POLITIK
Serie Palliativmedizin: Finale Betreuung nicht nur für Krebspatienten


Mit dem Begriff Palliativmedizin verbindet man vor allem die Betreuung von Krebspatienten im Finalstadium, obwohl sich keine Definition dieses Fachbereichs auf eine spezielle Krankheitsgruppe beschränkt. So spricht die WHO von einem „Ansatz zur Verbesserung der Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit einer lebensbedrohlichen Erkrankung konfrontiert sind“ (1). Auch die Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin (DGP) definiert Palliativmedizin als „aktive, ganzheitliche Behandlung von Patienten mit einer nicht heilbaren, progredienten und weit fortgeschrittenen Erkrankung mit begrenzter Lebenserwartung“ (2).
Trotzdem werden besonders im stationären Bereich traditionell überwiegend Patienten mit Tumorerkrankungen begleitet; auf deutschen Palliativstationen sind es etwa 90 Prozent (3). Aber auch in Ländern mit langer palliativmedizinischer Tradition (Großbritannien), ist die Gruppe der nicht onkologischen Patienten in stationären Einrichtungen mit sechs Prozent noch sehr klein (4).
Allerdings werden Herz- und Lungenerkrankungen vor malignen Grunderkrankungen demnächst weltweit eine führende Position einnehmen (6). In Deutschland sterben jährlich etwa 81 000 Menschen an einer ischämischen Herzerkrankung, 48 000 an einer terminalen Herzinsuffizienz und circa 21 000 an einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (5). Viele dieser Erkrankungen führen häufig in kurzer Zeit zum Tod. Aber auch neurologische Patienten leiden unter unheilbaren Erkrankungen. (Tabelle1)
In der Palliativmedizin ist bisher die häufigste nicht onkologische Erkrankung die amyotrophe Lateralsklerose (ALS), eine Motoneuron-Erkrankung mit aufsteigenden Lähmungen, bei der die Patienten an
einer Ateminsuffizienz versterben. Aber auch Patienten im Endstadium einer multiplen Sklerose (MS) oder einer Parkinson-Erkrankung leiden unter körperlichen Symptomen und psychosozialen Problemen. Schließlich stellen geriatrische Patienten und Demenzkranke für alle in der Betreuung eine große Herausforderung dar. Obwohl diese Patienten ähnliche physische und psychosoziale Symptome wie Krebspatienten aufweisen (7), wird ihnen nur selten palliativmedizinische Betreuung angeboten (8).
Unterschiedliche Verläufe
Die Herausforderung für die Palliativmedizin liegt nicht nur in der hohen Zahl nicht onkologischer Patienten, die ebenso Anspruch auf qualifizierte palliativmedizinische Betreuung haben, sondern auch in den unterschiedlichen Krankheitsverläufen. Die meisten Patienten mit Krebserkrankungen haben häufig über eine lange Zeit einen relativ guten Allgemeinzustand mit gutem funktionellem Status. Schreitet die Erkrankung weiter fort, verschlechtert sich der Zustand des Patienten meist rasch in den letzten Wochen und Tagen vor dem Tod (9).
Im Gegensatz hierzu haben Patienten mit chronischem Organversagen (Herz-, Nieren-, pulmonale Insuffizienz) einen relativ langen Krankheitsverlauf mit minimalen Einschränkungen im Alltagsleben. Durch Exazerbation der Erkrankung oder Komplikationen kommt es aber rezidivierend zu akuten Verschlechterungen, zum Beispiel einem pulmonalen Infekt bei Patienten mit chronisch obstruktiver Lungenerkrankung. Viele dieser Episoden werden überlebt, oft mithilfe intensivmedizinischer Betreuung, letztlich sterben die Patienten dann aber auch relativ rasch an einer solchen Komplikation (9).
Aus diesem Grund ist die Einschätzung der Prognose bei diesen Patienten wesentlich schwieriger und damit auch die Frage, wann sie am ehesten von palliativmedizinischer Betreuung profitieren (10). Die Behandlung der Grunderkrankung reicht, zum Teil anders als bei onkologischen Patienten, in die terminale Phase mit hinein. Patienten, die nicht an einer Tumorerkrankung oder chronischem Organversagen sterben, sterben wahrscheinlich in höherem Alter an neurologischen Erkrankungen (Alzheimer oder andere Demenzen) oder an einer generellen Gebrechlichkeit (9).
COPD und terminale
Herzinsuffizienz
Am Beispiel der chronisch obstruktiven Lungenerkrankung (COPD) und der chronischen Herzinsuffizienz sollen die Situation der Patienten und einige der palliativmedizinischen Fragestellungen dargestellt werden. Die COPD gehört zu den häufigsten Lungenerkrankungen, derzeit sind circa 20 Prozent der erwachsenen Männer betroffen. Ohne Langzeit-Sauerstofftherapie versterben die Patienten innerhalb von drei Jahren. Die Patienten leiden unter einer Vielzahl von Symptomen wie Atemnot, Fatigue, Schmerzen, Schlafstörungen, Depression, aber auch Mundtrockenheit, Husten, Obstipation, Anorexie oder körperliche Schwäche (10).
Einschränkungen bei den Aktivitäten des täglichen Lebens (unfähig, das Haus zu verlassen, Hilfe beim Waschen, Anziehen, Toilettenbenutzung) führen häufig zu sozialer Isolation (11). Medizinische Angebote stehen diesen Patienten besonders zur Behandlung akuter Exazerbationen zur Verfügung, aber selten für die dauerhafte Versorgung mit ganzheitlichem Ansatz. Im Vergleich zu Patienten mit Lungenkrebs versterben Patienten mit einer COPD eher im Krankenhaus (12).
Neben medikamentösen anti-obstruktiven Therapiemaßnahmen spielt die Sauerstofftherapie eine große Rolle, da Patienten mit einer ausgeprägten Hypoxie eine schlechtere Prognose haben. Durch eine nicht invasive Heimbeatmung kann es insbesondere bei Exazerbationen zu einer schnelleren Besserung kommen, invasive Beatmungen sind seltener notwendig, und die Mortalität im Krankenhaus ist reduziert. Opioide spielen eine wichtige Rolle in der symptomatischen Therapie der Atemnot (13), auch wenn dies noch nicht von allen Pulmologen anerkannt ist. Palliativmedizinische Fragen betreffen neben der Symptomkontrolle unter anderem Aspekte des Lebensendes, den Einsatz lebensverlängernder Maßnahmen, das Verhalten bei Komplikationen (14).
Trotz neueren Entwicklungen in der Therapie und im Management von Herzerkrankungen, leiden immer mehr Patienten an einer chronischen Herzinsuffizienz und versterben auch daran. Die Prognose dieser Patienten ist schlecht, circa 40 Prozent versterben innerhalb eines Jahres nach der Diagnose, etwa jeder Vierte erleidet einen plötzlichen Herztod. Ähnlich wie bei Patienten mit COPD sind diese durch eine Vielzahl von Symptomen belastet (Tabelle 2) (15).
Befragt nach den Bedürfnissen von Patienten und ihren Angehörigen, konnten Boyd et al. zeigen, dass die Betroffenen kaum Unterstützung von medizinischen Einrichtungen bekamen und wenig über die Behandlungsziele oder die Prognose ihrer Erkrankung wussten (16). Ihre Lebensqualität war durch körperliche Einschränkungen und psychische Morbidität stark eingeschränkt (16). Patienten mit chronischer Herzinsuffizienz haben Schwierigkeiten, ihren Alltag zu bewältigen und sind auf Familie und Freunde angewiesen. Sie leiden unter Einsamkeit, Isolation oder dem Gefühl, zur Last zu fallen (17). Leider werden die Bedürfnisse dieser Patienten von vielen Kardiologen noch nicht ausreichend betrachtet, sodass eine enge Kooperation mit Palliativmedizinern wünschenswert wäre.
Zusammenfassung
Nicht onkologischen Erkrankungen kommt in der Palliativmedizin bisher eine untergeordnete Rolle zu. Aufgrund der großen Zahlen von Patienten, die an weit fortgeschrittenen internistischen, neurologischen oder geriatrischen Erkrankungen versterben, stellt sich hier für die Palliativmedizin in den nächsten Jahren ein weites Aufgabenfeld.
Physischen, psychosozialen und spirituellen Nöten dieser Patienten wird bisher nicht ausreichend Rechnung getragen. Aus ersten Studien ist bekannt, dass Patienten von palliativmedizinischer Unterstützung profitieren können. Da krankheitsspezifische Therapien bis zum Lebensende weitergeführt werden müssen, ist eine enge Kooperation mit Spezialisten notwendig.
Anschrift der Verfasserin
Dr. med. Claudia Bausewein MSc
Interdisziplinäres Zentrum für Palliativmedizin
Klinikum der Universität
München-Großhadern
Marchioninistraße 15, 81377 München
E-Mail: Claudia.Bausewein@med.uni-muenchen.de
Literatur im Internet:
www.aerzteblatt.de/lit4207
1.
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2.
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3.
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4.
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5.
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7.
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Addington-Hall JM, Fakhoury W, McCarthy M: Specialist palliative care in non-malignant disease. Palliat Med 1998; 12(6): 417–27. MEDLINE
9.
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11.
Skilbeck J, Mott L, Page H, Smith D, Ahmedzai S, Clark D: Palliative care in patients with chronic obstructive airways disease: a needs assessment. Pall Med 1998; 12: 245–54. MEDLINE
12.
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13.
Jennings AL, Davies AN, Higgins JP et al.: A systematic review of the use of opioids in the management of dyspnoea. Thorax 2002; 57: 939–44. MEDLINE
14.
Kelly NO, Smith J: Palliative Care for people with end-stage COPD. Prim Care Resp J 2007; 16(1): 57–8.
15.
Nordgren L, Sörensen S: Symptoms experienced in the last six months of life in patients with end-stage heart failure. Eur J Cardiovasc Nurs 2003; 2: 213–7 . MEDLINE
16.
Boyd KJ, Murray SA, Kendall M et al.: Living with advanced heart failure: a prospective, community based study of patients and their carers. Eur J Heart Fail 2004; 6: 585–91. MEDLINE
17.
Horne G, Payne S: Removing the boundaries: palliative care for patients with heart failure. Pall Med 2004; 18: 291–6. MEDLINE
Tabelle 1
Tabelle 2
1. | Sepúlveda C, Marlin A, Yoshida T, Ullrich A: Palliative Care: The World Health Organization’s Global Perspective. JPSM 2002; 24 (2); 91–6. MEDLINE |
2. | DGP Begriffsdefinitionen. Z Palliativmed 2003; 4: 95–9. |
3. | Radbruch L, Nauck F, Lindena G. HOPE – Hospiz- und Palliativerhebung 2005. Z Palliativmed 2006; 7(1): 5–6. |
4. | Hospice Information. Hospice and Palliative Care Facts and Figures 2005. http://www.hospiceinformation.info/publications/factsheets.asp |
5. | Statistisches Bundesamt Deutschland. http://www.destatis.de/jetspeed/portal/cms/ |
6. | Murray C, Lopez AD: Alternative projections of mortality and disability by cause 1990–2020: Global Burden of Disease Study. Lancet 1997; 349: 1498–1504. MEDLINE |
7. | Luddington L, Cox S, Hingginson I, Livesley B: The need for palliative care for patients with non-cancer diseases: a review of the evidence. Int J Pall Nurs 2001; 7(5): 221–6). MEDLINE |
8. | Addington-Hall JM, Fakhoury W, McCarthy M: Specialist palliative care in non-malignant disease. Palliat Med 1998; 12(6): 417–27. MEDLINE |
9. | Lynn J, Adamson DM: Living well at the end of life. White Paper. RAND Health 2003. |
10. | Conventry PA, Grande GE, Richrads DA, Todd CJ: Prediction of appropriate timing of palliative care for older adults with non-malignant life-threatening disease: a systematic review. Age and Aging 2005; 34: 218–27. MEDLINE |
11. | Skilbeck J, Mott L, Page H, Smith D, Ahmedzai S, Clark D: Palliative care in patients with chronic obstructive airways disease: a needs assessment. Pall Med 1998; 12: 245–54. MEDLINE |
12. | Edmonds P, Karlsen S, KhanS, Addington-Hall J: A comparison of the palliative care needs of patients dying from chronic respiratory diseases and lung cancer. Pall Med 2001; 15 (4): 287–95. MEDLINE |
13. | Jennings AL, Davies AN, Higgins JP et al.: A systematic review of the use of opioids in the management of dyspnoea. Thorax 2002; 57: 939–44. MEDLINE |
14. | Kelly NO, Smith J: Palliative Care for people with end-stage COPD. Prim Care Resp J 2007; 16(1): 57–8. |
15. | Nordgren L, Sörensen S: Symptoms experienced in the last six months of life in patients with end-stage heart failure. Eur J Cardiovasc Nurs 2003; 2: 213–7 . MEDLINE |
16. | Boyd KJ, Murray SA, Kendall M et al.: Living with advanced heart failure: a prospective, community based study of patients and their carers. Eur J Heart Fail 2004; 6: 585–91. MEDLINE |
17. | Horne G, Payne S: Removing the boundaries: palliative care for patients with heart failure. Pall Med 2004; 18: 291–6. MEDLINE |
Student, Christoph