konstruktiv. Wenn man eine Auskunft haben möchte, sind die Mitarbeiter sehr hilfsbereit.
Kooperieren Sie in Bezug auf gemeinsame Fortbildungen?
Mrazek: Das streben wir an. Es gibt aber ein paar kleine Hindernisse bei der gegenseitigen Anerkennung. Wir haben damit weniger Probleme. Die Fortbildungsordnung der Ärztekammern besagt dagegen, dass nur Fortbildungen anerkannt werden können, die ärztlich geleitet sind. Das ist ein großes Hindernis auf dem gemeinsamem Weg. Ich hoffe, dass die Ärztekammern so zukunftsorientiert sind, dass sie das ändern werden.
Bekommt die OPK Anfragen von Psychotherapeuten aus Osteuropa, die in Deutschland arbeiten möchten? Oder auch umgekehrt?
Mrazek: Ja, es häufen sich Anfragen, entweder von ausländischen Kollegen, die in Deutschland arbeiten wollen, oder von Kollegen, die im Ausland arbeiten wollen und ihre Approbation dort anerkennen lassen wollen. Aber für Psychotherapeuten ist es sehr schwierig, weil die Zugangsvoraussetzungen in den Ländern der Europäischen Union sehr unterschiedlich sind. Ein Psychotherapeutengesetz wie unseres hat sonst kein Land. Für die jüngere Generation, die bessere Sprachkenntnisse hat, ist es kein Problem, auch mal woanders psychotherapeutisch zu arbeiten. Dafür sollte man auf jeden Fall eine vernünftige Regelung finden.
Was heißt das konkret?
Mrazek: Die Psychotherapeutenkammern möchten EU-weit einen Schutz für die deutsche Regelung durchsetzen. Wer hier arbeiten will, sollte unsere Bedingungen anerkennen, also Leistungen nach den Bedingungen des Arbeitslandes erbringen, nicht nach denen des Herkunftslandes. Irgendwann müsste man dann vorsichtig gegenseitige Vereinbarungen abschließen. Wir können nicht erwarten, dass sich ganz Europa unserem Standard anschließt. Man braucht eine ausgewogene Lösung. Schließlich brauchen wir zunehmend fremdsprachige Psychotherapeuten, die Patienten in deren Muttersprache behandeln können. Das ist ein Thema der Zukunft.
Das Gespräch führte Petra Bühring.
Weitere Informationen im Internet:
www.ihre-opk.de
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