ArchivDeutsches Ärzteblatt37/2007Filmkritik: Wunsch und Wirklichkeit

KULTUR

Filmkritik: Wunsch und Wirklichkeit

Osterloh, Falk

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Nina Hoss, bei der Berlinale für ihre Rolle mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet, spielt Yella ebenso eindringlich wie empfindsam. Foto: Hans Fromm
Nina Hoss, bei der Berlinale für ihre Rolle mit dem Silbernen Bären ausgezeichnet, spielt Yella ebenso eindringlich wie empfindsam. Foto: Hans Fromm
In „Yella“ und „Schwesterherz“ begeben sich zwei starke Frauen auf die Suche nach einem besseren Leben – und nach sich selbst.

Die Sehnsucht scheint mir die einzige ehrliche Eigenschaft des Menschen“, schrieb im vorigen Jahrhundert der Philosoph Ernst Bloch. In deutschen Kinos sind ab diesen Monat die herausragend inszenierten Porträts zweier Frauen Anfang 30 zu sehen, die von der verzweifelten Sehnsucht getrieben werden nach einem Leben ohne gesellschaftliche Kompromisse, ohne äußere Zwänge. Eine Utopie?
Yella ist gefangen. Ihr Leben hat sie in der brandenburgischen Provinz verbracht, als Buchhalterin in der Firma ihres jähzornigen Mannes Ben. Yella bricht aus. Sie wagt den Schritt, zieht in den Westen. Mit Philipp lernt sie einen aufmerksamen, zielstrebigen Geschäftsmann kennen, der ihr die aufregende Welt des Private Equity enthüllt, Leben am Puls des modernen Kapitalismus. Und plötzlich sitzt sie in verglasten Büroräumen, fährt in teuren Dienstwagen, führt Verhandlungen. In dieser Welt mit Philipp fühlt sie sich wohl, ihr Mut wurde belohnt, sie ist am Ziel ihrer Sehnsüchte. Doch allmählich bekommt ihre neue Existenz Risse, Geister der Vergangenheit suchen sie auf, und Yella ahnt, dass sich ein schreckliches Geheimnis hinter ihrem neu gefundenen Glück verbirgt.
„Yella“ ist kein gewöhnlicher Film. Präzise inszeniert Regisseur Christian Petzold den Lebenstraum einer jungen Frau, einen Traum, den sie mit vielen ihrer Altersgenossinnen teilt: Erfolg im Beruf, Glück mit einem gleichberechtigten Partner. Nina Hoss, bei der Berlinale für ihre Rolle mit einem Silbernen Bären ausgezeichnet, spielt Yella ebenso eindringlich wie empfindsam. Mit drei der zurzeit besten Schauspieler Deutschlands und einem pointierten Drehbuch wird aus „Yella“ ein universelles Psychogramm, das Sehnsüchte und Ängste behutsam zusammenfügt.
Foto: NFP
Foto: NFP
Im Gegensatz zu Yella lebt Anna bereits den Traum vieler junger Frauen. Sie arbeitet als Musikproduzentin, lebt zusammen mit dem gut aussehenden Philip in einem durchgestylten Apartment in Berlin. Tagsüber findet sie die neuen Popstars der Nation, abends warten Partys und Tequila. Doch der alltägliche Druck hat Anna zu einer nervösen, unzufriedenen Frau werden lassen. Bei einem gemeinsamen Urlaub mit ihrer 15 Jahre jüngeren Schwester in den Bettenburgen des spanischen Benidorm wird ihr bewusst, was aus ihrem Leben, was aus ihr geworden ist. Als sie verzweifelt versucht, sich an ihrer Vorstellung eines glücklichen Lebens festzuklammern, ist das Unglück nicht mehr aufzuhalten.
Zu dem Film „Schwesterherz“ hat die Schauspielerin Heike Makatsch erstmals in ihrer Karriere – zusammen mit der Journalistin Johanna Adorjan – ein Drehbuch verfasst und damit gleich eine bemerkenswerte Figur geschaffen, in der sich die Lebensängste einer Frauengeneration kondensieren, die den Spagat zwischen eigener Familie und Erfolg im Beruf schaffen will und dabei aufgerieben wird zwischen gesellschaftlichem Druck und den persönlichen Sehnsüchten. In kunstvoll arrangierten Bildern macht Regisseur Ed Herzog die Einsamkeit von Annas Welt deutlich, in der straffe Haut und Champagner als Platzhalter für ein erfülltes Leben versagen.
Leben ohne gesellschaftliche Kompromisse, ohne äußere Zwänge: eine Utopie? Zumindest auch – und gerade – im 21. Jahrhundert ein Traum, für den man kämpfen muss, für den es sich aber auch zu kämpfen lohnt.
Falk Osterloh

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