POLITIK
60 Jahre Bundesärztekammer: Knirschen beim Zusammenschluss


Ort der konstituierenden Hauptversammlung: das William G. Kerckhoff-Institut in Bad Nauheim. Foto: William G. Kerckhoff-Stiftung
Ausgangslage: Mit Billigung der Besatzungsmächte vollzieht sich relativ rasch nach Kriegsende in den drei Westzonen die Reorganisation von Ärztekammern auf Landesebene. Ohne dass zunächst eine neue Rechtsgrundlage geschaffen wird, treten diese mehr oder weniger in die Rechtsnachfolge von Reichsärztekammer und Kassenärztlicher Vereinigung Deutschlands ein. Während in der britischen Zone Vertreter der Ärztekammern bereits 1945 zu ersten Gesprächen zusammentreffen, kommt es im Süden vorerst nur zu gelegentlichen Kontakten zwischen den Ärztekammern.
Von oben nach unten: Karl Haedenkamp, Ludwig Sievers, Carl Oelemann, Karl Weiler, Hans Neuffer, Berthold Rodewald, Theodor Dobler. Fotos: Archiv
„. . . Ich selbst glaube, dass es richtiger wäre, in den Ärzteordnungen nur eine Bestimmung vorzusehen, nach der die einzelnen Ärztekammern sich zu einem Ausschuss vereinigen und diesem bestimmte Aufgaben übertragen können, deren Bedeutung über den Bereich einer einzelnen Kammer hinausgeht. ... Der Ausschuss wird nach meiner Ansicht so zu gestalten sein, dass sich ihm nach und nach auch Kammern und Vereinigungen anderer Zonen anschließen können, sodass eine Spitze entsteht, die später wieder einmal Reichsspitze sein kann . . .“
Ludwig Sievers in einem Rundschreiben an die westdeutschen Ärztekammern vom 18. Juni 1946:
„. . . Die im Nordwestdeutschen Ärztekammerausschuss vereinigten Ärztekammern halten die Zeit für gekommen, zu prüfen, ob mit Zustimmung der Besatzungsmächte eine Zusammenarbeit der Ärztekammern und sonstigen anerkannten ärztlichen Organisationen über die Zonengrenzen hinweg zweckmäßig notwendig und möglich ist.“
Karl Haedenkamp an Berthold Rodewald am 5. November 1946; Bericht über ein wenige Tage zuvor stattgefundenes Treffen von Ärztekammer-Präsidenten aus den drei Westzonen:
„. . . Das Bedürfnis zu einer möglichst engen Zusammenarbeit zwischen den Kammern der drei Westzonen ist außerordentlich stark und wurde durch einen besonderen Beschluss, der aber nicht förmlich gefasst wurde, zum Ausdruck gebracht. . . . Jeder Partikularismus und alle Sonderbestrebungen in den einzelnen Landesteilen werden abgelehnt. Vielmehr soll auf eine künftige Wiedervereinigung der gesamten deutschen Ärzteschaft hingewirkt werden. . . . Es ist anzunehmen, dass sich die Kammern der drei westlichen Zonen auch organisatorisch noch enger zusammenschließen werden, sobald sich die Voraussetzungen dazu, insbesondere durch Auflockerung der Zonengrenzen, ergeben . . .“
Karl Haedenkamp an Carl Oelemann am 8. November 1946:
„. . . Wir sind alle von dem Ergebnis der Nauheimer Tagung hochbefriedigt und Ihnen, lieber Herr Kollege Oelemann, aufrichtig dankbar dafür, dass Sie diesen Erfolg durch Ihre Vorarbeit und durch die ausgezeichnete Leitung der Versammlung herbeigeführt haben. Hoffentlich gelingt uns nun auch eine regelmäßige enge Zusammenarbeit aller Kammern außerhalb unserer Tagungen. Ich fürchte, dass die Kammern zunächst nicht so stürmisch mitmachen werden, wie es notwendig ist, aber nach und nach werden wir bei entsprechender Zähigkeit zu einem Zusammenwirken kommen . . .“
Karl Haedenkamp an Carl Oelemann am 5. Dezember 1946:
„Persönlich und vertraulich!
Lieber Herr Kollege Oelemann!
Die Vereinigung der britischen und der amerikanischen Zone wirft die Frage auf, ob wir jetzt oder auch später an die Begründung eines Zweizonen-Ausschusses der Ärztekammern denken sollten. Wir haben zwar unsere Gemeinschaftsarbeit begonnen, aber ich könnte mir denken, dass man sie durch einen solchen Ausschuss noch befestigen und erweitern könnte. Wir würden damit einen wichtigen Schritt zur weiteren Zusammenfassung der Ärzteschaft der drei Westzonen tun. Man könnte in diesem Zusammenhang auch an die Einrichtung einer gemeinsamen Geschäftsführung an einem geeigneten Orte denken . . .“
Niederschrift über die Tagung der Ärztekammern der drei Westzonen am 29./30. März 1947 in Bad Nauheim:
„. . . Es herrscht Einmütigkeit darüber, dass eine laufende gegenseitige Unterrichtung und ein Meinungsaustausch zwischen den Ärztekammern der drei Westzonen erforderlich ist. Die Bildung eines ständigen Arbeitsausschusses, bestehend aus Ärzten der drei Westzonen, mit eigener Geschäftsführung erscheint vorläufig noch zu früh und ist auch durch die bestehende Verfügung, nach welcher jeglicher überzonaler Zusammenschluss verboten ist, vorläufig noch nicht in die Tat umzusetzen . . .“
Niederschrift über die Sitzung des Nordwestdeutschen Ärztekammerausschusses am 15./16. Juni 1947 in Bad Nauheim:
„. . . Dr. Sievers eröffnet die Sitzung und bespricht die soeben abgeschlossene Tagung von Vertretern der Ärztekammern der drei Westzonen. Er vertritt den Standpunkt, dass künftig auf den Nauheimer Tagungen die Vertretung der Ärztekammern unter Berücksichtigung der Zahl der zu ihnen gehörenden Ärzte erfolgen muss. Dieser Standpunkt wird gebilligt.“
Hans Neuffer an Carl Oelemann am 13. Juli 1947:
„. . . Mit der Organisation des Nauheimer Büros würde ich noch langsam tun, bis wir klarer sehen, wie es mit den Ärztekammern geht. Ich habe den Eindruck, als würde wieder zu viel preußisch organisiert. Man sollte mehr organisch wachsen lassen, aber Fühlung miteinander behalten. Man kann Bayern nicht links liegen lassen . . . Man müsste sich zur gegenseitigen Mitarbeit heranziehen und nicht wie Herr Sievers einfach weiterstürmen. Es könnte sonst eine Panne geben, da wir nicht mehr im Führerstaat, sondern in demokratischen Landesverfassungen leben . . .“
Karl Haedenkamp an Berthold Rodewald am 24. Juli 1947:
„. . . Es ergab sich dann, dass ein engerer Zusammenschluss der westdeutschen Kammern notwendig erschien, insbesondere im Hinblick auf die bizonale allgemeine Entwicklung. Dieser Zusammenschluss wurde auf der Junitagung vereinbart. Die Leitung fiel an Herrn Kollegen Oelemann, der die Nauheimer Zusammenkünfte eingeleitet und damit die Grundlage einer überzonalen Organisation geschaffen hat; er hat außerdem die Gabe, die nicht selten bemerkbaren Gegensätzlichkeiten zwischen Nord und Süd auszugleichen und damit den notwendigen Zusammenhalt unter den Ärzten zu fördern. Es wurde außerdem eine Art Vorstand gebildet, den wir Beratungsausschuss genannt haben. Die Hauptversammlungen sollen dafür ausgebaut werden, dass auch öffentliche Diskussionen über wichtige Fragen der Volksgesundheit stattfinden . . .“
Schreiben der Bayerischen Landesärztekammer an die Arbeitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärztekammern vom 21. August 1947:
„. . . Der Vorstand der Landesärztekammer ist nicht in der Lage, eine Arbeitsgemeinschaft im Sinne der Beschlüsse vom 14.6.1947 anzuerkennen. Er steht auf dem Standpunkt, dass in Bad Nauheim lediglich eine Informationsstelle bestehen solle, der aber in dem gegenwärtigen Zeitpunkt keine besondere Selbstständigkeit zukommen könne und die vor allem nicht befugt sei, für die Ärztekammern bindende Beschlüsse zu fassen, sondern lediglich Anregungen und Empfehlungen hinauszugeben . . .“
Karl Haedenkamp an Ludwig Sievers am 28. August 1947:
„. . . Ich finde, dass die hiesige Stelle sich nicht darauf beschränken kann, nur Informationsstelle zu sein, obgleich dies ihre Hauptaufgabe sein muss. Sie wird andererseits aber auch versuchen müssen, eine Koordination der jeweils zu ergreifenden Maßnahmen durchzuführen und für einheitliche Regelungen auf den wichtigsten Gebieten zu sorgen. Vor allem wird sie auf eine Einigung des größten Teils der deutschen Ärzteschaft hinzuwirken haben, weil auf Dauer die einzelnen Kammern nicht genug erreichen können . . .
Ein weiterer Grund für die Zurückhaltung der Bayern ist bestimmt auch die alte Befürchtung, zu sehr unter ,preußischen’ Einfluss zu geraten. Auch in den anderen süddeutschen Ländern ist dieser Argwohn, so unberechtigt er auch ist, noch nicht überwunden. Neben alledem steht der nun einmal vorhandene partikularistische Geist, der alle Gruppen des deutschen Volkes erfasst zu haben scheint . . .“
Karl Haedenkamp an Ludwig Sievers am 6. Oktober 1947:
„. . . Die süddeutschen Kammern wollen gern mitarbeiten, aber es soll alles nach demokratischen Grundsätzen zugehen, und sie wollen ihre Selbstständigkeit nicht beeinträchtigen lassen. Sie werden ohne jeden Zweifel auch bereit sein, sich den Maßnahmen des Neunerausschusses zu fügen, aber sie wollen ihm die dazu notwendigen Vollmachten erst übertragen, und das kann ja nur durch die Hauptversammlung geschehen. Es lässt sich ja auch nun einmal nicht ändern, dass man in Süddeutschland eine gewisse Vorsicht gegenüber allem, was aus dem früheren Preußen kommt, an den Tag legt, weil man zu Recht oder zu Unrecht der früheren preußischen politischen Führung einen großen Teil des Unglücks zuschreibt, das über Deutschland hereingebrochen ist. Das sind Realitäten, mit denen man fertig werden muss und die man nicht unberücksichtigt lassen darf, wenn man zu dem Ziele einer geschlossenen Zusammenarbeit aller Ärztekammern gelangen will. . . Lieber Sievers, wenn Sie etwa so vorgehen, dass . . . auch nur der Anschein eines Ultimatums oder eines Drucks erweckt wird, so ist die ganze Sache verloren, und das mag verantworten wer will . . .“
Wortprotokoll der Arbeitstagung der Westdeutschen Ärztekammern am 19. Oktober 1947 in Bad Nauheim:
Ludwig Sievers: „. . . Meine Herren Kollegen, wir dürfen einen solchen Zusammenschluss und die Arbeitsgemeinschaft nicht verwechseln mit einer autoritär gelenkten Zentrale, die die Reichsärztekammer darstellte, denn da standen an der Spitze ernannte Führer und deren Wille wurde im Wege der Verordnung durchgeführt. Wenn die westdeutschen Ärztekammern, Körperschaften öffentlichen Rechts, sich freiwillig zusammenfinden und zusammentun und so eine ärztliche, an sich nicht mächtige Verbindung schaffen in Form dieser Arbeitsgemeinschaft, dann sind ja – wie dies in der heute beschlossenen Geschäftsordnung festgelegt ist – unsere Delegierten aus den einzelnen Ärztekammern und die Hauptversammlung maßgebende Organisationen, und ich glaube nicht, dass da Majorisierungen mit geringen Majoritäten vorkommen werden . . .“
Karl Weiler: „Nun haben wir heute eine Geschäftsordnung beschlossen. In dieser ist streng vermieden, den Eindruck zu erwecken, dass eine zentrale Organisation besteht, die den anderen übergeordnet ist. Die setze ich in Bayern nicht durch. Da tut Bayern nicht mit. Das ist ganz ausgeschlossen. Ein föderatives Zusammenwirken, ja. Das ist in dieser Geschäftsordnung klar ausgedrückt. Ich war zufrieden mit dieser Fassung. Ich halte es für richtig, dass diese Angelegenheit zentral erledigt wird. Aber nicht so, dass überraschend ein Antrag kommt, ohne dass die Landesärztekammer Gelegenheit hat, darüber zu beraten. Mit Ermächtigungsgesetzen haben wir schlechte Erfahrungen gemacht. Das wollen wir nicht wiederholen. Bayern steht auf dem Standpunkt. Er wird den nicht verlassen. Ich bitte, das zu bedenken und nichts zu erpressen. Dann wird es auseinanderfallen. Dann müssten wir verzichten . . .“
Hans Neuffer: „Ich denke, dass Sie die Sache erledigt haben.“
„. . . Dr. Dobler berichtet über Nauheimer Besprechungen und Tagungen: . . . Die Ärztekammern haben sich dahingehend geeinigt, dass sie in keiner Weise eine zentralistische Politik treiben wollen. Wir wollen nicht dem Westdeutschen Ärztekammerausschuss beschlussfassende Bedeutung geben. Er soll Richtung geben für unsere ganze Organisation, aber er soll nicht das Recht haben, über die einzelnen Kammern Beschlüsse zu fassen. Es wäre, wenn wir nicht diesen Weg gegangen wären, zweifellos zum Bruch mit Bayern gekommen . . . Wir haben uns dahingehend geeinigt, dass der Westdeutsche Ärztekammerausschuss Empfehlungen gibt, zentrale Aufgaben erledigt, eine Lösung dieser Aufgaben vorschlägt, die Kammern bittet und ihnen empfiehlt, diese Lösungen auch zu den ihren zu machen, sich aber jeder autoritativen Gewalt über die berechtigte Selbstständigkeit der einzelnen Landesärztekammern enthält. Die Vertreter der preußischen Gebiete haben sich gefügt. Je schärfer der Zentralismus ist, umso mehr wird das Eigenleben der Kammer zurückgedrängt, desto stärker werden die Spannungen innerhalb unserer Organisation und desto schwächer wird unsere Durchschlagskraft sein. Ich glaube, dass dies auch die Auffassung unserer Kammer sein wird . . .“
Zusammengestellt von Thomas Gerst
Schauspiel in wenigen Akten
Mitwirkende:
Karl Haedenkamp, künftiger Hauptgeschäftsführer der
Arbeitsgemeinschaft der Westdeutschen Ärztekammern,
die Präsidenten der Ärztekammern
Niedersachsen, Ludwig Sievers,
Hessen, Carl Oelemann,
Bayern, Karl Weiler,
Nord-Württemberg, Hans Neuffer,
Süd-Württemberg, Theodor Dobler,
Schleswig-Holstein, Berthold Rodewald