ArchivDeutsches Ärzteblatt39/2007Ambulante Behandlung im Krankenhaus: Übung am falschen Objekt

POLITIK

Ambulante Behandlung im Krankenhaus: Übung am falschen Objekt

Plassmann, Walter

Als E-Mail versenden...
Auf facebook teilen...
Twittern...
Drucken...
LNSLNS Die Gesundheitsreform hat es Krankenhäusern erleichtert, ambulante Leistungen zu erbringen. Ziel der Politik war es, den Wettbewerb anzukurbeln. Die Umsetzung sorgt nun für Verwirrung und Streit.

Ausgerechnet Hamburg. Es gibt wohl keine Region in Deutschland, die weniger geeigneter wäre, als Versuchsfeld für eine Umsetzung des umstrittenen § 116 b SGB V zu dienen. Ausgerechnet in der Hansestadt mit ihrer großen Zahl an Spezial- und Schwerpunktpraxen werden die Bemühungen, Krankenhäusern die Erbringung ambulanter Leistungen für bestimmte Indikationen ohne Zulassung oder Ermächtigung zu ermöglichen, mit Macht vorangetrieben. Der Konflikt zwischen Genehmigungsbehörde, Krankenhausgesellschaft und Kassenärztlicher Vereinigung war programmiert – und eskalierte.
Zum Hintergrund: Die „Ambulante Behandlung im Krankenhaus“ (so der Titel des § 116 b SGB V) ist seit rund fünf Jahren möglich. Bis zur Änderung durch das Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) im April mussten die Krankenhäuser allerdings zunächst einen Vertrag mit den Krankenkassen schließen, bevor sie ambulante Leistungen erbringen und abrechnen konnten. Die Krankenkassen eröffneten jedoch nur in sehr wenigen Fällen diesen neuen Versorgungsstrang.
Das hatte seinen guten Grund. Denn die im Gesetz aufgeführten Indikationen für „hoch spezialisierte Leistungen“ oder für „seltene Erkrankungen und Erkrankungen mit besonderen Krankheitsverläufen“ umfassen viele Bereiche, die entweder in der vertragsärztlichen Versorgung durch niedergelassene Ärzte oder durch ermächtigte Krankenhausärzte angeboten werden. Eine Notwendigkeit, mit § 116 b Versorgungslücken zu schließen, konnten die Kassen nur selten entdecken.
Mit dem GKV-WSG wurde die Zielrichtung des Paragrafen geändert. Im Vordergrund steht nun der Wettbewerb. „Die Öffnung der Krankenhäuser für ambulante Leistungen ist ein wichtiger Eckpunkt unserer Maßnahmen zur Veränderung der Strukturen im Gesundheitswesen“, verkündete Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt. „Ich finde es gut, dass die krebskranke Frau oder der krebskranke Mann nicht mehr konfrontiert sind damit, dass sie zwar regelmäßig ins Krankenhaus müssen, aber gleichzeitig zwischendurch immer einen Arzt in der ambulanten Versorgung aufzusuchen haben. Das ändern wir.“
Der Gesetzgeber beschnitt kurzerhand die Befugnisse der Krankenkassen. Die Entscheidung darüber, ob ein Krankenhaus in den definierten Feldern ambulante Leistungen erbringen darf, trifft jetzt die jeweils für den Krankenhausplan
eines Landes zuständige Behörde. Doch die Formulierungen des Gesetzestexts bleiben schwammig. Dort ist die Rede davon, dass ein Krankenhaus zur Erbringung ambulanter Leistungen „berechtigt ist, wenn und soweit es (. . .) dazu bestimmt wurde“. Diese Bestimmung darf dann nicht erfolgen, wenn es „nicht geeignet“ ist. Die Eignung ist entweder anhand der Kriterien zu prüfen, die für die vertragsärztliche Versorgung gelten, oder anhand derjenigen, die der Gemeinsame Bundesausschuss für die im Gesetz genannten Indikationen festgelegt hat. Die Genehmigungsbehörde muss ihre Entscheidung allerdings „unter Berücksichtigung der vertragsärztli-chen Versorgungssituation“ treffen. Denn § 116 b SGB V soll eine „Ergänzung der vertragsärztlichen Versorgung“ vornehmen, wie es in der amtlichen Begründung heißt.
Diese Vorgaben machen den Paragrafen in sich widersprüchlich. Zum einen wird ein Recht auf die Erbringung ambulanter Leistungen eingeräumt – dann bliebe der Behörde nichts weiter, als allein die sächlichen und personellen Voraussetzungen zu prüfen. Zum anderen muss die Behörde ein Ermessen ausüben, wenn sie die vertragsärztliche Versorgungssituation berücksichtigen soll. Konflikte sind programmiert.
Die Genehmigungsbehörden tun sich schwer damit, die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) in die Überprüfung der ambulanten Versorgungssituation einzubeziehen. Denn bis auf wenige Länder ist die Kassenärztliche Vereinigung in den Ausschüssen, die über die Krankenhausplanung und damit über die Anträge zum § 116 b befinden, nicht vertreten. In den meisten Fällen werden sie als „Gäste“ geduldet – was aber noch nicht die Frage beantwortet, wie die vertragsärztliche Versorgungssituation zu beurteilen ist und welchen Einfluss dieses Urteil auf die Entscheidung der Behörde hat.
Besonders heftig prallten die un-terschiedlichen Interessen in Ham-burg aufeinander. Dort setzte die Behörde für Soziales, Familie, Gesundheit und Verbraucherschutz selbst den Prozess in Gang, indem sie eine Umfrage bei den Krankenhäusern initiierte. Diese beantragten vergleichsweise flächendeckend Genehmigungen im Bereich der §-116-b-Indikationen. Über diese Anträge sollte kurzfristig entschieden werden.
Die von Ausmaß und Tempo überraschte KV Hamburg sah keine andere Möglichkeit, als mit juristischen Mitteln ein geordnetes Verfahren zu erzwingen. Immerhin hält Hamburg als „Medizinmetropole“, die zu 20 Prozent Patientinnen und Patienten aus anderen Bundesländern versorgt, besonders viele Spezial- und Schwerpunktpraxen vor. Es drohte also, dass die Behörde genau die fachärztliche Doppelversorgung aufbaut, die die Politik sonst beklagt.
Die Kassenärztliche Vereinigung Hamburg beantragte deshalb, als Betroffene „beigeladen“ zu werden und Einsicht in die Anträge zu erhalten. Nur so könne sachgerecht Stellung genommen werden. Dem wurde nach einigem Hin und Her stattgegeben. Die Behörde muss nun über die ersten vier Indikationen entscheiden – der Landesplanungsausschuss hatte zu keinem Antrag Einvernehmen herstellen können. Zudem soll nun ein standardisiertes Antragsverfahren gleiche Bedingungen schaffen.
Entscheidungen müssen gemeinsam getroffen werden
Hamburg zeigt vor allem eins: Das Thema taugt nicht für die berufspolitische Brechstange. Es ist Unsinn, wenn die Krankenhäuser behaupten, sie könnten nun – beispielsweise in der Onkologie – eine Rundumbetreuung anbieten. Ebensolcher Unsinn ist es, wenn die KV den Kliniken jegliche Kompetenz abspricht. Es gibt schlussendlich nur einen Weg: sich gemeinsam an einen Tisch setzen und einvernehmlich prüfen, wo die Komplexität des medizinischen Geschehens es erfordert, ambulante und stationäre Versorgung enger zu verzahnen. Paradoxerweise ist gerade die KV Hamburg auf diesem Weg mit einigen Klinikträgern in Hamburg schon ein gutes Stück vorangekommen.
Walter Plassmann, KV Hamburg

Fachgebiet

Zum Artikel

Der klinische Schnappschuss

Alle Leserbriefe zum Thema

Stellenangebote