ArchivDeutsches Ärzteblatt42/2007Gesundheitspolitik: Große Streitkoalition

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Gesundheitspolitik: Große Streitkoalition

Stüwe, Heinz

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LNSLNS Gerade hatte Wolfgang Zöller seinen Besuchern vom Deutschen Ärzteblatt aus der soeben beendeten Koalitionsrunde berichtet, dass es keinen bezahlten Betreuungsurlaub für pflegende Angehörige geben werde, als ein Mitarbeiter dem stellvertretenden Vorsitzenden der CDU/CSU-Bundestagsfraktion sein Handy mit einer Agenturmeldung reichte: Zöllers Pendant in der Fraktion des Koalitionspartners, Elke Ferner, ließ verbreiten, dass die SPD weiterhin bis zu zehn bezahlte Pflegetage fordere. Die Union wiederum trägt die Einführung von sogenannten Pflegestützpunkten und Pflegeberatern nur widerwillig mit, weil sie den Aufbau zusätzlicher Bürokratie ohne zusätzlichen Nutzen befürchtet. Das Beispiel zeigt, wie es derzeit in der Großen Streitkoalition zugeht. Die Reform der Pflegeversicherung ist dabei nur eines von mehreren Konfliktfeldern. Sie alle belegen, dass es in der Sozial- und Gesundheitspolitik zwischen Union und SPD, aber auch innerhalb der großen Parteien, wie der Streit um die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I illustriert, kaum Übereinstimmung in den Grundsätzen gibt. Deswegen fällt ihnen die Einigung im Detail so schwer, deswegen werden in sich widersprüchliche Gesetze beschlossen.
Wenn sie denn zustande kommen. Beim geplanten Präventionsgesetz scheint selbst das infrage gestellt, weil die Union sich gegen die Errichtung einer Präventionsstiftung sperrt. Sollten sich die Parteien hier festbeißen, besteht die Gefahr, dass im Streit über die institutionellen Fragen die Inhalte zu kurz kommen. Dabei muss es doch beispielsweise darum gehen, dass für die Prävention bereitgestellte Mittel nicht für irgendetwas, sondern für nachweislich gesundheitswirksame Maßnahmen eingesetzt werden. Das wiederum kann im Einzelfall nur der Arzt entscheiden.
Das Kürzel DAMA steht für ein weiteres Beispiel von Zwist in der Koalition, der schon seit zwei Jahren anhält. Die Bundesregierung will die nationale Zulassungsbehörde für Medikamente, das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte, in eine Agentur mit Personal-, Organisations- und Finanzhoheit umwandeln. Die Einführung der Deutschen Arzneimittel- und Medizinprodukteagentur (DAMA) soll Gewähr dafür bieten, dass Zulassungsanträge für Arzneimittel zügiger bearbeitet und entschieden werden. An diesem Ziel hat die Pharmaindustrie, jedoch nicht nur sie, ein verständliches Interesse.
Aber die Bedenken von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung, die bei einer weitgehend von Gebühren der Unternehmen finanzierten Agentur die Arzneimittelsicherheit in Gefahr sehen, werden in der Union ernst genommen. Beides, eine zügige Entscheidung über Zulassungsanträge und die Unabhängigkeit der Pharmakovigilanz, ist wichtig und auch miteinander vereinbar. Die Verfechter der Agenturlösung verweisen gerne auf die industriefinanzierte Food and Drug Administration (FDA) in den Vereinigten Staaten. Dass sie aber nur bedingt als Vorbild taugt, zeigt ein Gesetz, das jetzt in den USA in Kraft getreten ist. Über eine neue Stiftung sollen der FDA über die von der Industrie zu zahlenden Gelder hinaus Mittel erschlossen werden. Außerdem bekommt die FDA mehr Kompetenzen, um die Arzneimittelüberwachung zu verstärken. Bisher, so schätzt die FDA selbst, werde in den USA nur eine von zehn unerwünschten Arzneimittelwirkungen bekannt. Gesundheitspolitikern in Berlin ist es nicht untersagt, von denen in Washington zu lernen.
Heinz Stüwe, Chefredakteur
Heinz Stüwe,
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