ArchivDeutsches Ärzteblatt38/2007Qualitätssicherung: Nach wie vor „nebulöse“ Qualität

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Qualitätssicherung: Nach wie vor „nebulöse“ Qualität

Eberlein-Gonska, Maria

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Messbarkeit von Qualitätsverbesserung erweist sich als ein überaus komplexes Problem. Foto: Peter Wirtz
Messbarkeit von Qualitätsverbesserung erweist sich als ein überaus komplexes Problem. Foto: Peter Wirtz
Wichtig ist, dass die Mitarbeiter im Gesundheitswesen ihr Vertrauen in den leider immer noch abstrakten Begriff des „Qualitätsmanagements“ nicht verlieren.

Die Vorschriften zur Qualitätssicherung nehmen immer mehr zu. Aktuell weiten sie sich in Richtung sektorübergreifender Maßnahmen aus. Im Fokus stehen dabei der Patient und die Qualitätsverbesserung entlang des Behandlungsprozesses. Ein messbarer Erfolg der bislang im Gesundheitswesen geschaffenen Qualitätssicherungs-Strukturen ist bisher nur schwer darstellbar. Auch die für 2006 gesetzlich geforderten Qualitätsberichte werden die darin gesetzten Erwartungen nicht erfüllen.
Es stellt sich die Frage, inwieweit die gegenwärtigen Verfahren überhaupt in der Lage sind, die Qualität und ihre Verbesserung transparent zu reflektieren. Bewertungsverfahren beziehungsweise Zertifizierungen wie auch die externe Qualitätssicherung (zum Beispiel BQS[Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung]-Verfahren) und auch internationale Projekte (zum Beispiel International Quality Indicator Project – IQUIP) konzentrieren sich auf unterschiedliche Indikatoren der Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität und dies in unterschiedlichem Umfang und ausgesprochen heterogener Verteilung. Patienten erwarten in erster Linie eine spürbare Qualität des Umsorgtseins kombiniert mit den erforderlichen Informationen zum jeweiligen Krankheitsbild. Wartezeiten und Fachkompetenz werden eher erfragt und bewertet als beispielsweise Komplikations- oder gar Mortalitätsraten. Die Qualitätsberichte der Krankenhäuser sind nur für wenige Patienten von Interesse, weil sie als Informationsmaterial auch in der jetzt erneut zur Verfügung stehenden Form nicht praktikabel sind.
Für die Interpretation statistischer Ergebnisse gilt, dass unabhängig von der lückenhaften Plausibilität davon auszugehen ist, dass die vermittelten Werte letztendlich empirische Werte sind. Daran ändern auch keine mathematischen Signifikanzberechnungen etwas. Erfahrung in Daten gefasst kann trügerisch sein, und schon Karl Popper forderte, dass ein empirisch-wissenschaftliches System an der Erfahrung scheitern können muss. Folglich stellt sich die Frage, inwieweit die bisherigen Modelle stimmen. Am Beispiel des Brustkrebses und der parallelen Dokumentationssysteme zeigte eine im Jahr 2004 durchgeführte Analyse, dass 285 verschiedene Merkmale erfasst werden. Dies kommt einem „Datenwahn“ gleich, und Aufwand und Nutzen stehen in einem deutlichen Ungleichgewicht. Davon sind nicht nur die großen stationären Einrichtungen betroffen, sondern vor allem kleinere Krankenhäuser der Regelversorgung, die die gestellten Aufgaben zunehmend als reine Pflichterfüllung einschätzen und nur noch „abarbeiten“.
Mithilfe der Diagnosis Related groups (DRGs) sind, entgegen der ursprünglichen Behauptung, generelle Qualitätsnachweise und -vergleiche bezüglich der Versorgungsqualität in Deutschland nicht ohne Weiteres zu belegen. Und die angekündigten und mehrfach eingeforderten Relationen zur Qualität als Begleitforschung stehen noch aus. Nach dem BQS-Report haben lediglich 21 Prozent aller Krankenhäuser das Qualitätsziel in der externen Qualitätssicherung erreicht.
Nach wie vor ist in der Gesamtbetrachtung die Qualität der deutschen Krankenhäuser „nebulös“. Es fehlt vor allem an Prioritäten, die aus der Dokumentationsflut zum transparenten Dokumentationsinhalt führen. Übergreifende Verfahrensänderungen sind dringend angezeigt. Nach § 137 Absatz 1 SGB V in Verbindung mit § 135 a SGB V sind nach einer Vereinbarung des Gemeinsamen Bundesausschusses Leistungsbereiche zu identifizieren, für die Qualitätsverbesserungen erforderlich sind. Einer der Kerngedanken ist dabei unter anderem, dass eine erfolgreiche Therapie der richtigen Diagnose bedarf. Insofern muss auch die Indikationsstellung überprüft werden. Denn wer sich nur am Ergebnis orientiert, ohne die Diagnose zu beleuchten, zäumt das Pferd von hinten auf.
Jüngste Autopsiestudien (Görlitz 2005, 2006) zeigen, dass nur 63 Prozent bis 68 Prozent aller klinischen Diagnosen mit dem Sektionsergebnis übereinstimmen und bis zu 20 Prozent fehlinterpretierte Diagnosen sind. So beträgt der Anteil nicht oder fehlgedeuteter Myokardinfarkte bei Obduktionen rund 30 Prozent bei einer Sektionsfrequenz von immerhin 32 bis 36 Prozent in den Jahren 2005/2006.
Fehlerhafte Dokumentation
Zweifelsohne steckt die medizinische Dokumentation in einem Dilemma zwischen dem notwendigen Erfordernis und den Belastungen zusätzlicher Dokumentationen ohne klare Vorgaben und ohne die Möglichkeit der Vergleichbarkeit anhand von generell festgelegten Kriterien. Das betrifft logischerweise auch das Evaluationsdilemma. Bedenkt man, dass Kontrollen selbst bei standardisierten Vorgaben zum Qualitätsmanagement (QM) (QM-Handbücher bei Zertifizierungen) Mängel von zehn bis 30 Prozent zutage fördern, so ist davon auszugehen, dass auch die Krankenblattdokumentation nach wie vor Fehldokumentationen von zehn Prozent und mehr enthalten muss. Es bleibt bei der Erkenntnis, dass die Beschreibung eines Patienten so gut wie nie absolut korrekt sein kann und damit immer bis zu einem gewissen Grad „unvollständig“ sein muss. Dem ist Rechnung zu tragen. Dabei ordnen Zertifizierungen die Prozesse nach vorgegebenen Regeln mit durchaus messbaren Elementen, doch es bedarf künftig der Maßstäbe unter anderem zur Fehlerprävention und zur Priorisierung der Kernprozesse im Hinblick auf die Ergebnisse.
Mut zur Veränderung
Eine Qualitätssicherung der Qualitätssicherung scheint dringend mit der gebotenen Transparenz angebracht. So haben diese Verfahren vor allem einen positiven Einfluss auf die Prozessqualität und können Störfaktoren beseitigen. Dabei scheint einer der wichtigsten messbaren Qualitätsfaktoren der Zeitfaktor zu sein (insbesondere in der Diagnostik von Histologie, in bildgebender Diagnostik, aber auch bei Wartezeiten). Hinzu kommt der „Zwang“ zur Analyse bei defizitären Zuständen. Inwieweit sie sich letztendlich auf die Ergebnisqualität der Behandlung auswirken, bleibt in den meisten Fällen jedoch offen.
Dass Compliance und Noncompliance Auswirkungen auf die Ergebnisqualität haben und Patienteninterviews wenig geeignet sind, die Ergebnisqualität näher zu beurteilen, ist inzwischen medizinisches Allgemeingut. Qualitätsindikatoren, gekoppelt an solche Verfahren wie Peer Review, sind auf jeden Fall geeigneter, die Qualitätsverbesserung messbar zu beurteilen – und dies auch anhand von Routinedaten. Letzteres zeigt auch das 2002 gestartete Projekt „Qualitätssicherung der stationären Versorgung mit Routinedaten (QSR)“ der AOK in Zusammenarbeit mit den Helios Kliniken.
Hier standen und stehen Auswertungen von aufwandsarmen Routinedaten den in Deutschland geregelten speziellen Datenerhebungen nach § 137 SGB V gegenüber. Sie zeigen durchaus mehr Transparenz, wenn zum Beispiel Leistungsbereiche (Tracer) wie Schlaganfall, Herzinfarkt und andere unter Einsatz von Peer Reviews analysiert werden. Zu berücksichtigen sind dabei auf jeden Fall die Epidemiologie und auf Langfristigkeit angelegte Qualitätsindikatoren nach der Entlassung.
Schließlich braucht es Mut zur Veränderung. Seit Jahren festgeschriebene Items in der externen Qualitätssicherung, wie beispielsweise Thromboseprophylaxe, haben heute für sich allein bei fast 100-prozentiger Praktikabilität nicht mehr den Informationsgehalt für die Qualitätsverbesserung wie vor Jahren. Schließlich muss auch hinterfragt werden, ob Tracer wie die Cholezystektomie in der bestehenden Form weiter wie bisher erfasst werden sollen. Den wenigsten ist bewusst, dass durch die externe Qualitätssicherung jährlich 50 Vollzeitarbeitskräfte und mehr von morgens bis abends nur mit der Dateneingabe beschäftigt sind, und dabei handelt sich zum Großteil um Ärzte.
Was heute im medizinischen Versorgungsbereich an formellen Entwicklungen inhaltlich blasenhaft aufschäumt, hat nicht direkt mit eingeschränkter Finanzierung oder gar mit Nachweisen von Qualitätsverbesserungen gemein. Mehr und mehr beugen sich die Häuser einer Art „politischen Zentralgewalt“, ohne den Mut zu der Entscheidung aufzubringen, dass weniger mehr ist. Gewolltes Gesundheitsmarketing kann bezogen auf die beabsichtigte Qualitätsverbesserung auch zur Gesundheitsarmut werden, wenn nicht Prioritäten mithilfe neuer sektorenübergreifender Verfahren mit vertretbarem Aufwand und Einsatz von Qualitätsmerkmalen gesetzt werden. Denn die vermeintlich einfache Messbarkeit von Qualitätsverbesserung erweist sich als ein überaus komplexes Problem. Insofern erscheint eine pragmatische und zugleich zielorientierte Vorgehensweise empfehlenswert. Wichtig erscheint es, dass die Mitarbeiter im Gesundheitswesen ihr Vertrauen in den leider abstrakten Begriff des „Qualitätsmanagements“ im Hinblick auf eine kontinuierliche Verbesserung der Versorgungsqualität von Patienten nicht verlieren.

Dr. med. Maria Eberlein-Gonska
Leiterin Qualitätsmanagement
Universitätsklinikum Dresden und Vorsitzende
der Gesellschaft für Qualitätsmanagement
in der Gesundheitsversorgung (www.gqmg.de)


* Der Beitrag fasst die Ergebnisse eines vom Ausschuss „Qualitätssicherung in Diagnostik und Therapie“ der Sächsischen Landesärztekammer gemeinsam mit der Gesellschaft Medizinische Kongresse der Euroregion Neiße veranstalteten Symposiums zum Thema „Zur gegenwärtigen messbaren Qualitätsverbesserung in Deutschland“ zusammen. Tagungsort war das Internationale Begegnungszentrum des Klosters St. Marienthal bei Görlitz.

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