ArchivDeutsches Ärzteblatt38/2007Patente auf embryonale Stammzellen: „Präzedenzfall für Deutschland“

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Patente auf embryonale Stammzellen: „Präzedenzfall für Deutschland“

Klinkhammer, Gisela

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Die Organisation Greenpeace demonstrierte immer wieder, wie hier vor dem Europäischen Patentamt, gegen die Patente auf Gene und Lebewesen. Foto: dpa
Die Organisation Greenpeace demonstrierte immer wieder, wie hier vor dem Europäischen Patentamt, gegen die Patente auf Gene und Lebewesen. Foto: dpa
Die Entscheidung des Bundespatentgerichts, mit der ein Stammzellpatent für teilweise nichtig erklärt wurde, führt zu einer kontroversen Diskussion.

Eine Kontroverse um embryonale Stammzellen wurde im letzten Jahr durch eine Entscheidung des Bundespatentgerichts ausgelöst. Das Gericht hatte ein Stammzellpatent des Bonner Neurowissenschaftlers Prof. Dr. med. Oliver Brüstle teilweise für nichtig erklärt. Dr. Ingrid Schneider vom Forschungsschwerpunkt Biotechnologie, Gesellschaft und Umwelt der Universität Hamburg bezeichnete die Entscheidung über das Brüstle-Patent als einen „Präzedenzfall für Deutschland“, und nach wie vor beschäftigen sich unter anderem Patentrechtler mit dieser Thematik.
Zur Vorgeschichte: Das Bundespatentgericht in München hatte am 5. Dezember 2006 das umstrittene Patent teilweise für nichtig erklärt, „soweit dieses Zellen und die Herstellung von Zellen umfasst, die aus embryonalen Stammzellen von menschlichen Embryonen gewonnen werden“ (Az.: 3 Ni 42/04). Es folgte damit zum Teil einem Antrag der Organisation Greenpeace. Greenpeace sei, wie Dr. med. vet. Christoph Then, Gentechnik- und Patentexperte der Umweltschutzorganisation, auf einem Symposium Ende Mai in Berlin erläuterte, „aus ethischen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Gründen gegen Patente auf Lebewesen und Gene“. Die Organisation habe deswegen verschiedene Einsprüche gegen die Patentierung menschlicher Embryonen und aus ihnen gewonnenen Stammzellen eingelegt, unter anderem gegen die Entscheidung
des Bundespatentgerichts im Fall Brüstle.
Dieses Urteil ignoriert laut Brüstle das Stammzellgesetz und die damit verbundenen ethischen Abwägungen des Gesetzgebers, wonach die Entwicklung von Therapieverfahren auf der Grundlage humaner embryonaler Stammzellen explizit ermöglicht wurde. Das Gericht sieht das allerdings anders. „Mit dem grundsätzlichen Verbot der Einfuhr und Verwendung von menschlichen embryonalen Stammzellen hält der Gesetzgeber an dem hohen Schutzniveau des Embryonenschutzgesetzes ausdrücklich und uneingeschränkt fest“, heißt es in dem Urteil. Eine Ausnahme bestehe allerdings hinsichtlich solcher embryonaler Stammzellen beziehungsweise Stammzelllinien, die im Herkunftsland schon vor dem 1. Januar 2002 gewonnen worden seien, die Vernichtung der hierfür erforderlichen Embryonen war also bereits eine vollendete Tatsache. Diese Regelung beruhe auf der Erwägung, so das Urteil, dass embryonale Stammzellen keine Embryonen seien und dem vorbehaltlos garantierten Grundrecht der Freiheit von Wissenschaft und Forschung somit auch keine unmittelbar kollidierenden Grundrechte von Embryonen gegenüberstünden.
Das Gesetz habe also eine Abwägung zwischen der Menschenwürde und dem Leben des Embryos einerseits und dem Recht auf Leben möglicher Patienten und der Freiheit der Forschung andererseits getroffen, sagte die Münchener Patentrechtlerin Clara Sattler de Sousa e Brito vom Max-Planck-Institut für Geistiges Eigentum, Wettbewerbs- und Steuerrecht in München dem Deutschen Ärzteblatt. Aufgrund dieser Abwägung habe das Stammzellgesetz die Verwendung embryonaler Stammzellen zur Erweiterung medizinischer Kenntnisse bei der Entwicklung diagnostischer, präventiver oder therapeutischer Verfahren erlaubt. Deshalb sollte nach Ansicht Sattlers das Patent erteilt werden dürfen.
Ein weiterer Punkt, warum Sattler sich für eine Erteilung des Patents ausspricht, ist, dass ihrer Ansicht nach die neuronalen Vorläuferzellen, die Brüstle nach Deutschland importiert habe, ethisch völlig unproblematisch seien. „Da sie nicht totipotent sind, können sie nichts, was ethisch kritisch wäre, und nichts, was irgendwie im Konflikt mit dem Embryonen- oder Stammzellgesetz stehen könnte. Und deswegen darf man ihre Patentierung in Deutschland nicht verbieten – auch nicht nach internationalem Recht.“ So hält Sattler die Erteilung für vereinbar mit dem Übereinkommen über handelsbezogene Aspekte der Rechte des geistigen Eigentums (Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights, TRIPS), einer internationalen Vereinbarung auf dem Gebiet der Immaterialgüterrechte. Danach müssen Patente auf allen technischen Gebieten bewilligt werden. Davon können jedoch Ausnahmen gemacht werden. So könnten die Mitgliedstaaten, so Sattler, Erfindungen von der Patentierbarkeit ausschließen, wenn die gewerbliche Verwertung gegen die öffentliche Ordnung und die guten Sitten verstoße, wofür Deutschland sich entschieden habe. Wenn aber eine kommerzielle Verwertung erlaubt sei, wie bei den ihrer Ansicht nach ethisch unbedenklichen neuronalen Vorläuferzellen, die Brüstle in seinem Patent beanspruche, dürfe im Umkehrschluss auch kein Patentierungsverbot ausgesprochen werden.
Das Gericht war dagegen der Ansicht, dass „die erfindungsgemäßen neuronalen Vorläuferzellen auch aus embryonalen Stammzellen vom Menschen erhalten werden könnten“. Die Gewinnung von embryonalen Stammzellen durch Entnahme aus der inneren Zellmasse eines Embryos führe zwangsläufig zu dessen Vernichtung. Die Vernichtung menschlicher Embryonen zu gewerblichen und damit kommerziellen Zwecken, die von dem Gegenstand des Streitpatents somit auch umfasst sei, verstoße gegen die dem menschlichen Embryo bereits mit der Verschmelzung von Ei und Samenzelle zukommende Menschenwürde und sein Recht auf Leben.
Oliver Brüstle hat Widerspruch gegen die Entscheidung des Bundespatentgerichts eingelegt. Foto: Caro
Oliver Brüstle hat Widerspruch gegen die Entscheidung des Bundespatentgerichts eingelegt. Foto: Caro
Sattler hält das im Lichte des Stammzellgesetzes für nicht vertretbar, da der Gesetzgeber in § 4 Abs. 3 des Stammzellgesetzes eindeutig festgestellt habe, dass für die Stichtagsstammzellen zur Beurteilung eines Verstoßes gegen die tragenden Grundsätze der deutschen Rechtsordnung, also den Ordre public in Deutschland, nicht auf die vorgelagerte Gewinnung aus menschlichen Embryonen abgestellt werden könne. „Daraus wird erkennbar, dass der Gesetzgeber den in der Vergangenheit liegenden Embryonenverbrauch gerade nicht als Verstoß gegen die tragenden Grundsätze der deutschen Rechtsordnung wertet, also im Embryonenverbrauch, anders als das Gericht im vorliegenden Fall, nicht per se eine Menschenwürdeverletzung sieht.“
Die EU-Biopatentrichtlinie, deren Umsetzung im Jahr 2003 beschlossen wurde, verdeutlicht die ethischen Grenzen der Patentierbarkeit. Nach Artikel 5 dieser Richtlinie „können der menschliche Körper in den einzelnen Phasen seiner Entstehung und Entwicklung sowie die bloße Entdeckung eines seiner Bestandteile, einschließlich der Sequenz oder Teilsequenz eines Gens, keine patentierbaren Erfindungen darstellen“. Erfindungen, deren gewerbliche Anwendung gegen die öffentliche Ordnung oder guten Sitten verstoßen würden, seien von der Patentierbarkeit ausgenommen. Als nicht patentierbar gilt nach Artikel 6 auch die „Verwendung von menschlichen Embryonen zu industriellen oder kommerziellen Zwecken“. Vor dem Europäischen Patentamt sei eine Entscheidung ebenfalls noch anhängig, berichtete Sattler. Sie hält es allerdings für „zumindest problematisch“, dass dieser Artikel 6 in § 2 Art. 2 des deutschen Patentgesetzes in Deutschland Anbindung an das sehr restriktive Embryonenschutzgesetz gefunden habe, da die Spannbreite der Regelungen zum Embryonenschutzgesetz im europäischen Vergleich enorm und ein Großteil der anderen europäischen Rechtsordnungen deutlich liberaler als die deutsche Rechtsordnung einzustufen seien.
Schutz des Embryos
Brüstle hat beim Bundesgerichtshof Widerspruch gegen die Entscheidung des Bundespatentgerichts eingelegt. Sattler vermutet, dass es zwischen zwei und vier Jahren dauern kann, bis es zu einem Verfahren kommt. Sie hofft jedoch, „dass es bis zu diesem Zeitpunkt zu einer Änderung des Stammzellgesetzes kommt“. Zumindest eine Aufhebung der Stichtagsregelung hält die Patentrechtlerin für wünschenswert. Ihrer Ansicht nach würde damit auch der Schutz des Embryos nicht aufgehoben: „Aufgrund des Embryonenschutzgesetzes dürfen auch weiterhin keine Stammzelllinien in Deutschland erzeugt werden, und eine Beteiligung an der Zerstörung von Embryonen bleibt auch weiterhin strafbar.“
„Ein Schlag ins Gesicht“
Then dagegen befürchtet, dass „politische und Wirtschaftskreise direkt und indirekt versuchen, die Entscheidung des Bundesgerichtshofs zu beeinflussen. Wir sehen das etwa am Bundesjustizministerium. Wir hatten Frau Zypries aufgefordert, selbst Einspruch einzulegen. Damals hieß es, man könne sich nicht um Einzelfälle kümmern. Jetzt aber, da das Bundespatentgericht gegen Brüstles Patent entschieden hat, gibt es im Ministerium eine Arbeitsgruppe, die versucht, eine Stellungnahme der Bundesregierung zu formulieren. Offenbar passt der Ministerin das Gerichtsurteil nicht ins Konzept.“
Brüstle selbst drückte sein Unverständnis darüber aus, dass „wir Wissenschaftler auf der einen Seite vom Bundesministerium für Forschung und Bildung und anderen Forschungsförderquellen finanzielle Unterstützung für die Patentierung erhalten, auf der anderen Seite das so generierte geistige Eigentum am Ende zerstört wird.“ Das könne dazu führen, dass von deutschen Wissenschaftlern gemachte Erfindungen von ausländischen Unternehmen aufgegriffen und hierzulande ohne Entschädigung des Erfinders verwertet werden könnten – „ein Schlag ins Gesicht“ derjenigen deutschen Wissenschaftler, die versuchen, ihre Forschungsergebnisse auf dem Stammzellsektor in Anwendungen zu überführen. Der Stammzellforscher hofft, dass „es in Deutschland eine Instanz gibt, die dieser Herausforderung gewachsen ist“.
Gisela Klinkhammer

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