THEMEN DER ZEIT
Organspende im Krankenhaus: Abschied von Mythen


Fotos: ddp
Wenn über das Thema Organspende diskutiert wird, kommt regelmäßig der Hinweis, dass die Zahlen postmortaler Organspender in verschiedenen Kliniken und Regionen in Deutschland stark voneinander abweichen. Die Einflussfaktoren für das Organspendeaufkommen waren bisher aber nur teilweise bekannt. Sie wurden zudem nie flächendeckend erhoben und analysiert. Vor diesem Hintergrund hat das Deutsche Krankenhausinstitut (DKI) im Auftrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) die Organspendesituation in deutschen Krankenhäusern untersucht (DÄ, Heft 23/2007). An der schriftlichen Repräsentativbefragung beteiligten sich rund 650 Intensivstationen aus fast 500 Krankenhäusern.
Unterschiede der Spenderzahlen sind statistisch maßgeblich durch strukturelle Faktoren erklärbar. Das Spenderaufkommen in einer Region ist umso höher, je mehr neurochirurgische Betten und Beatmungsplätze pro Million Einwohner es gibt beziehungsweise je höher der Anteil an Krankenhäusern mit mehr als 800 Betten ist. Des Weiteren nehmen die Spenderzahlen pro Krankenhaus mit zunehmenden Beatmungskapazitäten zu, ebenso dann, wenn eine neurochirurgische Fachabteilung/neurochirurgische Intensivbetten vorhanden sind.
So stammt rund die Hälfte der Organspender aus Krankenhäusern mit mehr als 800 Betten. 70 Prozent aller Organspender kommen aus Häusern mit mehr als 500 Betten, obwohl letztere weniger als 20 Prozent der Häuser mit Intensivbetten stellen. Die überragende Bedeutung der Krankenhausgröße und -struktur für das Spenderaufkommen wird somit nachdrücklich unterstrichen. Die Unterschiede in den Spenderzahlen zwischen verschiedenen Regionen, Krankenhäusern und Intensivstationen werden demzufolge weitgehend nivelliert, wenn man die entsprechenden Struktureffekte berücksichtigt.
An Appellen mangelt es nicht
Auf den weitaus meisten Intensivstationen (88 Prozent) ist die Spenderidentifikation aufgrund der vorhandenen Kapazitäten grundsätzlich oder in der Regel gewährleistet. Die Mehrzahl vor allem der kleineren Krankenhäuser nimmt dagegen die Unterstützung externer Konsiliarärzte für die Hirntodfeststellung in Anspruch. Die Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung der Homöostase sind jederzeit nahezu flächendeckend vorhanden (97 Prozent).
Prinzipiell wird die Organspende von den Mitarbeitern in Krankenhäusern und auf Intensivstationen unterstützt. Die große Mehrzahl der Einrichtungen verweist auf schriftliche oder mündliche Appelle vonseiten der Krankenhausleitung (60 Prozent) oder der ärztlichen Leitung der Intensivstationen (83 Prozent), die Organspende zu unterstützen. Schriftliche Standards für die verschiedenen Sequenzen des Spendeprozesses liegen vielfach vor (bis zu 80 Prozent). Überdies haben der Studie zufolge auf den meisten der Intensivstationen (77 Prozent) mehrere Mitarbeiter an einer einschlägigen Fortbildung teilgenommen. Auf den meisten Stationen (insgesamt 93 Prozent) gibt es zudem eine oder mehrere Maßnahmen, die das Ziel verfolgen, die Organspende zu fördern. Dazu zählen zum Beispiel Beratung und Information von Mitarbeitern, Erstellung von Informationsmaterial, Einsichtnahme in Krankenakten und Informationsgespräche mit Transplantationsbeauftragten.
Mit den Angehörigen sprechen zumeist erfahrene Ärzte, etwa die ärztliche Leitung beziehungsweise Fach- oder Oberärzte der Intensivstation (92 Prozent). Weitere Berufsgruppen werden hingegen eher bei Bedarf hinzugezogen. Wenn speziell dafür geschultes Personal auf den Intensivstationen arbeitet, führt dies nicht zu höheren Spenderzahlen. Das Krankenhauspersonal führt insofern das Angehörigengespräch grundsätzlich ergebnisoffen und genügt somit den gesetzlichen Anforderungen.
Transplantationsbeauftragte erhöhen Spendenzahl nicht
Eine deutliche Mehrzahl der Krankenhäuser (rund 75 Prozent) verfügt über einen Transplantationsbeauftragten. Die Ergebnisse belegen somit, dass die Krankenhäuser auch ohne landesrechtliche Vorgabe entsprechende Funktionen schaffen. Die Benennung eines Transplantationsbeauftragten hat statistisch betrachtet aber keine nennenswerten Effekte auf das Spenderaufkommen: Weder haben Krankenhäuser mit Transplantationsbeauftragten höhere Spenderzahlen noch fällt das Spendervolumen in Ländern mit diesbezüglichen landesrechtlichen Vorgaben höher aus. Auch die Position und Qualifikation des Transplantationsbeauftragten, sein zeitlicher Aufwand und seine Kompetenzen haben keine relevanten Effekte.
Die Unterstützungsleistungen der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) treffen in den Krankenhäusern bislang auf eine hohe Akzeptanz. Mit Blick auf die Spenderkonditionierung, die Hirntodfeststellung sowie die Vorbereitung und Koordination der Organentnahme wird von einer guten Zusammenarbeit berichtet. Die Wartezeiten etwa auf den angeforderten DSO-Koordinator, auf externe Konsiliarärzte oder das Entnahmeteam werden weitgehend als akzeptabel betrachtet. Gelegentliche Probleme resultieren vor allem aus einer mangelhaften Abstimmung mit den Krankenhausärzten sowie Störungen der Betriebsabläufe.
Rund die Hälfte der befragten Einrichtungen betrachtet die Aufwandspauschalen für die Organspende in den Spenderkrankenhäusern als in etwa kostendeckend. Je länger der Spendeprozess dauert, je mehr Zusatzleistungen das Krankenhaus erbringt und je mehr Mitarbeiter involviert sind, desto fraglicher ist allerdings der Kostendeckungsgrad der Pauschalen insgesamt. Allerdings ist nur eine Minderheit (acht Prozent) der Kliniken der Auffassung, dass durch monetäre Instrumente und Anreize für die Krankenhäuser das Spendervolumen nennenswert gesteigert werden könnte.
Mehr Spender gewinnen
und nicht
etwa den Druck auf
die Krankenhäuser
erhöhen – dafür
plädiert die Deutsche
Krankenhausgesellschaft
angesichts
der Studie.
Das Potenzial an postmortalen Organspenden bildet insofern keine objektive oder quasistatische Größe. Vielmehr ist es eine variable Größe, die entscheidend vom Versorgungssystem und seiner Ausgestaltung beeinflusst ist. Die Versorgungsstrukturen bestimmen maßgeblich, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein Patient zum Organspender wird oder nicht. Solange dieser Zusammenhang ignoriert wird, sind Analysen über ein erreichbares Spenderaufkommen sowie nationale oder internationale Vergleiche von Spenderraten von eher begrenztem Erkenntniswert.
Optimierungspotenziale im Krankenhaus gibt es teilweise allerdings auch. So ließen sich Behandlungspfade oder schriftliche Standards zur Organspende noch weiter verbreiten. Einschlägige Fortbildungen könnten häufiger angeboten werden. Auch andere aktivierende Maßnahmen oder die Unterstützung durch die Geschäftsführung und die ärztliche Leitung von Intensivstationen ließen sich noch ausbauen. Bei entsprechender Zielorientierung sollten diese Maßnahmen dazu beitragen, die Problemsensibilität des Intensivpersonals und seine fachlichen Kompetenzen noch weiter zu erhöhen.
Zur Förderung des Spenderaufkommens sind nicht zuletzt weitergehende Anstrengungen und politische Maßnahmen empfehlenswert, zum Beispiel breite Aufklärungskampagnen, die Einführung der Widerspruchslösung, die Einrichtung eines zentralen Organspenderegisters oder die dokumentierte eigene Spendebereitschaft als ein Zuteilungskriterium für die Organspende. Die Organspende ist mithin eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, für welche die Politik zuträgliche Rahmenbedingungen zu schaffen hat.
Dr. Karl Blum
Die DKI-Studie zur Organspende ist als Download verfügbar unter www.dki.de
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