ArchivDeutsches Ärzteblatt37/2007Europäischer Kardiologenkongress: Prävention ist nicht (nur) Privatsache

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Europäischer Kardiologenkongress: Prävention ist nicht (nur) Privatsache

Zylka-Menhorn, Vera

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LNSLNS Obwohl immer mehr Arzneimittel verschrieben werden, verbessert sich das Risikoprofil der meisten Herzkranken nicht. Kardiologen sprechen sich für die Ausweitung von Präventionsprogrammen und die Einrichtung von „Präventionszentren“ aus.

Wer glaubt, dass Herzpatienten im letzten Jahrzehnt trotz umfangreicher und anspruchsvoller Arzneimitteltherapie gesünder und gesundheitsbewusster geworden sind, der unterliegt einer massiven Täuschung. Das Gegenteil ist der Fall: Mit Ausnahme der Cholesterinwerte hat sich das kardiovaskuläre Risikoprofil (Zigarettenkonsum, Übergewicht, Bluthochdruck, Diabetes mellitus) der europäischen Bevölkerung innerhalb von zwölf Jahren so massiv verschlechtert, dass man eigentlich von einer „Bankrotterklärung“ der Sekundärprävention sprechen möchte. Entsprechend enttäuscht reagierte die Fachwelt auf die Vorstellung der Ergebnisse von EUROASPIRE* III anlässlich des Europäischen Kardiologenkongresses in Wien.
EUROASPIRE ist ein Programm, mit dem die „klinische Wirklichkeit der Koronarprävention in Europa“ erfasst werden soll. Zu diesem Zweck wurden in den Jahren 1995 (I), 2000 (II) und 2006 (III) mehr als 8 547 Koronarpatienten aus acht europäischen Ländern (Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, Niederlande, Slowenien, Tschechien und Ungarn) interviewt. Bei den Befragten handelte es sich um Patienten entweder mit akutem Koronarsyndrom oder nach Revaskularisation (Bypassoperation oder perkutane transluminale koronare Angioplastie).
Sie wurden ausführlich zu Gefäßerkrankungen und Risikofaktoren, Lebensweise, Motivation zur Änderung des Lebensstils, Lebensqualität und aktueller Medikamenten-Einnahme befragt. Danach wurde ein individuelles Risikoprofil erstellt und überprüft, ob eventuelle Risikofaktoren adäquat behandelt werden. Die Studie gilt als ein klassisches Beispiel für hochkarätige Versorgungsforschung in Europa, entsprechend gespannt erwartete man in Wien die Präsentation der aktuellen Daten. Und diese waren zwiespältig.
Was die Kardiologen als Erfolg für ihre Fachrichtung werten, ist eine deutliche Verbesserung der medikamentösen Therapie ihrer Patienten im Sinne der Leitlinien seit 1995. Damals erhielten in Deutschland nur 43,6 Prozent der Patienten Betablocker, heute sind es 85 Prozent. Die Verordnung von ACE-Hemmern/AT-II-Blockern stieg von 31,4 auf 72,8 Prozent. Auch Diuretika werden häufiger verordnet. Den größten Zuwachs innerhalb von zwölf Jahren verzeichnen jedoch die Statine; ihr Anteil stieg von 31,1 auf 85,4 Prozent.
Was hat die verbesserte
Arzneimitteltherapie genützt?
Die therapeutische Kontrolle des Blutdrucks hat sich seit 1995 nicht verbessert – noch ist jeder zweite Patient hyperton. Die Diabetes-Prävalenz hat sich im Untersuchungszeitraum in Deutschland fast verdoppelt (1995: 13,5 Prozent, heute: 22,6 Prozent). Trotz Nichtraucherkampagnen und kardialer Vorschädigung hat sich die Anzahl der Raucher unter den Patienten nicht verringert, rund ein Fünftel kann nicht von der Zigarette lassen. Auch das Körpergewicht stieg im Untersuchungszeitraum stetig an, sodass zuletzt vier von fünf Patienten übergewichtig (BMI > 25) und mehr als ein Drittel sogar fettleibig (BMI > 30) waren.
In Wien suchten die Kardiologen nach Lösungen für die Entwicklungen. Herzpatienten scheinen ihr Arzneimittelrezept als eine Art „Ablassschein“ zu betrachten, um weiter „sündigen“ zu können. „Die Bevölkerung zieht die Einnahme von Tabletten einer unbequemen Änderung des gewohnten Lebensstils vor“, sagte Prof. Dr. med. Philip Poole-Wilson (London).
Durch Prävention die
Krankheit verstehen lernen
„Patienten benötigen professionelle Unterstützung, um ihren Lebensstil zu ändern und ihre Risikofaktoren wirksam zu managen. Ihnen einfach ein Rezept in die Hand zu drücken, genügt nicht“, warnte Prof. David Wood (London): „Patienten müssen die Art ihrer Krankeit verstehen. Das kann nur durch umfassende Präventions- und Rehabilitationsprogramme geschehen, wie sie etwa in der ,Europäischen Charta für Herzgesundheit‘ vorgesehen sind.“ Prof. Dr. med. Hugo Saner (Bern/Olten) sprach sich für die Einrichtung von eigenen Präventionszentren an Kliniken aus.
Gute Fortschritte erzielte man – dank der Statine in den vergangenen Jahren – lediglich bei der Korrektur pathologischer Blutfettwerte. Lagen die Gesamtcholesterin-Werte 1995 bei 94,3 Prozent der KHK-Patienten über dem Leitlinien-Ziel, sind es heute nur noch 49,4 Prozent. Ein ähnliches Bild bot sich beim LDL-Cholesterin (96,8 respektive 54,2 Prozent). Allerdings könnte diese positive Statistik schon bald getrübt werden, denn in Wien erörterte man eine weitere Senkung der Zielwerte von 100 mg/dl auf 70 mg/dl nach amerikanischem Vorbild.
Dr. med. Vera Zylka-Menhorn

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