ArchivDeutsches Ärzteblatt39/2007Heroinbehandlung bei Opiatabhängigen: Für wenige überlebenswichtig

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Heroinbehandlung bei Opiatabhängigen: Für wenige überlebenswichtig

Bühring, Petra

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LNSLNS Für die Menschen, die von der Heroinbehandlung profitieren würden, ist nicht Abstinenz die Alternative, sondern Verelendung oder Tod. Viele der Junkies, die in den hoch gesicherten Drogenambulanzen das synthetisch hergestellte Heroin, Diamorphin, erhalten, sind seit mehr als 20 Jahren abhängig und oftmals schwer krank: HIV, Hepatitis, schizophrene Psychosen, um nur einige Erkrankungen zu nennen. Auch die Methadonsubstitution hat bei ihnen fehlgeschlagen: Sie suchten trotzdem auf der Straße weiter nach dem nächsten Schuss – vom Beikonsum ganz abgesehen – mit allen Konsequenzen wie Beschaffungskriminalität, Prostitution und verunreinigten Spritzen. Sie können nicht anders. Für diese Schwerstopiatabhängigen ist die Heroinbehandlung die letzte Chance. Und die Modellprojekte, in denen in Form einer klinischen Arzneimittelstudie die Behandlung mit Diamorphin im Vergleich zur Methadonsubstitution überprüft wurde (siehe „Vorurteile überwinden“ in DÄ, Heft 27/2007) zeigten gute Ergebnisse: häufigerer Ausstieg aus der Drogenszene, weniger Kriminalität; einige wurden sogar im Anschluss abstinent und konnten eine Tätigkeit aufnehmen.
Befürchtet wird von CDU/CSU-Politikern und auch von den Spitzenverbänden der Krankenkassen, dass das oberste Ziel der Abstinenz und auch die Methadonsubstitution aus den Augen verloren werden könnten, wenn die Heroinbehandlung in die Regelversorgung überführt würde. Vielleicht sollten sie sich das Elend der Junkies immer wieder vergegenwärtigen. „Methadon erreicht eine gewisse Gruppe nicht, für die ist die Heroinbehandlung eine überlebenswichtige Zusatzoption“, erklärte auch Dr. med. Christoph von Ascheraden für die Bundesärztekammer bei einer Anhörung im Deutschen Bundestag. Diese diente dazu, den Politikern mehr Klarheit bei der Entscheidung über die Einführung der Herointherapie in die Regelversorgung zu verschaffen. Ein Gesetzentwurf der Oppositionsparteien sowie drei Anträge jeweils von Bündnis 90/Die Grünen, Die Linke und der FDP liegen inzwischen vor. Auch der Bundesrat hat jetzt eine Gesetzesinitiative beschlossen.
Aber es gibt weitere Befürchtungen und Bedenken. Die Spitzenverbände der Krankenkassen beispielsweise sorgen sich um das Geld der Versicherten. Bei Kosten von etwa 15 000 Euro pro Jahr käme man bei 10 000 mit Heroin Behandelten auf 150 Millionen Euro. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) geht sogar von 30 000 Patienten aus, für die eine Versorgung nicht sichergestellt werden könnte, weil die Vertragsärzte fehlten. In seltener Eintracht lehnen die Kassen und die KBV die Regelversorgung mit Heroin daher ab.
Es stellt sich aber die Frage, wie sie auf so hohe Patientenzahlen kommen. Die sieben Städte, die an dem Modellprojekt mit Drogenambulanzen beteiligt waren und dort immer noch Patienten versorgen, befürchten jedenfalls keinen Ansturm. Die meisten berichten von zögerlicher Inanspruchnahme des Angebots. Für Hamburg beispielsweise, die Stadt mit der größten Drogenambulanz für die Diamorphinabgabe, wird mit 150 bis 200 Patienten bei Einführung in die Regelversorgung gerechnet. Zurzeit werden dort 70 Patienten versorgt. Erfahrungen aus der Schweiz, wo die Heroinbehandlung bereits Teil der Regelversorgung ist, zeigen, dass dort längst nicht jeder Platz sofort wieder besetzt wird. Die Erklärung dafür: Die Drogenabhängigen wissen um die aufwendige Behandlung, das spricht sich in der Szene herum. Zwei- bis dreimal am Tag müssen die Betroffenen in die Drogenambulanz, wo sie sich den Wirkstoff unter ärztlicher Aufsicht spritzen. Auch die obligatorische psychosoziale Betreuung setzt Therapiebereitschaft voraus.
Die KBV und Krankenkassen bezweifeln auch generell die Überlegenheit der Heroinbehandlung gegenüber der Methadonsubstitution. Letztere sei ebenso hilfreich, würden die Betroffenen in gleichem Maß psychosozial betreut. Methadonsubstitution ist billiger als die Heroinbehandlung. Die höheren Kosten werden aber zum Teil durch die niedrigere Kriminalitätsrate und weniger Inhaftierungen aufgefangen. Vergessen wird dabei, dass die Zielgruppe durch das Diamorphin erst in die Hilfsangebote „gelockt“ wird. Eine Methadonsubstitution hatte ja nicht geholfen – die Schwerstabhängigen besorgen sich den Stoff weiterhin auf der Straße – mit allen Konsequenzen für Staat und Gesellschaft.

Petra Bühring
Redakteurin für Gesundheits- und Sozialpolitik, Berlin

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