THEMEN DER ZEIT
Lhasa: Eine eigene Brailleschrift für Tibet


In Lhasa, der tibetischen
Hauptstadt hat
Sabriye Tenberken
ihr Blinden Zentrum
gegründet.
Noch nie hat mich jemand so fest am Arm gefasst und so sicher durch fremde Straßen geführt. Tenzin heißt der junge Mann, und er ist fast blind. Dennoch rempelt er beim Zickzackgang durch Lhasas Altstadtgassen niemanden an. Nun eine breite Autostraße und keine Ampel. Tenzin errät meine Gedanken. „Viele unserer Schüler überqueren mit ihrem weißen Blindenstock diese Straße jeden Tag“, sagt er in gutem Englisch. Nyima, ein blinder Student, nimmt die Gäste in Empfang. „Wir haben zurzeit 35 Schüler“, sagt er und zeigt ihnen die Klassenräume. Die Vier- bis Elfjährigen besuchen die Mausklasse. Die nächste Stufe umfasst Schüler bis 18 Jahre und älter. Der 20-jährige Kachume sitzt an einer Schreibmaschine, die statt Tasten lange Hebel hat. Yudun, 19 Jahre, arbeitet derweil an einem „sprechenden“ PC. Ihre Finger werden akustisch geleitet. Andere Schüler machen Musik.
1997 wurde das Blinden Zentrum Tibet von Sabriye Tenberken, einer damals 27-jährigen Deutschen, gegründet. Mit vier Jahren verlor sie das Augenlicht, ging aber ihren Weg. Von 1994 bis 1996 studierte sie Tibetologie und entwickelte für die tibetische Silbenschrift eine eigene Brailleschrift, jetzt Tibets offizielle Blindenschrift. Der Schulgründung ging ein „Hindernislauf“ voran. Sie ist übers Land geritten und hat die Eltern davonüberzeugt, ihre behinderten Kinder nicht zu verstecken, sondern unterrichten zu lassen. Im Mai 1998 eröffnete sie zusammen mit dem Niederländer Paul Kronenberg eine Vorschule für 13 blinde Kinder.
Der 20-jährige Kachume
sitzt an seiner
Schreibmaschine,
die Hebel statt Tasten
hat.
Fotos: Ursula Wiegand
Viele Auszeichnungen
Sabriye Tenberken hat bereits viele Auszeichnungen erhalten, doch finanzielle staatliche Unterstützung erhält das Blinden Zentrum nicht. Es ist auf Spenden angewiesen. So touren Sabriye Tenberken und Paul Kronenberg immer wieder durch die Welt, lesen aus eigenen Büchern und zeigen Fotos, um Geld zusammenzubekommen und Mitglieder für den Förderkreis zu werben.
Gerade setzen sie in Kerala/Indien eine weitere Blindeneinrichtung in Gang. „Die dient der Managementausbildung von Erwachsenen und wird auch ein Multiplikator für Lhasa sein. Die tibetischen Schüler können dort weiter studieren“, erläutert Kronenberg. Ist das organisatorisch zu schaffen? „Das Blinden Zentrum Lhasa läuft schon ohne uns. Hier sind wir nur noch vier Monate im Jahr“, stellt Kronenberg klar.
Ursula Wiegand
Informationen: www.blinden-zentrum-tibet.de; Förderkreis: Blinden Zentrum Tibet e.V., Im Aurel 34, 53913 Swisttal-Morenhoven.
Telefon: 0 22 26/91 34 03
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