POLITIK
60 Jahre Bundesärztekammer: „Wir wissen, was wir wert sind.“


Jörg-Dietrich
Hoppe:„Wir haben in
Deutschland eine implizite
Rationierung.
Menschen mit der
gleichen Krankheit
werden unterschiedlich
behandelt.“
Fotos: Georg J. Lopata
Der gestrenge Blick des Begründers der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland geht über die Köpfe der Festgäste hinweg, die sich am 25. Oktober im Berliner Roten Rathaus zur 60-Jahr-Feier der Bundesärztekammer (BÄK) eingefunden haben. Bismarcks Reform war, wie Prof. Dr. med. Dr. phil. Klaus Bergdolt, Direktor des Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin an der Universität zu Köln, in seinem Festvortrag „Ärzte und Wettbewerb“ darlegte, „nicht ganz so unschuldig, wie das manchmal dargestellt wird“. Bismarck habe gesunde Menschen für die boomende Groß- und Schwerindustrie gebraucht. Mit der Reform sollte Deutschland im wirtschaftlichen und militärischen Wettbewerb mit den Großmächten gestärkt werden.
Das rund 20 Quadratmeter große Gemälde „Der Berliner Kongress von 1878“ von Anton von Werner, das den Großen Saal des Rathauses schmückt, zeigt Otto von Bismarck als „ehrlichen Makler“ inmitten der Außenminister und anderer hochrangiger Vertreter der damaligen europäischen Großmächte. Fürsten und Minister gaben der Bundesärztekammer zur Jubiläumsveranstaltung allerdings nicht die Ehre, dafür aber viele Mitglieder des Bundestages, die in den Fraktionen für die Gesundheitspolitik zuständig sind. Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt hatte so kurz vor dem Bundesparteitag der SPD vordringlichere Termine. Der Staatssekretär im Bundesgesundheitsministerium (BMG), Dr. Klaus Theo Schröder, überbrachte die besten Wünsche der Ministerin, die sich bereits auf dem Weg nach Hamburg befinde. „Deshalb habe ich heute das Vergnügen, mit Ihnen hier zu feiern.“
Festlich: Der Große
Saal im Roten Rathaus
mit dem Gemälde
„Der Berliner Kongress
von 1878“ bot
den geeigneten Rahmen
für die Jubiläumsfeier.
Der KBV-Vorsitzende Dr. med. Andreas Köhler nannte als gemeinsame Aufgaben von Bundesärztekammer und Kassenärztlicher Bundesvereinigung die Sicherung einer guten medizinischen Versorgung und die Vertretung der ärztlichen Interessen. Mit Stolz könne die BÄK auf ihre 60-jährige Geschichte zurückschauen. Sie werde von allen gehört, die in der Gesundheitspolitik zu entscheiden hätten. Allerdings werde es ihr immer schwerer gemacht, ihren Aufgaben nachzukommen. Eine überbordende Bürokratie und immer weniger Honorar führten zur Abwanderung vieler Ärzte ins Ausland. Köhler: „Wir müssen dafür sorgen, dass die Arbeit des Arztes wieder mit Freude ausgeübt werden kann.“ Seite an Seite würden sich die Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung gegen die weitere Drangsalierung der Ärzte wenden; es könne nicht hingenommen werden, dass die Politik unangenehme Aufgaben auf die Ärzte und deren Selbstverwaltung abwälze. Köhlers abschließender Appell an den Präsidenten der Bundesärztekammer beleuchtete ein wenig ironisch auch das nicht durchgängig spannungsfreie Verhältnis der beiden ärztlichen Spitzenverbände: „Eine große Bitte: Bleiben Sie nicht immer einfach!“
Rückblick: Auf 25
Ausstellungstafeln
präsentierte die Bundesärztekammer
auf
der Jubiläumsfeier
einen Rückblick auf
ihre 60-jährige Geschichte.
Die Wanderausstellung
wird
noch einige Wochen
im Haus der Bundesärztekammer
zu sehen
sein; danach
wird sie bei verschiedenen
Landesärztekammern
gezeigt.
Der BÄK-Präsident wies auf drei problematische Themenkomplexe hin, die auch in einem von der Politik angebotenen Dialog erörtert werden müssten. Als Ergebnis der jahrelangen Kostendämpfung gebe es in Deutschland eine implizite Rationierung. Dies gebe die Politik nicht zu. Aber: „Wir haben sie. Menschen mit der gleichen Krankheit werden in Deutschland unterschiedlich behandelt.“ Dazu komme die zunehmende Bevormundung des ärztlichen Handelns durch Dritte in Form von Vorschriften, die stetig neu geschrieben, überprüft und evaluiert werden müssten. Über das Geld, das man dafür ausgebe, werde nicht gesprochen. Das Misstrauen in das Gesundheitswesen allgemein habe zugenommen und dringe in der Folge mehr und mehr in die individuelle Arzt-Patienten-Beziehung ein.
Thomas Gerst
Schuster, Gerhard
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