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Raus aus dem Hamsterrad: Wenn Ärzte eine Auszeit nehmen


Foto: Eberhard Hahne
Ärzte identifizieren sich sehr mit ihrem Beruf und fühlen sich für die Patienten verantwortlich. Dabei spielen Begriffe wie Pflichterfüllung und ethische Verpflichtung eine wichtige Rolle. Vielleicht gerade deswegen leiden Ärzte häufig unter Stress und Überarbeitung; sie fühlen sich ausgebrannt oder wie der berüchtigte Hamster im Käfig. In dieser Situation denken einige daran, eine Auszeit zu nehmen: ein Ruhejahr oder ein Sabbatical, in dem verschüttete Qualitäten wie Kreativität und Motivationskraft neu aufgebaut werden können.
Ein Sabbatical nehmen? Geht das überhaupt? Immerhin dauert ein Sabbatical drei bis zwölf Monate. Hinzu kommt: Wer als Arzt davon redet, eine Auszeit zu nehmen, hat in der Leistungsgesellschaft mit Vorurteilen zu kämpfen. Ein längerer Freizeitblock wird mit Müßiggang gleichgesetzt: Wer „Langzeiturlaub“ nimmt, gilt als nicht fleißig, kaum belastbar und ziellos. So ist es kein Wunder, dass die Möglichkeit einer Auszeit in den Heilberufen kaum institutionalisiert ist. Nur in wenigen Krankenhäusern gibt es die Möglichkeit, etwa über Arbeitszeitkonten Zeit anzusparen, um sie für das Ruhejahr einzusetzen. Bei niedergelassenen Ärzten ist das Hauptproblem, einen geeigneten Stellvertreter zu finden. Denn der Albtraum des freiberuflichen Sabbaticalers ist, nach der Rückkehr vor Praxistüren zu stehen, die sich für Patienten nie wieder öffnen werden.
Erweiterung des
eigenen Horizonts
– knapp ein Jahr
reiste der Autor
durch vier Kontinente.
Das Foto zeigt
die Chinesische
Mauer.
Persönliche Weiterentwicklung, bereichernde Begegnungen mit anderen Menschen, neue Erkenntnisse sammeln, die Welt sehen – das waren meine wichtigsten Beweggründe dafür, knapp ein Jahr lang durch vier Kontinente zu reisen. Mein Trainingsinstitut, ich bin Unternehmer und leite ein international tätiges Verkaufstrainingsinstitut in Wien, wusste ich in der Zeit in den professionellen Händen mehrerer Geschäftspartner.
Ärzte, die den Mut finden, das Sabbatical zu nehmen und vor allem die Möglichkeit dazu haben, sind nach Prof. Dr. Hans-Werner Stahl, Leiter des Europäischen Studienprogramms für Betriebswirtschaft an der Fachhochschule Reutlingen, keine beruflich Frustrierten, sondern mutige Avantgardisten, die die Balance suchen.
Unumgänglich ist es, die Auszeit genau zu planen. Das beginnt bei der Überlegung, warum ein Arzt diese weitreichende Entscheidung fällt. Die Konsequenzen wollen genau bedacht sein, so zum Beispiel der organisatorische Aufwand und die finanzielle Planung. Bei freiberuflichen Ärzten, die nicht in einer Gemeinschaftspraxis tätig sind, bietet es sich an, eine Ärztin oder einen Arzt als Stellvertreter zu gewinnen, der sich im baldigen oder frühen Pensionsalter befindet. Von dieser Alternative berichtet Prof. Dr. Gian A. Melcher, Chefarzt der Chirurgischen Klinik am Spital Ulster in der Schweiz. Bei angestellten Ärzten ist die intensive Vorbereitungszeit auch deswegen notwendig, um gegenüber der Krankenhausleitung den Wunsch nach der Auszeit stichhaltig begründen zu können. Der Arzt sollte einen Plan erarbeiten, wie seine Arbeit während seiner Abwesenheit aufgefangen werden kann. Schließlich steht die zeitliche und finanzielle Planung an. Es muss ja nicht immer gleich ein Ruhejahr sein, vielleicht genügt ein Ruhequartal den Ansprüchen des auszeitwilligen Arztes. Ich persönlich habe mir für mein Ruhejahr zudem eine Art Business- und Budgetplan aufgestellt.
In Alaska hat man
Zeit und Muße, über
Dinge nachzudenken,
wofür im hektischen
Klinik- oder
Praxisalltag keine
Zeit bleibt. Fotos: Heinz Feldmann
Klar ist, dass die Realisierung eines Ruhejahrs viel Kreativität und das wohlwollende Entgegenkommen aller Beteiligten voraussetzt. Fakt ist aber auch, dass Menschen, die ein Sabbatical gewagt haben, durchweg von positiven Erfahrungen berichten. Die Motivation und Horizonterweiterung für das wieder aufgenommene Berufsleben, die Ausbalancierung der verschiedenen Lebensbereiche, die gesundheitlichen Aspekte und vor allem die neue Perspektive, unter der man Leben, Beruf und Privatleben nach einem Ruhejahr betrachtet, stellen Vorteile dar, die die Nachteile aufwiegen. Das gilt auch für Praxis und Klinik. Der „Ruheständler“ hat die Zeit und Muße, über Dinge nachzudenken, wofür im hektischen Klinik- oder Praxisalltag keine Zeit bleibt: Ein Ruhejahr ist die Zeit der Selbstreflexion, der Selbsterkenntnis, des Blicks in den Spiegel, der persönlichen Weiterentwicklung und der Begegnung mit dem eigenen Ich.
Heinz Feldmann
Informationen zur Auszeit des Autors unter www.ruhejahr.com
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