ArchivDeutsches Ärzteblatt41/2007Neuer Mustervertrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft: Die Disziplinierung der Chefärzte schreitet voran

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Neuer Mustervertrag der Deutschen Krankenhausgesellschaft: Die Disziplinierung der Chefärzte schreitet voran

Baur, Ulrich

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Foto: Superbild/Incolor
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Die Deutsche Krankenhausgesellschaft empfiehlt die Aufweichung des Kündigungsschutzes, die Möglichkeit zur örtlichen Versetzung und die Abschaffung des Liquidationsrechts.

Seit der Erstauflage des Chefarztvertragsmusters im Jahr 1983 gehört es zur Tradition der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), etwa alle drei Jahre eine Neuauflage zu präsentieren, die gegenüber der Vorauflage drastische Verschlechterungen enthält. So vollzieht sich seit rund zehn Jahren ein Wandel von der Einräumung des Liquidationsrechts hin zur Beteiligungsvergütung oder Festvergütung im stationären Bereich und zur Versagung einer Nebentätigkeitsgenehmigung für den ambulanten Bereich. War in früheren Auflagen immerhin noch die Möglichkeit der Einräumung des Liquidationsrechts wenigstens als Alternative erwähnt, so bekennt sich die achte Auflage des Vertragsmusters nunmehr konsequent zum „Herr-im-Haus-Stand“. Während die Wirtschaft ihren Leistungsträgern immer mehr Freiheiten gewährt, um deren kreative Leistungsbereitschaft zu fördern, beschreitet die DKG mit ihren Empfehlungen den umgekehrten Weg der zunehmenden Reglementierung und Bevormundung des Chefarztes.
Im Vorwort zur achten Auflage weist DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum auf die wesentlichen Änderungen gegenüber den Vorauflagen hin. Danach beinhaltet die neue Auflage insbesondere die Möglichkeit der Zentrenbildung durch einen fachübergreifenden Zusammenschluss mehrerer Krankenhausabteilungen, die Möglichkeit eines Versetzungsvorbehalts auch in andere Krankenhausbetriebe des Trägers, einen Formulierungsvorschlag für die Übertragung von Personalbefugnissen, damit der Chefarzt als leitender Angestellter im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes gilt, sowie den Formulierungsvorschlag für eine Zielvereinbarung zur Bonuszahlung.
Zentrenbildung
Die Idee der Errichtung fachübergreifender Zentren wurde innerärztlich aus der Erkenntnis geboren, dass eine interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Fachgebiete die Patientenversorgung verbessern kann. Die Idee ist in vielen Fällen bereits realisiert. Insofern stellt sich die Frage, warum für eine Zentrenbildung eine Vertragsklausel erforderlich ist. Allerdings löst die DKG mit ihrem Formulierungsvorschlag nicht das eigentliche Problem. Die entscheidende Frage ist nämlich nicht das Ob, sondern das Wie. Es kommt gelegentlich vor, dass anlässlich solcher Vorhaben der Versuch unternommen wird, sich Zuständigkeiten und Kompetenzen außerhalb einer sachlich-fachlichen Legitimation anzueignen. Es wäre daher erforderlich gewesen, ein klares Bekenntnis abzulegen zu den Empfehlungen der wissenschaftlich-medizinischen Fachgesellschaften für die Zentrenbildung. Stattdessen beschränkt sich das Vertragsmuster auf die Aussage, dass der Chefarzt an einer Zentrumsversorgung mitzuwirken und die erforderliche qualifizierte ärztliche Versorgung seines Fachs sicherzustellen hat.
Versetzungsvorbehalt
Die Empfehlung der DKG suggeriert in ihren Erläuterungen, dass der Krankenhausträger im Rahmen seines Direktionsrechts berechtigt ist, einen Chefarzt in ein anderes Krankenhaus auf Dauer zu versetzen. Bereits dieser Ansatz ist falsch, weil ein Chefarzt regelmäßig für ein bestimmtes Krankenhaus und für eine bestimmte Fachabteilung eingestellt wurde. Wenn nun die DKG einen Vorschlag für einen Versetzungsvorbehalt unterbreitet, der es dem Krankenhausträger ermöglicht, den Chefarzt auf einen gleichwertigen Arbeitsplatz in einem anderen Unternehmen zu versetzen (auch verbunden mit einem Ortswechsel), dann offenbart sich dahinter eine Mentalität, die den Chefarzt auf die Stufe eines normalen Arbeitnehmers stellt. Letzterer ist jedoch regelmäßig durch tarifliche Versetzungsklauseln gegen Willkür geschützt.
Unklar ist auch, ob der DKG-Formulierungsvorschlag nur die Möglichkeit zur örtlichen Versetzung eröffnet oder ob er es auch ermöglichen soll, den Umfang und den Inhalt der Tätigkeit zu ändern. Die Erläuterungen deuten darauf hin, dass nur ein örtlicher Wechsel gemeint ist, eindeutig ist dies jedoch nicht.
Insgesamt handelt es sich um eine inakzeptable Regelung. Zudem bestehen Zweifel, ob die Bestimmung mit dem Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen vereinbar ist.
Personalhoheit
In der Vergangenheit war die Personalhoheit des Krankenhausträgers eine „heilige Kuh“. Es wurde heftig darüber gestritten, ob man einem Chefarzt hinsichtlich seiner Mitarbeiter ein Vorschlagsrecht oder nur ein Anhörungsrecht einräumen sollte, ob Personalentscheidungen nur im Benehmen mit dem Chefarzt oder gar im Einvernehmen mit ihm zu treffen sind. Stets wollten die Krankenhausträger die letzte Entscheidungsbefugnis behalten. Nun wird ein Formulierungsvorschlag präsentiert, der den Chefarzt bevollmächtigen soll, Einstellungen, Entlassungen, Umsetzungen, Versetzungen, Abkopplungen oder Beurlaubungen der ihm nachgeordneten Mitarbeiter seiner Abteilung selbst vorzunehmen. Das Motiv für diese Wende ist darin zu sehen, dass sich ein Arbeitgeber sehr viel leichter von einem Arbeitnehmer trennen kann, der zur selbstständigen Einstellung oder Entlassung von Arbeitnehmern berechtigt ist. Folge ist, dass sich ein Krankenhausträger von einem Chefarzt auch dann trennen kann, wenn ein Kündigungsgrund im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes nicht besteht. Diese Konsequenz kann fatale Folgen für den Chefarzt haben, denn in der Regel wird man nur einmal in seinem Leben Chefarzt. Eine Entlassung bedeutet somit praktisch das Ende der beruflichen Laufbahn. Denn anders als in der freien Wirtschaft ist es im Krankenhaus nicht üblich, dem Chefarzt noch einmal eine zweite Chance zu geben.
Es ist fraglich, ob der Formulierungsvorschlag der DKG einer rechtlichen Überprüfung standhält. Zwar ist der Chefarzt nur verpflichtet, die Personalentscheidung „im Benehmen“ mit dem Krankenhausträger vorzunehmen. Allerdings hat er dabei die „Grundsätze des Krankenhausträgers zur Einstellung und Entlassung von Mitarbeitern, den Stellenplan und etwaige Vorgaben des Personalbudgets zu beachten“. Durch diese „Grundsätze“ und die „Budgetvorgaben“ wird im Zweifel eine derartige Bindung entstehen, dass der notwendige eigene Entscheidungsspielraum faktisch nicht mehr besteht.
Zielvereinbarung
Verbunden mit der Empfehlung, dem Chefarzt im stationären Bereich kein Liquidationsrecht mehr einzuräumen, hatte die DKG 2002 erstmals das Modell der Zielvereinbarung präsentiert, bei deren Erfüllung dem Chefarzt ein variabler Bonus ausgeschüttet wird. Allgemein wurde an dem Modell jedoch die mangelnde Praktikabilität kritisiert sowie der Umstand, dass die vorgeschlagenen Bemessungskriterien vom Chefarzt kaum zu beeinflussen sind.
Nunmehr präsentiert die DKG das Muster einer Zielleistungsvereinbarung, doch bleibt auch dieses Muster im Unverbindlichen. Konkret wird das Muster nur dort, wo es um die Entscheidungsbefugnis des Krankenhausträgers hinsichtlich der Feststellung geht, ob der Chefarzt die geforderten Ziele erreicht hat. Zudem entscheidet der Träger, ob überhaupt eine Vereinbarung abgeschlossen wird. Damit stellt das vorliegende Vertragsmuster einen entscheidenden Rückschritt gegenüber den vorangegangenen Mustern dar.
Sonstiges
Die redaktionelle Überarbeitung des Mustervertrags beinhaltet unter anderem, dass künftig auch die ambulanten Krankenakten Eigentum des Krankenhausträgers werden sollen. Darüber hinaus wird dem Chefarzt in Zukunft das seit Generationen verbriefte Recht vorenthalten, von den Krankenunterlagen Abschriften, Auszüge oder Ablichtungen herzustellen. Auch soll der Chefarzt künftig Patienten fremder Krankenhausträger nicht nur in seiner eigenen Abteilung behandeln, sondern ebenso auch in den Räumlichkeiten anderer Krankenhausträger. Was also dem niedergelassenen Arzt berufsrechtlich untersagt ist, nämlich die Ausübung seiner ärztlichen Tätigkeit „im Umherziehen“, soll vom Chefarzt verlangt werden können.
Nicht verschwiegen werden soll, dass die DKG sich in der neuen Auflage bemüht hat, redaktionelle Fehler der Vorauflage zu beseitigen. So wird immerhin die Möglichkeit eröffnet, bei einer Besetzung der Abteilung mit mehr als zwei Oberärzten den Chefarzt nicht zur Teilnahme an der Rufbereitschaft zu verpflichten. Eine Neuregelung kann aus ärztlicher Sicht sogar als ausgesprochen positiv bewertet werden. So wird nunmehr im Zusammenhang mit der Lohnfortzahlungspflicht eingeräumt, dass die Beschränkung auf sechs Wochen nur das gesetzliche Mindestmaß beinhaltet und dass in der Vertragspraxis „auch längere Zeiträume nicht unüblich“ sind.
Dr. jur. Ulrich Baur
E-Mail: info@ra-baur.de

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